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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

eines fünfzehnjährigen Sekundaners sind bekanntlich sehr streng. Nietzsches
Wort, daß es nicht an Lehrern, aber an Erziehern fehle, war damals zwar
noch nicht geschrieben, aber schon ebenso wahr als heute. Thatsache ist, daß,
wen" dieser Mann eine geschichtliche Person lobte oder uns ein geschichtliches
Ereignis als ruhmreich pries, er uns damit die Person und die Sache immer
außerordentlich verdächtig machte. Das stiftete vielen Schaden, aber wie ich
im Laufe der Zeit habe erkennen lernen, auch manchen Nutzen. Ich bin da¬
durch jeder Geschichtschreibung gegenüber ungewöhnlich früh kritisch geworden,
und es ist immerhin etwas wert, daß einem die llew weder in der einen
noch in der andern Auffassung allzusehr imponiren.

Damals waren nun die Merowinger mit den roten Königslocken meinem
Herzen teuer. Die Nachkommen Pharamunds waren für mich die rechtmäßigen
Könige, denn das Geschlecht hatte das Land erobert und gegen eine Welt von
Feinden jahrhundertelang erfolgreich verteidigt. Die karolingischen Hausmeier
aber wnreu nichts andres -- so erklärte ich meinen Beisitzern im weltgeschicht¬
lichen Gericht -- als untreue Verwalter, schlaue Hunde, und was "der"
^ damit war der Lehrer gemeint -- als Nebensache erwähnte, war die Haupt¬
sache: daß Chlodwigs Enkel die Unfreien, die Halbfreien, die Audrustionen,
ihr Hofgesinde und Gefolge durch den Obersten des Gesindes auszahlen ließen,
statt das selber zu thun, daran sind sie zu Grunde gegangen. Wer sich für
der Meier persönliche Zwecke brauchbar erwies, der bekam die besten Lehen,
das größte Einkommen im Namen des Königs, wer sich ihren Pläne" wider¬
setzte, war kein zuverlässiger Diener des Königs und bekam nichts. Natürlich
waren sie die eigentlichen Herren geworden, nachdem das anderthalb Jahr¬
hunderte so gegangen war. Wer den Leuten das Brot vorschneiden kann, der
hat immer die eigentliche Macht.-

Es wurden verschiedne Einwände gemacht: merowingische Schwäche, Ver¬
derbnis der Sitten; aber das kam nicht auf. Es war in der Klasse eine er¬
staunliche Menge nichtofsizieller Kenntnisse vorhanden über den blutigen Karl,
seine "Frauen" und seine Fräulein Töchter. Und "die Karolinger waren auch
nicht besser," war ein fast einstimmig gefülltes Urteil. Nur ein Junge machte
Eindruck. Er sagte ungefähr: aber wenn die Merowinger so dumm waren,
daß sie sich die wirkliche Macht aus den Händen gleiten ließe", ohne es nur
zu merken, wenn sie zuließen, daß ihr Name dazu mißbraucht wurde, ihre
Unterthanen vou andern abhängig zu machen als von ihnen selbst, so ist ihnen
doch ganz recht geschehen, daß sie das Reich verloren.

Der Junge hatte vielleicht Recht. Hatte er aber Recht, dann mögen sich
unsre Könige hüten: der Pariser Rothschild übt heute mehr thatsächliche Macht
nus, als je einer der absoluten Könige Frankreichs. Mit ihm im Verein er¬
hebt Petroleum-Rockefeller von Amerika aus durch seine Steuereinnehmer, die
frühern Importeure, in Deutschland eine Taxe, der sich keiner entziehen kann.


Das Petroleum

eines fünfzehnjährigen Sekundaners sind bekanntlich sehr streng. Nietzsches
Wort, daß es nicht an Lehrern, aber an Erziehern fehle, war damals zwar
noch nicht geschrieben, aber schon ebenso wahr als heute. Thatsache ist, daß,
wen» dieser Mann eine geschichtliche Person lobte oder uns ein geschichtliches
Ereignis als ruhmreich pries, er uns damit die Person und die Sache immer
außerordentlich verdächtig machte. Das stiftete vielen Schaden, aber wie ich
im Laufe der Zeit habe erkennen lernen, auch manchen Nutzen. Ich bin da¬
durch jeder Geschichtschreibung gegenüber ungewöhnlich früh kritisch geworden,
und es ist immerhin etwas wert, daß einem die llew weder in der einen
noch in der andern Auffassung allzusehr imponiren.

Damals waren nun die Merowinger mit den roten Königslocken meinem
Herzen teuer. Die Nachkommen Pharamunds waren für mich die rechtmäßigen
Könige, denn das Geschlecht hatte das Land erobert und gegen eine Welt von
Feinden jahrhundertelang erfolgreich verteidigt. Die karolingischen Hausmeier
aber wnreu nichts andres — so erklärte ich meinen Beisitzern im weltgeschicht¬
lichen Gericht — als untreue Verwalter, schlaue Hunde, und was „der"
^ damit war der Lehrer gemeint — als Nebensache erwähnte, war die Haupt¬
sache: daß Chlodwigs Enkel die Unfreien, die Halbfreien, die Audrustionen,
ihr Hofgesinde und Gefolge durch den Obersten des Gesindes auszahlen ließen,
statt das selber zu thun, daran sind sie zu Grunde gegangen. Wer sich für
der Meier persönliche Zwecke brauchbar erwies, der bekam die besten Lehen,
das größte Einkommen im Namen des Königs, wer sich ihren Pläne» wider¬
setzte, war kein zuverlässiger Diener des Königs und bekam nichts. Natürlich
waren sie die eigentlichen Herren geworden, nachdem das anderthalb Jahr¬
hunderte so gegangen war. Wer den Leuten das Brot vorschneiden kann, der
hat immer die eigentliche Macht.-

