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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Kunst und Polizei

Stelle ästhetisch motivirt sei oder nicht. Wir sehen in dieser ganzen Agitation
nichts weiter als Prüderie und versteckte Lüsternheit, wie das auch in einem
hübschen Gedicht einer Münchner Zeitung vor kurzem mit Recht hervorgehoben
worden ist.*) Wir sind überzeugt, daß, wen" Schiller und Goethe jetzt lebten,
sie mit aller Entschiedenheit gegen diese Bevormundung der Kunst Einspruch
erheben würden. Und wenn man ihre Werke, z. V. die Räuber und die Rö¬
mischen Elegien heute einem Polizeipräsidenten vorlegte, ohne ihm vorher zu
sagen, daß es Werke von Schiller und Goethe sind, wir zweifeln nicht daran,
daß er sie nach den jetzt herrschenden Prinzipien in Grund und Boden ver¬
dammen und ihre Aufführung und ihren Druck verbieten würde. Unsre großen
Klassiker wußten sehr wohl, daß eine heitere Sinnlichkeit und eine Betonung
des Reinmenschlichen in der Kunst nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten
ist, und daß uns die Kunst als ein heiteres Spiel des menschlichen Geistes, nicht
als eine finstere Gouvernante oder eine Betschwester betrachten sollen. Es giebt
Dinge, an denen ein naiver Mensch keinen Anstoß nimmt, sondern nur der,
dessen Phantasie schon vergiftet ist. Dem Reinen ist alles rein. Aber "dem
Schwein ist alles Schwein," hat Nietzsche einmal gesagt. Und der Fall Hammer¬
stein hat uns ja zur Genüge gezeigt, daß es in gewissen Kreisen Leute giebt,
die zwar mit vollen Backen über die Unsittlichkeit der modernen Gesellschaft und
besonders auch der Kunst zu posaunen wissen, dabei aber selbst einen keineswegs
sittlichen Lebenswandel führen. Diese Herren haben eben eine verschiedne Moral,
eine künstlerische und eine wirkliche. In der künstlerischen sind sie streng, hart
bis zum Übermaß, in der wirklichen lax und leichtfertig, jeder persönlichem
Laune nachgebend.

Wir möchten nicht, daß sich unsre staatlichen oder städtischen Behörden
durch uuangcbrachte Nachgiebigkeit gegen konservative oder ultramontane Strö¬
mungen zu Handlungen hinreißen ließen, die weitern Kreisen ein Recht zur
Vergleichung mit Leuten dieses Schlages gäben. Wer die Urteile über moderne
Kunst kennt, die vielfach in unsern hochkonservativen Kreisen geäußert werden,
und wer sie mit der freien Auffassung gewisser Lebensverhältnisse, die in den¬
selben Kreisen herrschen, vergleicht, dem wird es schwer, ein Lachen zurückzu¬
drängen. Nach deu Ereignissen in der Redaktion der Kreuzzeitung wird man
es uns wenigstens verzeihen, daß auf uns diese Agitation gegen das soge¬
nannte Unsittliche in der Kunst keinen Eindruck mehr macht. Wenn der Mensch
einmal ein gewisses Quantum von Unsittlichkeit oder sagen wir besser Sinn¬
lichkeit braucht, so halten wir es immer noch für besser, daß ihm diese Sinn¬
lichkeit auf dem Wege der Kunst, als daß sie ihm auf dem Wege des Lebens



*) Wenn die Polizei etwas thun will, so mag sie gegen die "Kunsthandlungen vor¬
gehen, an deren Schaufenstern das ganze Jahr über Photographien hängen, die in der Mitte
mit D. R, roten Pnpicrstrcifcn verklebt sind.
Kunst und Polizei

Stelle ästhetisch motivirt sei oder nicht. Wir sehen in dieser ganzen Agitation
nichts weiter als Prüderie und versteckte Lüsternheit, wie das auch in einem
hübschen Gedicht einer Münchner Zeitung vor kurzem mit Recht hervorgehoben
worden ist.*) Wir sind überzeugt, daß, wen« Schiller und Goethe jetzt lebten,
sie mit aller Entschiedenheit gegen diese Bevormundung der Kunst Einspruch
erheben würden. Und wenn man ihre Werke, z. V. die Räuber und die Rö¬
mischen Elegien heute einem Polizeipräsidenten vorlegte, ohne ihm vorher zu
sagen, daß es Werke von Schiller und Goethe sind, wir zweifeln nicht daran,
daß er sie nach den jetzt herrschenden Prinzipien in Grund und Boden ver¬
dammen und ihre Aufführung und ihren Druck verbieten würde. Unsre großen
Klassiker wußten sehr wohl, daß eine heitere Sinnlichkeit und eine Betonung
des Reinmenschlichen in der Kunst nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten
ist, und daß uns die Kunst als ein heiteres Spiel des menschlichen Geistes, nicht
als eine finstere Gouvernante oder eine Betschwester betrachten sollen. Es giebt
Dinge, an denen ein naiver Mensch keinen Anstoß nimmt, sondern nur der,
dessen Phantasie schon vergiftet ist. Dem Reinen ist alles rein. Aber „dem
Schwein ist alles Schwein," hat Nietzsche einmal gesagt. Und der Fall Hammer¬
stein hat uns ja zur Genüge gezeigt, daß es in gewissen Kreisen Leute giebt,
die zwar mit vollen Backen über die Unsittlichkeit der modernen Gesellschaft und
besonders auch der Kunst zu posaunen wissen, dabei aber selbst einen keineswegs
sittlichen Lebenswandel führen. Diese Herren haben eben eine verschiedne Moral,
eine künstlerische und eine wirkliche. In der künstlerischen sind sie streng, hart
bis zum Übermaß, in der wirklichen lax und leichtfertig, jeder persönlichem
Laune nachgebend.

