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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Sachsen in der Musikgeschichte

keine Dichter, nicht einmal Übersetzer. Schon bei dem bloßen Titel verunglücken
sie. Aus dem italienischen oäer-ils in irrusivÄ wird ein "Theatrnms
froh gesungner vorgestellt," und noch viel schlimmer ging es mit den Versen.
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s Leltü. heißt es in einem Wiener Textbuch von 1687: "Der Felder Trächtiq-
keit -- zehre der Flamme Brand -- Schönheit und Pracht deß Land --
Werd nicht errett!" Und solches Deutsch ist kein vereinzelter Fall. Wenn aber
unsre Landsleute selbst die Opernbücher dichteten, verfielen sie in eine Rohheit
der Sprache und der Erfindung, für die man am besten keine Beispiele
giebt. Da blieb denn nichts übrig, als auf die Oper entweder zu verzichten
oder bis auf weiteres italienische Kräfte zu Hilfe zu nehmen. Die deutschen
Fürsten entschieden sich für das zweite, und so begann denn von der Mitte
des siebzehnten Jahrhunderts an in Deutschland eine Invasion italienischer
Kunst und italienischer Künstler, die seit den Tagen Gottscheds beklagt und
immer nur beklagt worden ist. Sicher hat sie hie und da, auch in Dresden,
etwas zu lauge gedauert. Aber an und für sich war sie mehr als unver¬
meidlich, sie war ein Segen. Denn die Oper, die, als ein Sprößling der
antiken Tragödie angekündigt, den gesunknen Geist des italienischen Theaters
thatsächlich einige Jahrzehnte lang hob, erschien in dem, was sie gab, und
uoch mehr in dem, was sie versprach, als die Krone der Kultur. Nicht
Prunksucht und Verschwendung, nicht das Beispiel Ludwigs XIV., das noch
gar nicht vorlag, trieb, wie den Kaiser und den bairischen Kurfürsten, so
auch den sächsischen um 1650 zur Einführung der italienischen Oper, sondern
der Glaube an die beste Sache.

Es ist von diesem Gesichtspunkt aus ein Ruhm für die Albertiner, daß
sie mit Wien und München zu wetteifern vermochten. Zeitweise hatte Dresden
die ersten Meister der italienischen Oper, Komponisten wie Pallavieini, Lotti,
Hasse, Sänger wie Senesino, die Tesi, die Dnrastauti, Faustina Bordoni. Aus¬
ländisch war die Saat, heimisch die Ernte. Ohne die italienische Oper in
Dresden hätte Sachsen auf die endliche Begründung einer deutschen Oper nicht
den starken Einfluß geübt, den ihm die Geschichte zuschreiben muß. Es gab
Hamburg einen Reinhard Keiser. Es unterstützte die dortigen Versuche von
Leipzig her und uoch mehr von deu Seknudogenituren, namentlich von Weißen-
fels aus. Mit den Singspielen Johann Adam Hillers war endlich das lange
gesuchte Ziel glücklich erreicht. Sie wurden die Eltern der "Zauberflöte" und
des "Freischützen."

Nicht bloß äußerlich darf das Hillersche Singspiel ein Stück sächsischer
Kunst genannt werden. Seinen Kern bilden Lieder, Lieder im Geschmack unsrer
Großeltern. Nun zeigt von allen Neubildungen, die die italienische Renaissance
der deutschen Musik beschert hat. keine den Stempel sächsischer Bearbeitung so
deutlich wie das begleitete Svlolied des siebzehnten und achtzehnten Jnhr-


Grcnzl'oder IV 1895 4
Sachsen in der Musikgeschichte

keine Dichter, nicht einmal Übersetzer. Schon bei dem bloßen Titel verunglücken
sie. Aus dem italienischen oäer-ils in irrusivÄ wird ein „Theatrnms
froh gesungner vorgestellt," und noch viel schlimmer ging es mit den Versen.
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s Leltü. heißt es in einem Wiener Textbuch von 1687: „Der Felder Trächtiq-
keit — zehre der Flamme Brand — Schönheit und Pracht deß Land —
Werd nicht errett!" Und solches Deutsch ist kein vereinzelter Fall. Wenn aber
unsre Landsleute selbst die Opernbücher dichteten, verfielen sie in eine Rohheit
der Sprache und der Erfindung, für die man am besten keine Beispiele
giebt. Da blieb denn nichts übrig, als auf die Oper entweder zu verzichten
oder bis auf weiteres italienische Kräfte zu Hilfe zu nehmen. Die deutschen
Fürsten entschieden sich für das zweite, und so begann denn von der Mitte
des siebzehnten Jahrhunderts an in Deutschland eine Invasion italienischer
Kunst und italienischer Künstler, die seit den Tagen Gottscheds beklagt und
immer nur beklagt worden ist. Sicher hat sie hie und da, auch in Dresden,
etwas zu lauge gedauert. Aber an und für sich war sie mehr als unver¬
meidlich, sie war ein Segen. Denn die Oper, die, als ein Sprößling der
antiken Tragödie angekündigt, den gesunknen Geist des italienischen Theaters
thatsächlich einige Jahrzehnte lang hob, erschien in dem, was sie gab, und
uoch mehr in dem, was sie versprach, als die Krone der Kultur. Nicht
Prunksucht und Verschwendung, nicht das Beispiel Ludwigs XIV., das noch
gar nicht vorlag, trieb, wie den Kaiser und den bairischen Kurfürsten, so
auch den sächsischen um 1650 zur Einführung der italienischen Oper, sondern
der Glaube an die beste Sache.