Es wurden verschiedne Einwände gemacht: merowingische Schwäche, Ver¬
derbnis der Sitten; aber das kam nicht auf. Es war in der Klasse eine er¬
staunliche Menge nichtofsizieller Kenntnisse vorhanden über den blutigen Karl,
seine „Frauen" und seine Fräulein Töchter. Und „die Karolinger waren auch
nicht besser," war ein fast einstimmig gefülltes Urteil. Nur ein Junge machte
Eindruck. Er sagte ungefähr: aber wenn die Merowinger so dumm waren,
daß sie sich die wirkliche Macht aus den Händen gleiten ließe», ohne es nur
zu merken, wenn sie zuließen, daß ihr Name dazu mißbraucht wurde, ihre
Unterthanen vou andern abhängig zu machen als von ihnen selbst, so ist ihnen
doch ganz recht geschehen, daß sie das Reich verloren.

Der Junge hatte vielleicht Recht. Hatte er aber Recht, dann mögen sich
unsre Könige hüten: der Pariser Rothschild übt heute mehr thatsächliche Macht
nus, als je einer der absoluten Könige Frankreichs. Mit ihm im Verein er¬
hebt Petroleum-Rockefeller von Amerika aus durch seine Steuereinnehmer, die
frühern Importeure, in Deutschland eine Taxe, der sich keiner entziehen kann.


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[0319] Das Petroleum eines fünfzehnjährigen Sekundaners sind bekanntlich sehr streng. Nietzsches Wort, daß es nicht an Lehrern, aber an Erziehern fehle, war damals zwar noch nicht geschrieben, aber schon ebenso wahr als heute. Thatsache ist, daß, wen» dieser Mann eine geschichtliche Person lobte oder uns ein geschichtliches Ereignis als ruhmreich pries, er uns damit die Person und die Sache immer außerordentlich verdächtig machte. Das stiftete vielen Schaden, aber wie ich im Laufe der Zeit habe erkennen lernen, auch manchen Nutzen. Ich bin da¬ durch jeder Geschichtschreibung gegenüber ungewöhnlich früh kritisch geworden, und es ist immerhin etwas wert, daß einem die llew weder in der einen noch in der andern Auffassung allzusehr imponiren. Damals waren nun die Merowinger mit den roten Königslocken meinem Herzen teuer. Die Nachkommen Pharamunds waren für mich die rechtmäßigen Könige, denn das Geschlecht hatte das Land erobert und gegen eine Welt von Feinden jahrhundertelang erfolgreich verteidigt. Die karolingischen Hausmeier aber wnreu nichts andres — so erklärte ich meinen Beisitzern im weltgeschicht¬ lichen Gericht — als untreue Verwalter, schlaue Hunde, und was „der" ^ damit war der Lehrer gemeint — als Nebensache erwähnte, war die Haupt¬ sache: daß Chlodwigs Enkel die Unfreien, die Halbfreien, die Audrustionen, ihr Hofgesinde und Gefolge durch den Obersten des Gesindes auszahlen ließen, statt das selber zu thun, daran sind sie zu Grunde gegangen. Wer sich für der Meier persönliche Zwecke brauchbar erwies, der bekam die besten Lehen, das größte Einkommen im Namen des Königs, wer sich ihren Pläne» wider¬ setzte, war kein zuverlässiger Diener des Königs und bekam nichts. Natürlich waren sie die eigentlichen Herren geworden, nachdem das anderthalb Jahr¬ hunderte so gegangen war. Wer den Leuten das Brot vorschneiden kann, der hat immer die eigentliche Macht.- Es wurden verschiedne Einwände gemacht: merowingische Schwäche, Ver¬ derbnis der Sitten; aber das kam nicht auf. Es war in der Klasse eine er¬ staunliche Menge nichtofsizieller Kenntnisse vorhanden über den blutigen Karl, seine „Frauen" und seine Fräulein Töchter. Und „die Karolinger waren auch nicht besser," war ein fast einstimmig gefülltes Urteil. Nur ein Junge machte Eindruck. Er sagte ungefähr: aber wenn die Merowinger so dumm waren, daß sie sich die wirkliche Macht aus den Händen gleiten ließe», ohne es nur zu merken, wenn sie zuließen, daß ihr Name dazu mißbraucht wurde, ihre Unterthanen vou andern abhängig zu machen als von ihnen selbst, so ist ihnen doch ganz recht geschehen, daß sie das Reich verloren. Der Junge hatte vielleicht Recht. Hatte er aber Recht, dann mögen sich unsre Könige hüten: der Pariser Rothschild übt heute mehr thatsächliche Macht nus, als je einer der absoluten Könige Frankreichs. Mit ihm im Verein er¬ hebt Petroleum-Rockefeller von Amerika aus durch seine Steuereinnehmer, die frühern Importeure, in Deutschland eine Taxe, der sich keiner entziehen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/319>, abgerufen am 27.06.2024.