Wir möchten nicht, daß sich unsre staatlichen oder städtischen Behörden
durch uuangcbrachte Nachgiebigkeit gegen konservative oder ultramontane Strö¬
mungen zu Handlungen hinreißen ließen, die weitern Kreisen ein Recht zur
Vergleichung mit Leuten dieses Schlages gäben. Wer die Urteile über moderne
Kunst kennt, die vielfach in unsern hochkonservativen Kreisen geäußert werden,
und wer sie mit der freien Auffassung gewisser Lebensverhältnisse, die in den¬
selben Kreisen herrschen, vergleicht, dem wird es schwer, ein Lachen zurückzu¬
drängen. Nach deu Ereignissen in der Redaktion der Kreuzzeitung wird man
es uns wenigstens verzeihen, daß auf uns diese Agitation gegen das soge¬
nannte Unsittliche in der Kunst keinen Eindruck mehr macht. Wenn der Mensch
einmal ein gewisses Quantum von Unsittlichkeit oder sagen wir besser Sinn¬
lichkeit braucht, so halten wir es immer noch für besser, daß ihm diese Sinn¬
lichkeit auf dem Wege der Kunst, als daß sie ihm auf dem Wege des Lebens



*) Wenn die Polizei etwas thun will, so mag sie gegen die „Kunsthandlungen vor¬
gehen, an deren Schaufenstern das ganze Jahr über Photographien hängen, die in der Mitte
mit D. R, roten Pnpicrstrcifcn verklebt sind.
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[0237] Kunst und Polizei Stelle ästhetisch motivirt sei oder nicht. Wir sehen in dieser ganzen Agitation nichts weiter als Prüderie und versteckte Lüsternheit, wie das auch in einem hübschen Gedicht einer Münchner Zeitung vor kurzem mit Recht hervorgehoben worden ist.*) Wir sind überzeugt, daß, wen« Schiller und Goethe jetzt lebten, sie mit aller Entschiedenheit gegen diese Bevormundung der Kunst Einspruch erheben würden. Und wenn man ihre Werke, z. V. die Räuber und die Rö¬ mischen Elegien heute einem Polizeipräsidenten vorlegte, ohne ihm vorher zu sagen, daß es Werke von Schiller und Goethe sind, wir zweifeln nicht daran, daß er sie nach den jetzt herrschenden Prinzipien in Grund und Boden ver¬ dammen und ihre Aufführung und ihren Druck verbieten würde. Unsre großen Klassiker wußten sehr wohl, daß eine heitere Sinnlichkeit und eine Betonung des Reinmenschlichen in der Kunst nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten ist, und daß uns die Kunst als ein heiteres Spiel des menschlichen Geistes, nicht als eine finstere Gouvernante oder eine Betschwester betrachten sollen. Es giebt Dinge, an denen ein naiver Mensch keinen Anstoß nimmt, sondern nur der, dessen Phantasie schon vergiftet ist. Dem Reinen ist alles rein. Aber „dem Schwein ist alles Schwein," hat Nietzsche einmal gesagt. Und der Fall Hammer¬ stein hat uns ja zur Genüge gezeigt, daß es in gewissen Kreisen Leute giebt, die zwar mit vollen Backen über die Unsittlichkeit der modernen Gesellschaft und besonders auch der Kunst zu posaunen wissen, dabei aber selbst einen keineswegs sittlichen Lebenswandel führen. Diese Herren haben eben eine verschiedne Moral, eine künstlerische und eine wirkliche. In der künstlerischen sind sie streng, hart bis zum Übermaß, in der wirklichen lax und leichtfertig, jeder persönlichem Laune nachgebend. Wir möchten nicht, daß sich unsre staatlichen oder städtischen Behörden durch uuangcbrachte Nachgiebigkeit gegen konservative oder ultramontane Strö¬ mungen zu Handlungen hinreißen ließen, die weitern Kreisen ein Recht zur Vergleichung mit Leuten dieses Schlages gäben. Wer die Urteile über moderne Kunst kennt, die vielfach in unsern hochkonservativen Kreisen geäußert werden, und wer sie mit der freien Auffassung gewisser Lebensverhältnisse, die in den¬ selben Kreisen herrschen, vergleicht, dem wird es schwer, ein Lachen zurückzu¬ drängen. Nach deu Ereignissen in der Redaktion der Kreuzzeitung wird man es uns wenigstens verzeihen, daß auf uns diese Agitation gegen das soge¬ nannte Unsittliche in der Kunst keinen Eindruck mehr macht. Wenn der Mensch einmal ein gewisses Quantum von Unsittlichkeit oder sagen wir besser Sinn¬ lichkeit braucht, so halten wir es immer noch für besser, daß ihm diese Sinn¬ lichkeit auf dem Wege der Kunst, als daß sie ihm auf dem Wege des Lebens *) Wenn die Polizei etwas thun will, so mag sie gegen die „Kunsthandlungen vor¬ gehen, an deren Schaufenstern das ganze Jahr über Photographien hängen, die in der Mitte mit D. R, roten Pnpicrstrcifcn verklebt sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/237>, abgerufen am 01.07.2024.