Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Reform der Arbeiterversicherung

Erwerbsunfähigkeit und von dem Jahresverdienste abhängig machte. Um
Ungerechtigkeiten zu vermeiden, könnte der durchschnittliche Jahresverdienst
während der letzten drei (oder fünf) dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit
vorhergehenden Kalenderjahre zu Grunde gelegt werden. Dieser würde sich
aus Bescheinigungen der Krankenkassen über die Beitragsklassen ergeben, zu
denen der Antragsteller während der angegebnen Zeit eingeschätzt gewesen ist.
Zur Sicherung dieses Beweises müßten die Kassenbücher der Krankenkassen
eine Reihe von Jahren (vielleicht fünf Jahre) aufbewahrt werden. Empfehlen
würde es sich, nur die Einschätzung, nicht die Zahlung als maßgebend gelten
zu lassen, um den Arbeiter vor dem Schaden zu bewahren, der ihm sonst ohne
sein Verschulden aus der Nachlässigkeit des Arbeitgebers entstehen konnte.

Für Krankheitszeiten usw. müßte eine bestimmte Lohnklasse (vielleicht bei
männlichen Arbeitern die zweite, bei weiblichen die erste) zu Grunde gelegt,
als niedrigster Betrag des Jahresverdienstes aber der drcihundertfache Betrag
des ortsüblichen Tagelohns in Ansatz gebracht werden. Als Dnrchschnittslohn-
sätze, die auch für die Festsetzung der Beiträge maßgebend sein würden, könnten
die Beträge von 250 Mark, 400 Mark, 550 Mark, 700 Mark, 850 Mark,
1050 Mark, 1350 Mark und 1650 Mark angenommen werden. Die volle
Rente würde dann 200 Mark, 320 Mark, 440 Mark, 560 Mark, 680 Mark,
840 Mark, 1080 Mark und 1320 Mark betragen. Dann würden auch die,
die den höchsten Satz der Lohnklasse erreichen, im Vergleich zu den jetzt
geltenden Bestimmungen nicht benachteiligt sein, da zur Zeit die volle Rente auch
im höchsten Falle nur 200 Mark, 300 Mark, 400 Mark usw. betragen würde.
Wäre jemand während der drei vorhergehenden Kalenderjahre in verschiednen
Klassen versichert gewesen, so würde der Jahresverdienst nach dem Verhältnis
der Beiträge zu berechnen sein. Wäre er z. B. 80 Wochen in der zweiten,
40 Wochen in der dritten versichert, 20 Wochen krank und 16 Wochen er¬
werbslos gewesen, so würde sich der Jahresverdienst folgendermaßen berechnen:

die volle Rente würde also 354 Mark 29 Pfennige betragen. Hiernach würde
sich anch die Abschätzung der Erwerbsfühigkeit richten, dabei aber ebenfalls
mindestens der ortsübliche Tagelohn zu Grunde zu legen sein.

Es würde dann nur noch übrig bleiben, dafür zu sorgen, daß die In¬
validenrente nur wirklichen Arbeitern, nicht arbeitsscheuen Vagabunden zu teil
würde. Zu diesem Zwecke könnte bestimmt werden, daß die Rente nur dann
gewährt wird, wenn nachgewiesen werden kann, daß der Antragsteller in den
letzten drei Jahren wenigstens während des dritten Teils der Zeit (also zwei-


Zur Reform der Arbeiterversicherung

Erwerbsunfähigkeit und von dem Jahresverdienste abhängig machte. Um
Ungerechtigkeiten zu vermeiden, könnte der durchschnittliche Jahresverdienst
während der letzten drei (oder fünf) dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit
vorhergehenden Kalenderjahre zu Grunde gelegt werden. Dieser würde sich
aus Bescheinigungen der Krankenkassen über die Beitragsklassen ergeben, zu
denen der Antragsteller während der angegebnen Zeit eingeschätzt gewesen ist.
Zur Sicherung dieses Beweises müßten die Kassenbücher der Krankenkassen
eine Reihe von Jahren (vielleicht fünf Jahre) aufbewahrt werden. Empfehlen
würde es sich, nur die Einschätzung, nicht die Zahlung als maßgebend gelten
zu lassen, um den Arbeiter vor dem Schaden zu bewahren, der ihm sonst ohne
sein Verschulden aus der Nachlässigkeit des Arbeitgebers entstehen konnte.

