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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Reform der Arbeiterversichenmg

Beitrüge zahlen müßten, und diese Belastung Wege" der ganzen wirtschaftliche"
Lage möglicherweise zu drückend sei.

Den erste" Bedenke" ließe sich dadurch begegne", daß mein für die Dienst¬
boten eine beschränkte Krankenversicherung einführte, durch die ihnen Kranken¬
geld erst von dein Augenblick an, wo die Verpflichtungen des Dienstherrn
aufhören, die übrigen Wohlthaten der Krankenversicherung aber unbeschränkt
gewährt würden.

Die Kra"keuversicher"ngskosten betrage" im allgemeinen 2 Prozent des
Lohnes. Von jeder Mark Krankenunterstützung fallen nach dem Bödikerschen
Werke 47,13 Prozent auf Krankengeld, 47,47 Prozent auf deu Arzt, Heil¬
mittel und Nekottvaleszentenpflege, 1,35 Prozent auf Wochenbettkoste" und
4,05 Prozent aus Sterbegeld. Die Kohle" sür den nach meinem Vorschlage
versicherten Dienstboten würden sich daher ans etwa 1^ Prozent des Lohnes,
also bei einem Lohne von 300 bis 450 Mark auf 4 bis 6 Mark stellen. Über¬
nahme nun hiervon der Dienstbote, wie bei der Jnvaliditätsversicherung, die
Hälfte, so wäre die Belastung für beide Teile geringfügig gegenüber de" er¬
langte" Vorteilen, wenn man berücksichtigt, daß einerseits der Dienstherr im
Falle ernsterer Erkrankung wesentlich entlastet, andrerseits der Dienstbote anch
gegen Fälle längerer Erkrankung gesichert sein und ihm jederzeit das Recht
zustehen würde, ärztliche Hilfe bei dem Arzt zu suchen, der ihm genehm ist.
Schon jetzt bestehe" i" manche" Städte" obligatorische Krankenversicherungen
für die Dienstboten in der Weise, daß ihnen das Recht zusteht, den Kranken¬
hausarzt in seinen Sprechstunden zu Rate zu ziehen und bei ernsterer Er¬
krankung Aufnahme in das Krankenhaus zu verlangen. Die Kosten betragen
in einigen mir bekannten Fällen jährlich vier bis fünf Mark, sind also nicht
viel geringer als die oben berechnete" Beiträge, und doch gewährt die Ein¬
richtung wenig Erleichterung, weil auch die Dienstboten Wert ans die freie
Wahl des Arztes legen, vor allem aber ihre Abneigung gegen die Kraukenhaus-
pflege unüberwindlich ist.

Die Bedenken gegen die Ausdehnung der obligatorischen Krankenversicherung
auf die nichtständigen Arbeiter und die kleiner" Betriebsunternchmer ließen sich
dadurch beseitigen, daß auch diesen Versicheruligspflichtige", wie den übrige"
Arbeiter", nur die Hälfte der Beitrüge auferlegt, die andre Hälfte hinsichtlich
der Krankenversicherung von den Kreisen (Provinzen), hinsichtlich der Jnvali¬
ditätsversicherung vom Reiche übernommen würde. Dieser Gedanke ist nicht
neu, es findet sich eine ühnliche Bestimmung schon in § 30 des Bauunfall¬
versicherungsgesetzes. Auch hier geschieht die Unfallversicherung ans Kosten
der Gemeinden, der weitern Kommu"alverbünde oder auch Verwaltungsbezirke.
Für Übernahme der Beitrüge der Arbeitgeber nichtständiger Arbeiter auf
größere Verbünde sprechen dieselben Zweckmüßigkeitsgründe wie für die vor¬
stehende Bestimmung, aber auch die Überucchme eines Teils der Versicheruugs-


Zur Reform der Arbeiterversichenmg

Beitrüge zahlen müßten, und diese Belastung Wege» der ganzen wirtschaftliche»
Lage möglicherweise zu drückend sei.

Den erste» Bedenke» ließe sich dadurch begegne», daß mein für die Dienst¬
boten eine beschränkte Krankenversicherung einführte, durch die ihnen Kranken¬
geld erst von dein Augenblick an, wo die Verpflichtungen des Dienstherrn
aufhören, die übrigen Wohlthaten der Krankenversicherung aber unbeschränkt
gewährt würden.

Die Kra»keuversicher»ngskosten betrage» im allgemeinen 2 Prozent des
Lohnes. Von jeder Mark Krankenunterstützung fallen nach dem Bödikerschen
Werke 47,13 Prozent auf Krankengeld, 47,47 Prozent auf deu Arzt, Heil¬
mittel und Nekottvaleszentenpflege, 1,35 Prozent auf Wochenbettkoste» und
4,05 Prozent aus Sterbegeld. Die Kohle» sür den nach meinem Vorschlage
versicherten Dienstboten würden sich daher ans etwa 1^ Prozent des Lohnes,
also bei einem Lohne von 300 bis 450 Mark auf 4 bis 6 Mark stellen. Über¬
nahme nun hiervon der Dienstbote, wie bei der Jnvaliditätsversicherung, die
Hälfte, so wäre die Belastung für beide Teile geringfügig gegenüber de» er¬
langte» Vorteilen, wenn man berücksichtigt, daß einerseits der Dienstherr im
Falle ernsterer Erkrankung wesentlich entlastet, andrerseits der Dienstbote anch
gegen Fälle längerer Erkrankung gesichert sein und ihm jederzeit das Recht
zustehen würde, ärztliche Hilfe bei dem Arzt zu suchen, der ihm genehm ist.
Schon jetzt bestehe» i» manche» Städte» obligatorische Krankenversicherungen
für die Dienstboten in der Weise, daß ihnen das Recht zusteht, den Kranken¬
hausarzt in seinen Sprechstunden zu Rate zu ziehen und bei ernsterer Er¬
krankung Aufnahme in das Krankenhaus zu verlangen. Die Kosten betragen
in einigen mir bekannten Fällen jährlich vier bis fünf Mark, sind also nicht
viel geringer als die oben berechnete» Beiträge, und doch gewährt die Ein¬
richtung wenig Erleichterung, weil auch die Dienstboten Wert ans die freie
Wahl des Arztes legen, vor allem aber ihre Abneigung gegen die Kraukenhaus-
pflege unüberwindlich ist.

Die Bedenken gegen die Ausdehnung der obligatorischen Krankenversicherung
auf die nichtständigen Arbeiter und die kleiner» Betriebsunternchmer ließen sich
dadurch beseitigen, daß auch diesen Versicheruligspflichtige», wie den übrige»
Arbeiter», nur die Hälfte der Beitrüge auferlegt, die andre Hälfte hinsichtlich
der Krankenversicherung von den Kreisen (Provinzen), hinsichtlich der Jnvali¬
ditätsversicherung vom Reiche übernommen würde. Dieser Gedanke ist nicht
neu, es findet sich eine ühnliche Bestimmung schon in § 30 des Bauunfall¬
versicherungsgesetzes. Auch hier geschieht die Unfallversicherung ans Kosten
der Gemeinden, der weitern Kommu»alverbünde oder auch Verwaltungsbezirke.
Für Übernahme der Beitrüge der Arbeitgeber nichtständiger Arbeiter auf
größere Verbünde sprechen dieselben Zweckmüßigkeitsgründe wie für die vor¬
stehende Bestimmung, aber auch die Überucchme eines Teils der Versicheruugs-


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[0368] Zur Reform der Arbeiterversichenmg Beitrüge zahlen müßten, und diese Belastung Wege» der ganzen wirtschaftliche» Lage möglicherweise zu drückend sei. Den erste» Bedenke» ließe sich dadurch begegne», daß mein für die Dienst¬ boten eine beschränkte Krankenversicherung einführte, durch die ihnen Kranken¬ geld erst von dein Augenblick an, wo die Verpflichtungen des Dienstherrn aufhören, die übrigen Wohlthaten der Krankenversicherung aber unbeschränkt gewährt würden. Die Kra»keuversicher»ngskosten betrage» im allgemeinen 2 Prozent des Lohnes. Von jeder Mark Krankenunterstützung fallen nach dem Bödikerschen Werke 47,13 Prozent auf Krankengeld, 47,47 Prozent auf deu Arzt, Heil¬ mittel und Nekottvaleszentenpflege, 1,35 Prozent auf Wochenbettkoste» und 4,05 Prozent aus Sterbegeld. Die Kohle» sür den nach meinem Vorschlage versicherten Dienstboten würden sich daher ans etwa 1^ Prozent des Lohnes, also bei einem Lohne von 300 bis 450 Mark auf 4 bis 6 Mark stellen. Über¬ nahme nun hiervon der Dienstbote, wie bei der Jnvaliditätsversicherung, die Hälfte, so wäre die Belastung für beide Teile geringfügig gegenüber de» er¬ langte» Vorteilen, wenn man berücksichtigt, daß einerseits der Dienstherr im Falle ernsterer Erkrankung wesentlich entlastet, andrerseits der Dienstbote anch gegen Fälle längerer Erkrankung gesichert sein und ihm jederzeit das Recht zustehen würde, ärztliche Hilfe bei dem Arzt zu suchen, der ihm genehm ist. Schon jetzt bestehe» i» manche» Städte» obligatorische Krankenversicherungen für die Dienstboten in der Weise, daß ihnen das Recht zusteht, den Kranken¬ hausarzt in seinen Sprechstunden zu Rate zu ziehen und bei ernsterer Er¬ krankung Aufnahme in das Krankenhaus zu verlangen. Die Kosten betragen in einigen mir bekannten Fällen jährlich vier bis fünf Mark, sind also nicht viel geringer als die oben berechnete» Beiträge, und doch gewährt die Ein¬ richtung wenig Erleichterung, weil auch die Dienstboten Wert ans die freie Wahl des Arztes legen, vor allem aber ihre Abneigung gegen die Kraukenhaus- pflege unüberwindlich ist. Die Bedenken gegen die Ausdehnung der obligatorischen Krankenversicherung auf die nichtständigen Arbeiter und die kleiner» Betriebsunternchmer ließen sich dadurch beseitigen, daß auch diesen Versicheruligspflichtige», wie den übrige» Arbeiter», nur die Hälfte der Beitrüge auferlegt, die andre Hälfte hinsichtlich der Krankenversicherung von den Kreisen (Provinzen), hinsichtlich der Jnvali¬ ditätsversicherung vom Reiche übernommen würde. Dieser Gedanke ist nicht neu, es findet sich eine ühnliche Bestimmung schon in § 30 des Bauunfall¬ versicherungsgesetzes. Auch hier geschieht die Unfallversicherung ans Kosten der Gemeinden, der weitern Kommu»alverbünde oder auch Verwaltungsbezirke. Für Übernahme der Beitrüge der Arbeitgeber nichtständiger Arbeiter auf größere Verbünde sprechen dieselben Zweckmüßigkeitsgründe wie für die vor¬ stehende Bestimmung, aber auch die Überucchme eines Teils der Versicheruugs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/368>, abgerufen am 04.07.2024.