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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Kunst und Polizei

zugeführt wird. "Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst," sagt Schiller, und
er hat damit die Quintessenz jeder gesunden Ästhetik in wenige Worte zusammen¬
gefaßt. Weil aber viele Leute den tiefen Sinn dieser Worte nicht verstehen
und immer den Inhalt und die sittliche Tendenz als die Hauptsache beim
Kunstwerk betonen, die Kunst um keinen Preis zur "Vergnügungskommissarin"
erniedrigen möchten, so wollen wir, um ihrem schwachen Gedächtnis etwas auf¬
zuhelfen, sie an ein paar Worte desselben Schiller erinnern, die ihnen wahr¬
scheinlich nicht mehr gegenwärtig sind.

Erstens: "Wie sehr auch einige neuere Ästhetiker sichs zum Geschäft machen,
die Künste der Phantasie und Empfindung gegen den allgemeinen Glauben,
daß sie auf Vergnügen abzwecken, wie gegen einen herabsetzenden Vorwurf zu
verteidigen, so wird dieser Glaube dennoch nach wie vor ans seinem festen
Grunde bestehen, und die schönen Künste werden ihren althergebrachten, un¬
bestreitbaren und wohlthätigen Beruf nicht gern mit einem neue" vertauschen,
zu welchem man sie großmütig erhöhen will."

Ferner: "In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts,
die Form aber alles thun. Denn durch die Form allein wird auf das Ganze
des Menschen, durch den Inhalt hingegen nnr auf einzelne Kräfte gewirkt.
Der Inhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sei, wirkt also jederzeit
einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische
Freiheit zu erwarten. Darin also besteht das eigentliche Kuustgeheimnis des
Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt, und je imposanter, an¬
maßender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger der¬
selbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, desto triumphirender ist die Kunst,
welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet."

Endlich: "Die wohlgemeinte Absicht, das Moralische überall als höchsten
Zweck zu verfolgen, die in der Kunst schon so manches Mittelmäßige erzeugte und
in Schutz nahm, hat auch in der Theorie einen ähnlichen Schaden angerichtet.
Um den Künsten einen recht hohen Rang anzuweisen, um ihnen die Gunst des
Staates, die Ehrfurcht aller Menschen zu erwerben, vertreibt man sie ans
ihrem eigentümlichen Gebiet, um ihnen einen Beruf aufzudrängen, der ihnen
ganz fremd und ganz unerträglich ist. Man glaubt ihnen einen großen Dienst
zu erweisen, indem man ihnen anstatt des frivolen Zwecks, zu ergötzen, einen
moralischen unterschiebt. . . Ist der Zweck moralisch, so fällt eben das Ver¬
gnügen weg, das Spiel verwandelt sich in Ernst. Und doch ist es gerade
das Spiel, wodurch sie (die Kunst) das Geschäft am besten vollführen kann.
Nur indem sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllt, wird sie einen wohl¬
thätigen Einfluß auf die Sittlichkeit haben. Aber nur indem sie ihre völlige
Freiheit ausübt, kann sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllen."

Das sind goldne Worte, an die man sich in Zeiten der Reaktion und
schulmeisterliche" Bevormundung erinnern sollte. Durch Polizeimaßregeln wird


Kunst und Polizei

zugeführt wird. „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst," sagt Schiller, und
er hat damit die Quintessenz jeder gesunden Ästhetik in wenige Worte zusammen¬
gefaßt. Weil aber viele Leute den tiefen Sinn dieser Worte nicht verstehen
und immer den Inhalt und die sittliche Tendenz als die Hauptsache beim
Kunstwerk betonen, die Kunst um keinen Preis zur „Vergnügungskommissarin"
erniedrigen möchten, so wollen wir, um ihrem schwachen Gedächtnis etwas auf¬
zuhelfen, sie an ein paar Worte desselben Schiller erinnern, die ihnen wahr¬
scheinlich nicht mehr gegenwärtig sind.

Erstens: „Wie sehr auch einige neuere Ästhetiker sichs zum Geschäft machen,
die Künste der Phantasie und Empfindung gegen den allgemeinen Glauben,
daß sie auf Vergnügen abzwecken, wie gegen einen herabsetzenden Vorwurf zu
verteidigen, so wird dieser Glaube dennoch nach wie vor ans seinem festen
Grunde bestehen, und die schönen Künste werden ihren althergebrachten, un¬
bestreitbaren und wohlthätigen Beruf nicht gern mit einem neue» vertauschen,
zu welchem man sie großmütig erhöhen will."

Ferner: „In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts,
die Form aber alles thun. Denn durch die Form allein wird auf das Ganze
des Menschen, durch den Inhalt hingegen nnr auf einzelne Kräfte gewirkt.
Der Inhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sei, wirkt also jederzeit
einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische
Freiheit zu erwarten. Darin also besteht das eigentliche Kuustgeheimnis des
Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt, und je imposanter, an¬
maßender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger der¬
selbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, desto triumphirender ist die Kunst,
welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet."

