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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Uunst und Polizei

harte Brunueububerl zu nötigen. Darauf kam aber in den Blättern eine Er¬
klärung, daß weder das Protestantische Pfarramt noch die protestantische Kirchen¬
verwaltung etwas mit dieser Agitation zu thun habe. Dagegen sei die Frage
im ultramontanen Wahlverein lebhaft besprochen worden, und höhere katho¬
lische Geistliche hätten erklärt: Der Brunnen muß weg!

Natürlich haben diese Ereignisse nicht nnr in München, sondern auch
anderwärts das peinlichste Aussehen erregt, und man kann sich denken, daß bei
der bekannten Rivalität zwischen Berlin und München in künstlerischen Dingen
besonders die Berliner Blätter nicht wenig über die Blamage, die sich die
Kunststadt München zugezogen hatte, frohlockten. Thatsächlich liegt die Sache
so, daß die wirklich gebildeten Kreise der Stadt München sowohl über den
Borgang im Kupferstichkabinett wie über die Brunnengeschichte im höchsten
Maße empört sind, und daß diese ganze Agitation nur von bestimmten Kreisen
ausgegangen ist, die niemals in dem Geruch feiner Bildung gestanden haben.
Und auch wir möchten nun einmal den Spaß beiseite setzen und ein ernstes
Wort mit den Herren reden, die hier im Hintergrunde stehen.

Seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, daß von konservativer und ultra-
moutaucr Seite der Kunst Daumenschrauben angelegt werden sollen. Den Vor¬
wand dafür haben einige allerdings zweifelhafte Kunstprodukte der jüngsten Zeit
geboten, die eine sozialistische oder eine unsittliche Tendenz verfolgen. Wir mi߬
billigen diese Tendenz aus verschiednen Gründen, erstens weil wir die Tendenz
in der Kunst überhaupt mißbilligen, sobald sie sich einseitig vordrängt, und
zweitens weil wir das Ziel gerade dieser Tendenz auch sachlich für verwerflich
halten. Die beiden Beispiele aber, die wir angeführt haben, und deren zeitliches
Zusammentreffen ans eine planmäßige Agitation zu weisen scheint, zeigen, daß
man nicht gewillt ist, das wirklich Verwerfliche in unsrer modernem Kunst von
dem echt Künstlerischen zu unterscheiden. Auch gewisse Erscheinungen in katho¬
lischen Kuustzeitschriften beweisen, daß man nachgerade jedes Kunstwerk, das
einen heiter sinnlichen Charakter hat oder die Dinge so darstellt, wie sie wirk¬
lich sind, als Produkt einer unsittlichen oder, wie man sich auszudrücken liebt,
"roh naturalistischen" Geistesrichtung zu brandmarken Willens ist. Wir legen
hier mit aller Entschiedenheit Protest gegen diese Bemühungen ein, weil wir
der Überzeugung sind, daß dadurch eine freie und gesunde Entwicklung der
Kunst untergraben wird. Wir sprechen weder einem beliebigen katholischen
Pfarrer, noch einem reaktionären Polizeipräsidenten, noch einem gegen ultra-
montane Wünsche nachgiebigen Kultusminister das Recht zu, darüber zu
entscheiden, ob die Wahrheit oder Sinnlichkeit in einem Kunstwerke sitt¬
lich anstößig sei oder nicht. Die ästhetische Bildung unsrer sogenannten
höhern Kreise ist nicht derart, daß man einem beliebigen Beamten überlassen
könnte, darüber zu befinden, ob in einem Kunstwerke die Natur zu sehr oder
z" wenig nachgeahmt sei, ob die Nacktheit einer Figur an einer bestimmten


Uunst und Polizei

harte Brunueububerl zu nötigen. Darauf kam aber in den Blättern eine Er¬
klärung, daß weder das Protestantische Pfarramt noch die protestantische Kirchen¬
verwaltung etwas mit dieser Agitation zu thun habe. Dagegen sei die Frage
im ultramontanen Wahlverein lebhaft besprochen worden, und höhere katho¬
lische Geistliche hätten erklärt: Der Brunnen muß weg!

Natürlich haben diese Ereignisse nicht nnr in München, sondern auch
anderwärts das peinlichste Aussehen erregt, und man kann sich denken, daß bei
der bekannten Rivalität zwischen Berlin und München in künstlerischen Dingen
besonders die Berliner Blätter nicht wenig über die Blamage, die sich die
Kunststadt München zugezogen hatte, frohlockten. Thatsächlich liegt die Sache
so, daß die wirklich gebildeten Kreise der Stadt München sowohl über den
Borgang im Kupferstichkabinett wie über die Brunnengeschichte im höchsten
Maße empört sind, und daß diese ganze Agitation nur von bestimmten Kreisen
ausgegangen ist, die niemals in dem Geruch feiner Bildung gestanden haben.
Und auch wir möchten nun einmal den Spaß beiseite setzen und ein ernstes
Wort mit den Herren reden, die hier im Hintergrunde stehen.

Seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, daß von konservativer und ultra-
moutaucr Seite der Kunst Daumenschrauben angelegt werden sollen. Den Vor¬
wand dafür haben einige allerdings zweifelhafte Kunstprodukte der jüngsten Zeit
geboten, die eine sozialistische oder eine unsittliche Tendenz verfolgen. Wir mi߬
billigen diese Tendenz aus verschiednen Gründen, erstens weil wir die Tendenz
in der Kunst überhaupt mißbilligen, sobald sie sich einseitig vordrängt, und
zweitens weil wir das Ziel gerade dieser Tendenz auch sachlich für verwerflich
halten. Die beiden Beispiele aber, die wir angeführt haben, und deren zeitliches
Zusammentreffen ans eine planmäßige Agitation zu weisen scheint, zeigen, daß
man nicht gewillt ist, das wirklich Verwerfliche in unsrer modernem Kunst von
dem echt Künstlerischen zu unterscheiden. Auch gewisse Erscheinungen in katho¬
lischen Kuustzeitschriften beweisen, daß man nachgerade jedes Kunstwerk, das
einen heiter sinnlichen Charakter hat oder die Dinge so darstellt, wie sie wirk¬
lich sind, als Produkt einer unsittlichen oder, wie man sich auszudrücken liebt,
„roh naturalistischen" Geistesrichtung zu brandmarken Willens ist. Wir legen
hier mit aller Entschiedenheit Protest gegen diese Bemühungen ein, weil wir
der Überzeugung sind, daß dadurch eine freie und gesunde Entwicklung der
Kunst untergraben wird. Wir sprechen weder einem beliebigen katholischen
Pfarrer, noch einem reaktionären Polizeipräsidenten, noch einem gegen ultra-
montane Wünsche nachgiebigen Kultusminister das Recht zu, darüber zu
entscheiden, ob die Wahrheit oder Sinnlichkeit in einem Kunstwerke sitt¬
lich anstößig sei oder nicht. Die ästhetische Bildung unsrer sogenannten
höhern Kreise ist nicht derart, daß man einem beliebigen Beamten überlassen
könnte, darüber zu befinden, ob in einem Kunstwerke die Natur zu sehr oder
z» wenig nachgeahmt sei, ob die Nacktheit einer Figur an einer bestimmten


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[0236] Uunst und Polizei harte Brunueububerl zu nötigen. Darauf kam aber in den Blättern eine Er¬ klärung, daß weder das Protestantische Pfarramt noch die protestantische Kirchen¬ verwaltung etwas mit dieser Agitation zu thun habe. Dagegen sei die Frage im ultramontanen Wahlverein lebhaft besprochen worden, und höhere katho¬ lische Geistliche hätten erklärt: Der Brunnen muß weg! Natürlich haben diese Ereignisse nicht nnr in München, sondern auch anderwärts das peinlichste Aussehen erregt, und man kann sich denken, daß bei der bekannten Rivalität zwischen Berlin und München in künstlerischen Dingen besonders die Berliner Blätter nicht wenig über die Blamage, die sich die Kunststadt München zugezogen hatte, frohlockten. Thatsächlich liegt die Sache so, daß die wirklich gebildeten Kreise der Stadt München sowohl über den Borgang im Kupferstichkabinett wie über die Brunnengeschichte im höchsten Maße empört sind, und daß diese ganze Agitation nur von bestimmten Kreisen ausgegangen ist, die niemals in dem Geruch feiner Bildung gestanden haben. Und auch wir möchten nun einmal den Spaß beiseite setzen und ein ernstes Wort mit den Herren reden, die hier im Hintergrunde stehen. Seit einiger Zeit mehren sich die Anzeichen, daß von konservativer und ultra- moutaucr Seite der Kunst Daumenschrauben angelegt werden sollen. Den Vor¬ wand dafür haben einige allerdings zweifelhafte Kunstprodukte der jüngsten Zeit geboten, die eine sozialistische oder eine unsittliche Tendenz verfolgen. Wir mi߬ billigen diese Tendenz aus verschiednen Gründen, erstens weil wir die Tendenz in der Kunst überhaupt mißbilligen, sobald sie sich einseitig vordrängt, und zweitens weil wir das Ziel gerade dieser Tendenz auch sachlich für verwerflich halten. Die beiden Beispiele aber, die wir angeführt haben, und deren zeitliches Zusammentreffen ans eine planmäßige Agitation zu weisen scheint, zeigen, daß man nicht gewillt ist, das wirklich Verwerfliche in unsrer modernem Kunst von dem echt Künstlerischen zu unterscheiden. Auch gewisse Erscheinungen in katho¬ lischen Kuustzeitschriften beweisen, daß man nachgerade jedes Kunstwerk, das einen heiter sinnlichen Charakter hat oder die Dinge so darstellt, wie sie wirk¬ lich sind, als Produkt einer unsittlichen oder, wie man sich auszudrücken liebt, „roh naturalistischen" Geistesrichtung zu brandmarken Willens ist. Wir legen hier mit aller Entschiedenheit Protest gegen diese Bemühungen ein, weil wir der Überzeugung sind, daß dadurch eine freie und gesunde Entwicklung der Kunst untergraben wird. Wir sprechen weder einem beliebigen katholischen Pfarrer, noch einem reaktionären Polizeipräsidenten, noch einem gegen ultra- montane Wünsche nachgiebigen Kultusminister das Recht zu, darüber zu entscheiden, ob die Wahrheit oder Sinnlichkeit in einem Kunstwerke sitt¬ lich anstößig sei oder nicht. Die ästhetische Bildung unsrer sogenannten höhern Kreise ist nicht derart, daß man einem beliebigen Beamten überlassen könnte, darüber zu befinden, ob in einem Kunstwerke die Natur zu sehr oder z» wenig nachgeahmt sei, ob die Nacktheit einer Figur an einer bestimmten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/236>, abgerufen am 02.10.2024.