Für Krankheitszeiten usw. müßte eine bestimmte Lohnklasse (vielleicht bei
männlichen Arbeitern die zweite, bei weiblichen die erste) zu Grunde gelegt,
als niedrigster Betrag des Jahresverdienstes aber der drcihundertfache Betrag
des ortsüblichen Tagelohns in Ansatz gebracht werden. Als Dnrchschnittslohn-
sätze, die auch für die Festsetzung der Beiträge maßgebend sein würden, könnten
die Beträge von 250 Mark, 400 Mark, 550 Mark, 700 Mark, 850 Mark,
1050 Mark, 1350 Mark und 1650 Mark angenommen werden. Die volle
Rente würde dann 200 Mark, 320 Mark, 440 Mark, 560 Mark, 680 Mark,
840 Mark, 1080 Mark und 1320 Mark betragen. Dann würden auch die,
die den höchsten Satz der Lohnklasse erreichen, im Vergleich zu den jetzt
geltenden Bestimmungen nicht benachteiligt sein, da zur Zeit die volle Rente auch
im höchsten Falle nur 200 Mark, 300 Mark, 400 Mark usw. betragen würde.
Wäre jemand während der drei vorhergehenden Kalenderjahre in verschiednen
Klassen versichert gewesen, so würde der Jahresverdienst nach dem Verhältnis
der Beiträge zu berechnen sein. Wäre er z. B. 80 Wochen in der zweiten,
40 Wochen in der dritten versichert, 20 Wochen krank und 16 Wochen er¬
werbslos gewesen, so würde sich der Jahresverdienst folgendermaßen berechnen:

die volle Rente würde also 354 Mark 29 Pfennige betragen. Hiernach würde
sich anch die Abschätzung der Erwerbsfühigkeit richten, dabei aber ebenfalls
mindestens der ortsübliche Tagelohn zu Grunde zu legen sein.

Es würde dann nur noch übrig bleiben, dafür zu sorgen, daß die In¬
validenrente nur wirklichen Arbeitern, nicht arbeitsscheuen Vagabunden zu teil
würde. Zu diesem Zwecke könnte bestimmt werden, daß die Rente nur dann
gewährt wird, wenn nachgewiesen werden kann, daß der Antragsteller in den
letzten drei Jahren wenigstens während des dritten Teils der Zeit (also zwei-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221346"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Reform der Arbeiterversicherung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1249" prev="#ID_1248"> Erwerbsunfähigkeit und von dem Jahresverdienste abhängig machte. Um<lb/>
Ungerechtigkeiten zu vermeiden, könnte der durchschnittliche Jahresverdienst<lb/>
während der letzten drei (oder fünf) dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit<lb/>
vorhergehenden Kalenderjahre zu Grunde gelegt werden. Dieser würde sich<lb/>
aus Bescheinigungen der Krankenkassen über die Beitragsklassen ergeben, zu<lb/>
denen der Antragsteller während der angegebnen Zeit eingeschätzt gewesen ist.<lb/>
Zur Sicherung dieses Beweises müßten die Kassenbücher der Krankenkassen<lb/>
eine Reihe von Jahren (vielleicht fünf Jahre) aufbewahrt werden. Empfehlen<lb/>
würde es sich, nur die Einschätzung, nicht die Zahlung als maßgebend gelten<lb/>
zu lassen, um den Arbeiter vor dem Schaden zu bewahren, der ihm sonst ohne<lb/>
sein Verschulden aus der Nachlässigkeit des Arbeitgebers entstehen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1250"> Für Krankheitszeiten usw. müßte eine bestimmte Lohnklasse (vielleicht bei<lb/>
männlichen Arbeitern die zweite, bei weiblichen die erste) zu Grunde gelegt,<lb/>
als niedrigster Betrag des Jahresverdienstes aber der drcihundertfache Betrag<lb/>
des ortsüblichen Tagelohns in Ansatz gebracht werden. Als Dnrchschnittslohn-<lb/>
sätze, die auch für die Festsetzung der Beiträge maßgebend sein würden, könnten<lb/>
die Beträge von 250 Mark, 400 Mark, 550 Mark, 700 Mark, 850 Mark,<lb/>
1050 Mark, 1350 Mark und 1650 Mark angenommen werden. Die volle<lb/>
Rente würde dann 200 Mark, 320 Mark, 440 Mark, 560 Mark, 680 Mark,<lb/>
840 Mark, 1080 Mark und 1320 Mark betragen. Dann würden auch die,<lb/>
die den höchsten Satz der Lohnklasse erreichen, im Vergleich zu den jetzt<lb/>
geltenden Bestimmungen nicht benachteiligt sein, da zur Zeit die volle Rente auch<lb/>
im höchsten Falle nur 200 Mark, 300 Mark, 400 Mark usw. betragen würde.<lb/>
Wäre jemand während der drei vorhergehenden Kalenderjahre in verschiednen<lb/>
Klassen versichert gewesen, so würde der Jahresverdienst nach dem Verhältnis<lb/>
der Beiträge zu berechnen sein. Wäre er z. B. 80 Wochen in der zweiten,<lb/>
40 Wochen in der dritten versichert, 20 Wochen krank und 16 Wochen er¬<lb/>
werbslos gewesen, so würde sich der Jahresverdienst folgendermaßen berechnen:</p><lb/>
          <p>
            <formula facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_220975/figures/grenzboten_341861_220975_221346_004.jpg"> 80 x 400 Mark  32000 Mark</formula>
          </p><lb/>
          <p>
            <formula facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_220975/figures/grenzboten_341861_220975_221346_005.jpg"> 40 x 530  &#x201E;  -^ 22000 &#x201E;</formula>
          </p><lb/>
          <p>
            <formula facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_220975/figures/grenzboten_341861_220975_221346_006.jpg"> 20 x 400  &#x201E;  --- 8000 &#x201E;</formula>
          </p><lb/>
          <p>
            <formula facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_220975/figures/grenzboten_341861_220975_221346_007.jpg"> Sa. 62000 Mark 1140   442 Mark 86 Pfennige,</formula>
          </p><lb/>
          <p xml:id="ID_1251"> die volle Rente würde also 354 Mark 29 Pfennige betragen. Hiernach würde<lb/>
sich anch die Abschätzung der Erwerbsfühigkeit richten, dabei aber ebenfalls<lb/>
mindestens der ortsübliche Tagelohn zu Grunde zu legen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> Es würde dann nur noch übrig bleiben, dafür zu sorgen, daß die In¬<lb/>
validenrente nur wirklichen Arbeitern, nicht arbeitsscheuen Vagabunden zu teil<lb/>
würde. Zu diesem Zwecke könnte bestimmt werden, daß die Rente nur dann<lb/>
gewährt wird, wenn nachgewiesen werden kann, daß der Antragsteller in den<lb/>
letzten drei Jahren wenigstens während des dritten Teils der Zeit (also zwei-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0372] Zur Reform der Arbeiterversicherung Erwerbsunfähigkeit und von dem Jahresverdienste abhängig machte. Um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, könnte der durchschnittliche Jahresverdienst während der letzten drei (oder fünf) dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vorhergehenden Kalenderjahre zu Grunde gelegt werden. Dieser würde sich aus Bescheinigungen der Krankenkassen über die Beitragsklassen ergeben, zu denen der Antragsteller während der angegebnen Zeit eingeschätzt gewesen ist. Zur Sicherung dieses Beweises müßten die Kassenbücher der Krankenkassen eine Reihe von Jahren (vielleicht fünf Jahre) aufbewahrt werden. Empfehlen würde es sich, nur die Einschätzung, nicht die Zahlung als maßgebend gelten zu lassen, um den Arbeiter vor dem Schaden zu bewahren, der ihm sonst ohne sein Verschulden aus der Nachlässigkeit des Arbeitgebers entstehen konnte. Für Krankheitszeiten usw. müßte eine bestimmte Lohnklasse (vielleicht bei männlichen Arbeitern die zweite, bei weiblichen die erste) zu Grunde gelegt, als niedrigster Betrag des Jahresverdienstes aber der drcihundertfache Betrag des ortsüblichen Tagelohns in Ansatz gebracht werden. Als Dnrchschnittslohn- sätze, die auch für die Festsetzung der Beiträge maßgebend sein würden, könnten die Beträge von 250 Mark, 400 Mark, 550 Mark, 700 Mark, 850 Mark, 1050 Mark, 1350 Mark und 1650 Mark angenommen werden. Die volle Rente würde dann 200 Mark, 320 Mark, 440 Mark, 560 Mark, 680 Mark, 840 Mark, 1080 Mark und 1320 Mark betragen. Dann würden auch die, die den höchsten Satz der Lohnklasse erreichen, im Vergleich zu den jetzt geltenden Bestimmungen nicht benachteiligt sein, da zur Zeit die volle Rente auch im höchsten Falle nur 200 Mark, 300 Mark, 400 Mark usw. betragen würde. Wäre jemand während der drei vorhergehenden Kalenderjahre in verschiednen Klassen versichert gewesen, so würde der Jahresverdienst nach dem Verhältnis der Beiträge zu berechnen sein. Wäre er z. B. 80 Wochen in der zweiten, 40 Wochen in der dritten versichert, 20 Wochen krank und 16 Wochen er¬ werbslos gewesen, so würde sich der Jahresverdienst folgendermaßen berechnen: [FORMEL] [FORMEL] [FORMEL] [FORMEL] die volle Rente würde also 354 Mark 29 Pfennige betragen. Hiernach würde sich anch die Abschätzung der Erwerbsfühigkeit richten, dabei aber ebenfalls mindestens der ortsübliche Tagelohn zu Grunde zu legen sein. Es würde dann nur noch übrig bleiben, dafür zu sorgen, daß die In¬ validenrente nur wirklichen Arbeitern, nicht arbeitsscheuen Vagabunden zu teil würde. Zu diesem Zwecke könnte bestimmt werden, daß die Rente nur dann gewährt wird, wenn nachgewiesen werden kann, daß der Antragsteller in den letzten drei Jahren wenigstens während des dritten Teils der Zeit (also zwei-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/372
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/372>, abgerufen am 04.07.2024.