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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

liebe Glückseligkeit zu erhöhen und einer möglichst großen Zahl alle Wohl¬
thaten der Kultur zugänglich zu machen, immer gelauten ist an die materiellen
Bedingungen des menschlichen Daseins.




U)as verlangen wir von einem bürgerlichen
Gesetzbuch?
>Lin Wort an den Reichstag
Adolf Lobe von(Schluß)
H.. Der Inhalt der Gesetzgebung

le Gesetze sind der Menschen wegen, nicht die Menschen der Ge¬
setze wegen da, sagt Pvrtalis in seiner schon erwähnten Ein-
leitnngsrede zum (üock" vivit. Das ist freilich eine selbstverständ¬
liche Wahrheit. Und doch liegt gerade bei umfassenden Kodi¬
fikationen die Versuchung nahe, sie außer acht zu lassen. Denn
hier wird leicht die strenge Durchführung der Rechtsgedanken vor allem ins
Auge gefaßt. Wie sich aber das Leben nicht als ein Rechenexempel abspielt,
so darf auch der Gesetzgeber die Lebeusverhültnisse nicht blind schematisiren
nud alles nach den Gesetzen der Logik regeln wollen. Die Konsequenz eines
Rech-tssatzes darf nicht weiter durchgeführt werdeu, als es das Lebensbedürfnis
erheischt. Kumanen ius summa im'in-in. Das Ziel, das der Gesetzgeber bei
jeder seiner Vorschriften verfolgen muß, bleibt einzig und allein die Zweck¬
mäßigkeit. Nur ein zweckmäßiges Gesetz ist ein gerechtes Gesetz.

Ob eine Gesetzvorschrift aber zweckmäßig, also gerecht sei oder nicht, kaun
nicht nach einem allgemeine" Billigkeitsgefühl entschieden werden. Das wäre
die Art von Dilettanten der Gesetzgebung. Diese Frage bedarf vielmehr einer
eingehenden Prüfung an der Hand der Erfahrung über die Wirkungen, die
ähnliche und entgegengesetzte Vorschriften auf das wirtschaftliche und sittliche
Leben eines ganzen Volks ausgeübt haben, sie kann nur beantwortet werdeu von
der Kenntnis der gesamten gegenwärtigen wirtschaftlichen und sittlichen Zu¬
stände eines Volks aus. Zweckmäßig ist aber eine einzelne Gesetzvvrschrift,
wenn sie dem Zweck entspricht, den das ganze Gesetz verfolgt. Es ist daher
nötig, sich die Bedeutung und Aufgabe des Zivilrechts für ein Volk über-


Greuzboten IV 1895 34
was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

liebe Glückseligkeit zu erhöhen und einer möglichst großen Zahl alle Wohl¬
thaten der Kultur zugänglich zu machen, immer gelauten ist an die materiellen
Bedingungen des menschlichen Daseins.




U)as verlangen wir von einem bürgerlichen
Gesetzbuch?
>Lin Wort an den Reichstag
Adolf Lobe von(Schluß)
H.. Der Inhalt der Gesetzgebung

le Gesetze sind der Menschen wegen, nicht die Menschen der Ge¬
setze wegen da, sagt Pvrtalis in seiner schon erwähnten Ein-
leitnngsrede zum (üock« vivit. Das ist freilich eine selbstverständ¬
liche Wahrheit. Und doch liegt gerade bei umfassenden Kodi¬
fikationen die Versuchung nahe, sie außer acht zu lassen. Denn
hier wird leicht die strenge Durchführung der Rechtsgedanken vor allem ins
Auge gefaßt. Wie sich aber das Leben nicht als ein Rechenexempel abspielt,
so darf auch der Gesetzgeber die Lebeusverhültnisse nicht blind schematisiren
nud alles nach den Gesetzen der Logik regeln wollen. Die Konsequenz eines
Rech-tssatzes darf nicht weiter durchgeführt werdeu, als es das Lebensbedürfnis
erheischt. Kumanen ius summa im'in-in. Das Ziel, das der Gesetzgeber bei
jeder seiner Vorschriften verfolgen muß, bleibt einzig und allein die Zweck¬
mäßigkeit. Nur ein zweckmäßiges Gesetz ist ein gerechtes Gesetz.

Ob eine Gesetzvorschrift aber zweckmäßig, also gerecht sei oder nicht, kaun
nicht nach einem allgemeine» Billigkeitsgefühl entschieden werden. Das wäre
die Art von Dilettanten der Gesetzgebung. Diese Frage bedarf vielmehr einer
eingehenden Prüfung an der Hand der Erfahrung über die Wirkungen, die
ähnliche und entgegengesetzte Vorschriften auf das wirtschaftliche und sittliche
Leben eines ganzen Volks ausgeübt haben, sie kann nur beantwortet werdeu von
der Kenntnis der gesamten gegenwärtigen wirtschaftlichen und sittlichen Zu¬
stände eines Volks aus. Zweckmäßig ist aber eine einzelne Gesetzvvrschrift,
wenn sie dem Zweck entspricht, den das ganze Gesetz verfolgt. Es ist daher
nötig, sich die Bedeutung und Aufgabe des Zivilrechts für ein Volk über-


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[0273] was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? liebe Glückseligkeit zu erhöhen und einer möglichst großen Zahl alle Wohl¬ thaten der Kultur zugänglich zu machen, immer gelauten ist an die materiellen Bedingungen des menschlichen Daseins. U)as verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? >Lin Wort an den Reichstag Adolf Lobe von(Schluß) H.. Der Inhalt der Gesetzgebung le Gesetze sind der Menschen wegen, nicht die Menschen der Ge¬ setze wegen da, sagt Pvrtalis in seiner schon erwähnten Ein- leitnngsrede zum (üock« vivit. Das ist freilich eine selbstverständ¬ liche Wahrheit. Und doch liegt gerade bei umfassenden Kodi¬ fikationen die Versuchung nahe, sie außer acht zu lassen. Denn hier wird leicht die strenge Durchführung der Rechtsgedanken vor allem ins Auge gefaßt. Wie sich aber das Leben nicht als ein Rechenexempel abspielt, so darf auch der Gesetzgeber die Lebeusverhültnisse nicht blind schematisiren nud alles nach den Gesetzen der Logik regeln wollen. Die Konsequenz eines Rech-tssatzes darf nicht weiter durchgeführt werdeu, als es das Lebensbedürfnis erheischt. Kumanen ius summa im'in-in. Das Ziel, das der Gesetzgeber bei jeder seiner Vorschriften verfolgen muß, bleibt einzig und allein die Zweck¬ mäßigkeit. Nur ein zweckmäßiges Gesetz ist ein gerechtes Gesetz. Ob eine Gesetzvorschrift aber zweckmäßig, also gerecht sei oder nicht, kaun nicht nach einem allgemeine» Billigkeitsgefühl entschieden werden. Das wäre die Art von Dilettanten der Gesetzgebung. Diese Frage bedarf vielmehr einer eingehenden Prüfung an der Hand der Erfahrung über die Wirkungen, die ähnliche und entgegengesetzte Vorschriften auf das wirtschaftliche und sittliche Leben eines ganzen Volks ausgeübt haben, sie kann nur beantwortet werdeu von der Kenntnis der gesamten gegenwärtigen wirtschaftlichen und sittlichen Zu¬ stände eines Volks aus. Zweckmäßig ist aber eine einzelne Gesetzvvrschrift, wenn sie dem Zweck entspricht, den das ganze Gesetz verfolgt. Es ist daher nötig, sich die Bedeutung und Aufgabe des Zivilrechts für ein Volk über- Greuzboten IV 1895 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/273>, abgerufen am 26.07.2024.