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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Line englische Bürgerkuiide

dem Sprung vom Absolutismus bis zum allgemeinen Wahlrecht kaum ein
Vierteljahrhundert gebraucht hat, daß der ganze Aufbau unsrer Neichseinrich-
tungen verglichen mit dem langsamen Werden des englischen Selfgoveruement
fast wie aus der Erde gestampft erscheint, so begreift man, wie das Errungne
und Bestehende auch in viel höherm Grade Gemeingut der englischen Nation
hat werden müssen als bei uns. Der Hauptzweck des Maldenschen Buches
ist daher, seinen Landsleuten zu Gemüte zu führen, wie die Größe und das
Glück Englands aus der Tüchtigkeit der Vorfahren erblüht seien und deshalb
auch die unausgesetzten Anstrengungen jedes einzelnen Gliedes des lebenden
Geschlechts erfordern, um England den Enkeln noch größer und glücklicher zu
überliefern. So ist das Buch von edelm und stolzem Patriotismus erfüllt und
ein rühmliches Zeugnis dafür, wie wenig der Parteigeist imstande ist, die eng¬
lische Nation ihrem einen großen Ziele abspenstig zu machen, das kein geringeres
ist als die Weltherrschaft. Da dieses Ziel auch Deutschland recht nahe an¬
geht, so ist es für uns sehr nützlich, sich über das Geheimnis der englischen
Erfolge Rechenschaft zu geben und es nicht zu verschmähen, von unsern angel¬
sächsischen Vettern zu lernen, so wenig sie uns auch zu Zeiten sympathisch sein
mögen, und so sehr wir auch unsre Eigenart uns zu erhalten wünschen müssen.
Das Maldensche Buch ist hierzu ein vorzügliches Hilfsmittel, da der Verfasser
offenbar die ganze Fülle der politischen Bildung seiner Nation in sich ver¬
einigt.

Äußere Machtmittel siud es offenbar nicht gewesen, die England groß
gemacht haben. Die Landarmee ist, verglichen mit den gewaltigen festländischen
Heereskörpern, fast zu allen Zeiten winzig gewesen. Auch Matten berechnet ihre
Kriegsstärke mit Einschluß von 140000 Mann Miliztruppen und 14000 Mann
Landwehrreiterei (^om-mi-^), sowie von 149000 Mann eingeborner indischer
Truppen im ganzen nur auf 364000 Kopfe. Dazu kommen freilich die Vo-
lunteers. Matten will nichts auf sie kommen lassen, wir hören ihn aber doch
über "die alberne Mode" klagen, über sie "zu lachen und zu spotten." Er
ist kein grundsätzlicher Gegner der allgemeinen Wehrpflicht, zumal da keine
Regierung imstande sein wurde, sich auf eine aus der allgemeinen Wehrpflicht
hervorgegangn" Armee zu stütze", wenn sie darauf ausgehe" wollte, volkstüm¬
liche Bewegungen niederzuhalten. Schließlich bricht aber das alte, seit Crom-
wells Zeiten eingewurzelte Mißtrauen wieder durch, daß auch eine solche Armee
einen ungebührlichen Anteil an der politischen Macht in die Hände zu be¬
kommen suchen werde. Übrigens würde mau die, kruse der allgemeinen Wehr¬
pflicht in England ausgehöhlten Leute doch nicht wohl zum Dienst in Indien
und in den Kolonien zwingen können. Zum Schutze des Heimatlandes ist
aber die jetzige Wchrverfassnng genügend, und für den auswärtigen Dienst
werden Söldnerheere und eingeborne Truppen stets unentbehrlich sein. Da¬
gegen erkennt auch Matten an, daß die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft


Line englische Bürgerkuiide

dem Sprung vom Absolutismus bis zum allgemeinen Wahlrecht kaum ein
Vierteljahrhundert gebraucht hat, daß der ganze Aufbau unsrer Neichseinrich-
tungen verglichen mit dem langsamen Werden des englischen Selfgoveruement
fast wie aus der Erde gestampft erscheint, so begreift man, wie das Errungne
und Bestehende auch in viel höherm Grade Gemeingut der englischen Nation
hat werden müssen als bei uns. Der Hauptzweck des Maldenschen Buches
ist daher, seinen Landsleuten zu Gemüte zu führen, wie die Größe und das
Glück Englands aus der Tüchtigkeit der Vorfahren erblüht seien und deshalb
auch die unausgesetzten Anstrengungen jedes einzelnen Gliedes des lebenden
Geschlechts erfordern, um England den Enkeln noch größer und glücklicher zu
überliefern. So ist das Buch von edelm und stolzem Patriotismus erfüllt und
ein rühmliches Zeugnis dafür, wie wenig der Parteigeist imstande ist, die eng¬
lische Nation ihrem einen großen Ziele abspenstig zu machen, das kein geringeres
ist als die Weltherrschaft. Da dieses Ziel auch Deutschland recht nahe an¬
geht, so ist es für uns sehr nützlich, sich über das Geheimnis der englischen
Erfolge Rechenschaft zu geben und es nicht zu verschmähen, von unsern angel¬
sächsischen Vettern zu lernen, so wenig sie uns auch zu Zeiten sympathisch sein
mögen, und so sehr wir auch unsre Eigenart uns zu erhalten wünschen müssen.
Das Maldensche Buch ist hierzu ein vorzügliches Hilfsmittel, da der Verfasser
offenbar die ganze Fülle der politischen Bildung seiner Nation in sich ver¬
einigt.

Äußere Machtmittel siud es offenbar nicht gewesen, die England groß
gemacht haben. Die Landarmee ist, verglichen mit den gewaltigen festländischen
Heereskörpern, fast zu allen Zeiten winzig gewesen. Auch Matten berechnet ihre
Kriegsstärke mit Einschluß von 140000 Mann Miliztruppen und 14000 Mann
Landwehrreiterei (^om-mi-^), sowie von 149000 Mann eingeborner indischer
Truppen im ganzen nur auf 364000 Kopfe. Dazu kommen freilich die Vo-
lunteers. Matten will nichts auf sie kommen lassen, wir hören ihn aber doch
über „die alberne Mode" klagen, über sie „zu lachen und zu spotten." Er
ist kein grundsätzlicher Gegner der allgemeinen Wehrpflicht, zumal da keine
Regierung imstande sein wurde, sich auf eine aus der allgemeinen Wehrpflicht
hervorgegangn« Armee zu stütze», wenn sie darauf ausgehe« wollte, volkstüm¬
liche Bewegungen niederzuhalten. Schließlich bricht aber das alte, seit Crom-
wells Zeiten eingewurzelte Mißtrauen wieder durch, daß auch eine solche Armee
einen ungebührlichen Anteil an der politischen Macht in die Hände zu be¬
kommen suchen werde. Übrigens würde mau die, kruse der allgemeinen Wehr¬
pflicht in England ausgehöhlten Leute doch nicht wohl zum Dienst in Indien
und in den Kolonien zwingen können. Zum Schutze des Heimatlandes ist
aber die jetzige Wchrverfassnng genügend, und für den auswärtigen Dienst
werden Söldnerheere und eingeborne Truppen stets unentbehrlich sein. Da¬
gegen erkennt auch Matten an, daß die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft


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[0219] Line englische Bürgerkuiide dem Sprung vom Absolutismus bis zum allgemeinen Wahlrecht kaum ein Vierteljahrhundert gebraucht hat, daß der ganze Aufbau unsrer Neichseinrich- tungen verglichen mit dem langsamen Werden des englischen Selfgoveruement fast wie aus der Erde gestampft erscheint, so begreift man, wie das Errungne und Bestehende auch in viel höherm Grade Gemeingut der englischen Nation hat werden müssen als bei uns. Der Hauptzweck des Maldenschen Buches ist daher, seinen Landsleuten zu Gemüte zu führen, wie die Größe und das Glück Englands aus der Tüchtigkeit der Vorfahren erblüht seien und deshalb auch die unausgesetzten Anstrengungen jedes einzelnen Gliedes des lebenden Geschlechts erfordern, um England den Enkeln noch größer und glücklicher zu überliefern. So ist das Buch von edelm und stolzem Patriotismus erfüllt und ein rühmliches Zeugnis dafür, wie wenig der Parteigeist imstande ist, die eng¬ lische Nation ihrem einen großen Ziele abspenstig zu machen, das kein geringeres ist als die Weltherrschaft. Da dieses Ziel auch Deutschland recht nahe an¬ geht, so ist es für uns sehr nützlich, sich über das Geheimnis der englischen Erfolge Rechenschaft zu geben und es nicht zu verschmähen, von unsern angel¬ sächsischen Vettern zu lernen, so wenig sie uns auch zu Zeiten sympathisch sein mögen, und so sehr wir auch unsre Eigenart uns zu erhalten wünschen müssen. Das Maldensche Buch ist hierzu ein vorzügliches Hilfsmittel, da der Verfasser offenbar die ganze Fülle der politischen Bildung seiner Nation in sich ver¬ einigt. Äußere Machtmittel siud es offenbar nicht gewesen, die England groß gemacht haben. Die Landarmee ist, verglichen mit den gewaltigen festländischen Heereskörpern, fast zu allen Zeiten winzig gewesen. Auch Matten berechnet ihre Kriegsstärke mit Einschluß von 140000 Mann Miliztruppen und 14000 Mann Landwehrreiterei (^om-mi-^), sowie von 149000 Mann eingeborner indischer Truppen im ganzen nur auf 364000 Kopfe. Dazu kommen freilich die Vo- lunteers. Matten will nichts auf sie kommen lassen, wir hören ihn aber doch über „die alberne Mode" klagen, über sie „zu lachen und zu spotten." Er ist kein grundsätzlicher Gegner der allgemeinen Wehrpflicht, zumal da keine Regierung imstande sein wurde, sich auf eine aus der allgemeinen Wehrpflicht hervorgegangn« Armee zu stütze», wenn sie darauf ausgehe« wollte, volkstüm¬ liche Bewegungen niederzuhalten. Schließlich bricht aber das alte, seit Crom- wells Zeiten eingewurzelte Mißtrauen wieder durch, daß auch eine solche Armee einen ungebührlichen Anteil an der politischen Macht in die Hände zu be¬ kommen suchen werde. Übrigens würde mau die, kruse der allgemeinen Wehr¬ pflicht in England ausgehöhlten Leute doch nicht wohl zum Dienst in Indien und in den Kolonien zwingen können. Zum Schutze des Heimatlandes ist aber die jetzige Wchrverfassnng genügend, und für den auswärtigen Dienst werden Söldnerheere und eingeborne Truppen stets unentbehrlich sein. Da¬ gegen erkennt auch Matten an, daß die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/219>, abgerufen am 01.07.2024.