Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Zur Reform der Arbeiterversicherung kosten für die kleinen Betriebsunternehmer auf die Allgemeinheit läßt sich recht¬ Um das Jnvaliditätsversicherungsgesetz annehmbarer zu machen, ist vor Was die Höhe der Rente anlangt, so würde es nach meinen Erfahrungen Zur Reform der Arbeiterversicherung kosten für die kleinen Betriebsunternehmer auf die Allgemeinheit läßt sich recht¬ Um das Jnvaliditätsversicherungsgesetz annehmbarer zu machen, ist vor Was die Höhe der Rente anlangt, so würde es nach meinen Erfahrungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221343"/> <fw type="header" place="top"> Zur Reform der Arbeiterversicherung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1240" prev="#ID_1239"> kosten für die kleinen Betriebsunternehmer auf die Allgemeinheit läßt sich recht¬<lb/> fertigen als eine Maßregel zum Schutze des Mittelstandes, der zur Zeit mit<lb/> den größten Schwierigkeiten kämpft, insbesondre der kleinern Gewerbtreibenden<lb/> und der Landwirte. Durch Zahlung eines geringen, auch den Unbemittelten<lb/> nicht zu drückend betastenden Betrags würden dann der gesamte Arbeiterstand<lb/> und die kleinen Betriebsunternehmer von den drückendsten Sorgen in Krank-<lb/> heits- und Todesfällen befreit sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1241"> Um das Jnvaliditätsversicherungsgesetz annehmbarer zu machen, ist vor<lb/> allem erforderlich, daß die Möglichkeit, in den Genuß der Invalidenrente zu<lb/> gelangen, erleichtert werde. Dies würde sich am einfachsten so durchführen<lb/> lassen, daß der Unterschied zwischen Invaliden- und Unfallrente beseitigt und<lb/> an deren Stelle mir eine Invalidenrente eingeführt würde, die in allen Fällen<lb/> zu gewähren ist, wo — gleichviel, ob infolge eines Betriebsunfalls oder einer<lb/> Krankheit — eine wesentliche Schmälerung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Die<lb/> Trennung zwischen Unfall- und Invalidenrente wird sich bei einem weitern<lb/> Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung nicht mehr aufrecht erhalten lassen.<lb/> Sie kann nur damit begründet werden, daß man zunächst die am meisten ge¬<lb/> fährdeten Arbeiter sichern wollte und die Versicherungskosten als Betriebs¬<lb/> kosten ansah. Der Grundgedanke der sozialen Gesetzgebung ist die Fürsorge<lb/> für alle hilfsbedürftig gewordnen Arbeiter. Ein Arbeiter aber, der mit jedem<lb/> Pfennig rechnen muß, ist nicht erst dann hilfsbedürftig, wenn er zwei Drittel<lb/> seiner Erwerbsfähigkeit verloren hat, sondern seine Lage wird schon dann sehr<lb/> drückend und hilfsbedürftig sein, wenn die Einbuße 33^/g Prozent oder auch<lb/> nur 25 Prozent beträgt. Dem Arbeiter wird es gleichgiltig sein, ob die Ein¬<lb/> buße auf einen Unfall in einem Betriebe oder außerhalb eines Betriebs oder<lb/> auf eine Krankheit zurückzuführen ist, und wer infolge eines Unfalls außerhalb<lb/> eines Betriebs 60 Prozent von seiner Erwerbsfähigkeit verloren hat, wird es<lb/> als eine große Ungerechtigkeit empfinden, daß er vollständig leer ausgeht,<lb/> während ein andrer, der den gleichen Unfall im Betrieb erlitten hat, eine Rente<lb/> im Betrage von 40 Prozent seines Arbeitsverdienstes erhält. Am gerechtesten<lb/> würde es ja sein, wenn jeder Unterschied zwischen Unfallrente und Jnvaliditäts-<lb/> rente aufgehoben würde. Hiergegen kann aber das Bedenken geltend gemacht<lb/> werden, daß bei leichtern Erkrankungen der Simulation Thür und Thor ge¬<lb/> öffnet werden würde. Nur deshalb ist hier der Vorschlag gemacht worden,<lb/> eine Rente bei Unfällen — gleichviel, ob Betriebsunfällen oder Unfällen des<lb/> gewöhnlichen Lebens — schon dann zu gewähren, wenn die Einbuße mehr als<lb/> 10 Prozent beträgt, bei Erkrankungen aber erst, wenn die Einbuße die Höhe<lb/> von mehr als 20 Prozent erreicht hat. Es wird sich dann immer um ernstere,<lb/> leichter erkennbare Erkrankungen handeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1242" next="#ID_1243"> Was die Höhe der Rente anlangt, so würde es nach meinen Erfahrungen<lb/> mehr im Interesse der Arbeiter liegen und auch ihre» Wünschen mehr ent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0369]
Zur Reform der Arbeiterversicherung
kosten für die kleinen Betriebsunternehmer auf die Allgemeinheit läßt sich recht¬
fertigen als eine Maßregel zum Schutze des Mittelstandes, der zur Zeit mit
den größten Schwierigkeiten kämpft, insbesondre der kleinern Gewerbtreibenden
und der Landwirte. Durch Zahlung eines geringen, auch den Unbemittelten
nicht zu drückend betastenden Betrags würden dann der gesamte Arbeiterstand
und die kleinen Betriebsunternehmer von den drückendsten Sorgen in Krank-
heits- und Todesfällen befreit sein.