Es ist von diesem Gesichtspunkt aus ein Ruhm für die Albertiner, daß
sie mit Wien und München zu wetteifern vermochten. Zeitweise hatte Dresden
die ersten Meister der italienischen Oper, Komponisten wie Pallavieini, Lotti,
Hasse, Sänger wie Senesino, die Tesi, die Dnrastauti, Faustina Bordoni. Aus¬
ländisch war die Saat, heimisch die Ernte. Ohne die italienische Oper in
Dresden hätte Sachsen auf die endliche Begründung einer deutschen Oper nicht
den starken Einfluß geübt, den ihm die Geschichte zuschreiben muß. Es gab
Hamburg einen Reinhard Keiser. Es unterstützte die dortigen Versuche von
Leipzig her und uoch mehr von deu Seknudogenituren, namentlich von Weißen-
fels aus. Mit den Singspielen Johann Adam Hillers war endlich das lange
gesuchte Ziel glücklich erreicht. Sie wurden die Eltern der „Zauberflöte" und
des „Freischützen."

Nicht bloß äußerlich darf das Hillersche Singspiel ein Stück sächsischer
Kunst genannt werden. Seinen Kern bilden Lieder, Lieder im Geschmack unsrer
Großeltern. Nun zeigt von allen Neubildungen, die die italienische Renaissance
der deutschen Musik beschert hat. keine den Stempel sächsischer Bearbeitung so
deutlich wie das begleitete Svlolied des siebzehnten und achtzehnten Jnhr-


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[0033] Sachsen in der Musikgeschichte keine Dichter, nicht einmal Übersetzer. Schon bei dem bloßen Titel verunglücken sie. Aus dem italienischen oäer-ils in irrusivÄ wird ein „Theatrnms froh gesungner vorgestellt," und noch viel schlimmer ging es mit den Versen. Für LiMixnANö törtili — ?Mlrnn,ö äistrug^ano — ^ tsrra vÄÄs.no — ?mnplz s Leltü. heißt es in einem Wiener Textbuch von 1687: „Der Felder Trächtiq- keit — zehre der Flamme Brand — Schönheit und Pracht deß Land — Werd nicht errett!" Und solches Deutsch ist kein vereinzelter Fall. Wenn aber unsre Landsleute selbst die Opernbücher dichteten, verfielen sie in eine Rohheit der Sprache und der Erfindung, für die man am besten keine Beispiele giebt. Da blieb denn nichts übrig, als auf die Oper entweder zu verzichten oder bis auf weiteres italienische Kräfte zu Hilfe zu nehmen. Die deutschen Fürsten entschieden sich für das zweite, und so begann denn von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts an in Deutschland eine Invasion italienischer Kunst und italienischer Künstler, die seit den Tagen Gottscheds beklagt und immer nur beklagt worden ist. Sicher hat sie hie und da, auch in Dresden, etwas zu lauge gedauert. Aber an und für sich war sie mehr als unver¬ meidlich, sie war ein Segen. Denn die Oper, die, als ein Sprößling der antiken Tragödie angekündigt, den gesunknen Geist des italienischen Theaters thatsächlich einige Jahrzehnte lang hob, erschien in dem, was sie gab, und uoch mehr in dem, was sie versprach, als die Krone der Kultur. Nicht Prunksucht und Verschwendung, nicht das Beispiel Ludwigs XIV., das noch gar nicht vorlag, trieb, wie den Kaiser und den bairischen Kurfürsten, so auch den sächsischen um 1650 zur Einführung der italienischen Oper, sondern der Glaube an die beste Sache. Es ist von diesem Gesichtspunkt aus ein Ruhm für die Albertiner, daß sie mit Wien und München zu wetteifern vermochten. Zeitweise hatte Dresden die ersten Meister der italienischen Oper, Komponisten wie Pallavieini, Lotti, Hasse, Sänger wie Senesino, die Tesi, die Dnrastauti, Faustina Bordoni. Aus¬ ländisch war die Saat, heimisch die Ernte. Ohne die italienische Oper in Dresden hätte Sachsen auf die endliche Begründung einer deutschen Oper nicht den starken Einfluß geübt, den ihm die Geschichte zuschreiben muß. Es gab Hamburg einen Reinhard Keiser. Es unterstützte die dortigen Versuche von Leipzig her und uoch mehr von deu Seknudogenituren, namentlich von Weißen- fels aus. Mit den Singspielen Johann Adam Hillers war endlich das lange gesuchte Ziel glücklich erreicht. Sie wurden die Eltern der „Zauberflöte" und des „Freischützen." Nicht bloß äußerlich darf das Hillersche Singspiel ein Stück sächsischer Kunst genannt werden. Seinen Kern bilden Lieder, Lieder im Geschmack unsrer Großeltern. Nun zeigt von allen Neubildungen, die die italienische Renaissance der deutschen Musik beschert hat. keine den Stempel sächsischer Bearbeitung so deutlich wie das begleitete Svlolied des siebzehnten und achtzehnten Jnhr- Grcnzl'oder IV 1895 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/33>, abgerufen am 24.07.2024.