Endlich: „Die wohlgemeinte Absicht, das Moralische überall als höchsten
Zweck zu verfolgen, die in der Kunst schon so manches Mittelmäßige erzeugte und
in Schutz nahm, hat auch in der Theorie einen ähnlichen Schaden angerichtet.
Um den Künsten einen recht hohen Rang anzuweisen, um ihnen die Gunst des
Staates, die Ehrfurcht aller Menschen zu erwerben, vertreibt man sie ans
ihrem eigentümlichen Gebiet, um ihnen einen Beruf aufzudrängen, der ihnen
ganz fremd und ganz unerträglich ist. Man glaubt ihnen einen großen Dienst
zu erweisen, indem man ihnen anstatt des frivolen Zwecks, zu ergötzen, einen
moralischen unterschiebt. . . Ist der Zweck moralisch, so fällt eben das Ver¬
gnügen weg, das Spiel verwandelt sich in Ernst. Und doch ist es gerade
das Spiel, wodurch sie (die Kunst) das Geschäft am besten vollführen kann.
Nur indem sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllt, wird sie einen wohl¬
thätigen Einfluß auf die Sittlichkeit haben. Aber nur indem sie ihre völlige
Freiheit ausübt, kann sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllen."

Das sind goldne Worte, an die man sich in Zeiten der Reaktion und
schulmeisterliche» Bevormundung erinnern sollte. Durch Polizeimaßregeln wird


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[0238] Kunst und Polizei zugeführt wird. „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst," sagt Schiller, und er hat damit die Quintessenz jeder gesunden Ästhetik in wenige Worte zusammen¬ gefaßt. Weil aber viele Leute den tiefen Sinn dieser Worte nicht verstehen und immer den Inhalt und die sittliche Tendenz als die Hauptsache beim Kunstwerk betonen, die Kunst um keinen Preis zur „Vergnügungskommissarin" erniedrigen möchten, so wollen wir, um ihrem schwachen Gedächtnis etwas auf¬ zuhelfen, sie an ein paar Worte desselben Schiller erinnern, die ihnen wahr¬ scheinlich nicht mehr gegenwärtig sind. Erstens: „Wie sehr auch einige neuere Ästhetiker sichs zum Geschäft machen, die Künste der Phantasie und Empfindung gegen den allgemeinen Glauben, daß sie auf Vergnügen abzwecken, wie gegen einen herabsetzenden Vorwurf zu verteidigen, so wird dieser Glaube dennoch nach wie vor ans seinem festen Grunde bestehen, und die schönen Künste werden ihren althergebrachten, un¬ bestreitbaren und wohlthätigen Beruf nicht gern mit einem neue» vertauschen, zu welchem man sie großmütig erhöhen will." Ferner: „In einem wahrhaft schönen Kunstwerk soll der Inhalt nichts, die Form aber alles thun. Denn durch die Form allein wird auf das Ganze des Menschen, durch den Inhalt hingegen nnr auf einzelne Kräfte gewirkt. Der Inhalt, wie erhaben und weitumfassend er auch sei, wirkt also jederzeit einschränkend auf den Geist, und nur von der Form ist wahre ästhetische Freiheit zu erwarten. Darin also besteht das eigentliche Kuustgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt, und je imposanter, an¬ maßender, verführerischer der Stoff an sich selbst ist, je eigenmächtiger der¬ selbe mit seiner Wirkung sich vordrängt, desto triumphirender ist die Kunst, welche jenen zurückzwingt und über diesen die Herrschaft behauptet." Endlich: „Die wohlgemeinte Absicht, das Moralische überall als höchsten Zweck zu verfolgen, die in der Kunst schon so manches Mittelmäßige erzeugte und in Schutz nahm, hat auch in der Theorie einen ähnlichen Schaden angerichtet. Um den Künsten einen recht hohen Rang anzuweisen, um ihnen die Gunst des Staates, die Ehrfurcht aller Menschen zu erwerben, vertreibt man sie ans ihrem eigentümlichen Gebiet, um ihnen einen Beruf aufzudrängen, der ihnen ganz fremd und ganz unerträglich ist. Man glaubt ihnen einen großen Dienst zu erweisen, indem man ihnen anstatt des frivolen Zwecks, zu ergötzen, einen moralischen unterschiebt. . . Ist der Zweck moralisch, so fällt eben das Ver¬ gnügen weg, das Spiel verwandelt sich in Ernst. Und doch ist es gerade das Spiel, wodurch sie (die Kunst) das Geschäft am besten vollführen kann. Nur indem sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllt, wird sie einen wohl¬ thätigen Einfluß auf die Sittlichkeit haben. Aber nur indem sie ihre völlige Freiheit ausübt, kann sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllen." Das sind goldne Worte, an die man sich in Zeiten der Reaktion und schulmeisterliche» Bevormundung erinnern sollte. Durch Polizeimaßregeln wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/238>, abgerufen am 29.06.2024.