Um das Jnvaliditätsversicherungsgesetz annehmbarer zu machen, ist vor
allem erforderlich, daß die Möglichkeit, in den Genuß der Invalidenrente zu
gelangen, erleichtert werde. Dies würde sich am einfachsten so durchführen
lassen, daß der Unterschied zwischen Invaliden- und Unfallrente beseitigt und
an deren Stelle mir eine Invalidenrente eingeführt würde, die in allen Fällen
zu gewähren ist, wo — gleichviel, ob infolge eines Betriebsunfalls oder einer
Krankheit — eine wesentliche Schmälerung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Die
Trennung zwischen Unfall- und Invalidenrente wird sich bei einem weitern
Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung nicht mehr aufrecht erhalten lassen.
Sie kann nur damit begründet werden, daß man zunächst die am meisten ge¬
fährdeten Arbeiter sichern wollte und die Versicherungskosten als Betriebs¬
kosten ansah. Der Grundgedanke der sozialen Gesetzgebung ist die Fürsorge
für alle hilfsbedürftig gewordnen Arbeiter. Ein Arbeiter aber, der mit jedem
Pfennig rechnen muß, ist nicht erst dann hilfsbedürftig, wenn er zwei Drittel
seiner Erwerbsfähigkeit verloren hat, sondern seine Lage wird schon dann sehr
drückend und hilfsbedürftig sein, wenn die Einbuße 33^/g Prozent oder auch
nur 25 Prozent beträgt. Dem Arbeiter wird es gleichgiltig sein, ob die Ein¬
buße auf einen Unfall in einem Betriebe oder außerhalb eines Betriebs oder
auf eine Krankheit zurückzuführen ist, und wer infolge eines Unfalls außerhalb
eines Betriebs 60 Prozent von seiner Erwerbsfähigkeit verloren hat, wird es
als eine große Ungerechtigkeit empfinden, daß er vollständig leer ausgeht,
während ein andrer, der den gleichen Unfall im Betrieb erlitten hat, eine Rente
im Betrage von 40 Prozent seines Arbeitsverdienstes erhält. Am gerechtesten
würde es ja sein, wenn jeder Unterschied zwischen Unfallrente und Jnvaliditäts-
rente aufgehoben würde. Hiergegen kann aber das Bedenken geltend gemacht
werden, daß bei leichtern Erkrankungen der Simulation Thür und Thor ge¬
öffnet werden würde. Nur deshalb ist hier der Vorschlag gemacht worden,
eine Rente bei Unfällen — gleichviel, ob Betriebsunfällen oder Unfällen des
gewöhnlichen Lebens — schon dann zu gewähren, wenn die Einbuße mehr als
10 Prozent beträgt, bei Erkrankungen aber erst, wenn die Einbuße die Höhe
von mehr als 20 Prozent erreicht hat. Es wird sich dann immer um ernstere,
leichter erkennbare Erkrankungen handeln.
Was die Höhe der Rente anlangt, so würde es nach meinen Erfahrungen
mehr im Interesse der Arbeiter liegen und auch ihre» Wünschen mehr ent-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |