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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

Zaghaftigkeit in Besprechung aller Fragen, die der Empfindlichkeit der Lehrer
zu nahe treten könnten, daher vor allem die Unempfindlichkeit gegen diese Art
von Roheit, die Kindermißhandlnng, die doch eigentlich die empörendste von
allen ist. Von Mißstünden in der Schule redet man zwar heutzutage sehr
viel, schreibt Bücher darüber und hält endlose Debatten, aber immer
richtet sich die Spitze gegen die Negierung, den Geist der Verwaltung, das
Reglement, nie gegen die Person des Volksschullehrers, die ist heilig und
unverletzlich, und eine Schuld des Lehrers bei zu Tage tretenden Übelständen,
bei Verwilderung der Jugend, MißHelligkeit mit den Familien u. s. w. ganz
ausgeschlossen. Da wird geschrieben von "Überbürdung der Jugend," von der
Notwendigkeit weiß Gott welcher Neuerungen: Handwerksunterricht, Turnspiele,
Schulärzte u. s. w., aber um die Überbürdung der Jugend durch den Stock
des ergrimmten Schulmeisters drückt man sich so elastisch herum, als wäre
die Sache gar nicht der Rede wert, wahrend doch alle jene wichtigen "Probleme"
wahre Spielereien sind im Vergleich mit dieser innigsten Herzens- und
Schmerzensfrage unsrer Kleinen.

Schon Augustin erzählt in seinen Bekenntnissen (I, 9) von den Schlägen
in der Schule, die damals seine "großen schweren Leiden" gewesen seien, und
deren Nutzen er nicht habe begreifen können. "Mit nicht geringer Inbrunst
flehte ich Kleiner zu Gott, daß ich doch in der Schule keine Schläge mehr
bekäme." Und das ist das Unglück der Kinder bis auf den heutigen Tag ge¬
blieben. Ist der Lehrer bös oder gut? das ist die angstvolle Frage, die sie
auswerfen, wenn sie in die Schule kommen oder von einer Klasse in die andre
versetzt werden. Was kümmert sie das Zeug, worüber sich die Schulmänner
den Kopf zerbrechen, die Untersuchungen über die beste Unterrichtsmethode,
über Steilschrift oder Kursivschrift, über die neueste Schulbankkonstruktion,
wieviel Kubikmeter Luft jedem Kinde zuzumessen seien u. s. w. Die Wichtig¬
keit jener Frage spüren sie an ihrem Leibe, die Wichtigkeit dieser Dinge leuchtet
ihnen nicht ein. Ich glaube, auch für uns Große ist es an der Zeit, einmal
unbefangen die Frage der körperlichen Züchtigung uach ihren physischen,
seelischen, moralischen und pädagogischen Folgen ins Auge zu fassen, nicht vom
Standpunkte weichlicher Sentimentalität, sondern im Interesse der Heranbildung
eines kraftvollen, freien, seine geistigen Schwungfedern lernenden und ge¬
brauchenden Volks, nicht zur Erweckung von Haß gegen den Lehrerstand, denn
es wird sich zeigen, daß ihm, nämlich seinen tüchtigen, ehrenwerten und be¬
gabten Mitgliedern, mit jener Vertuschung der schlimmste Dienst gethan wird,
daß der Achtung vor dem Lehrerstande nichts förderlicher sein kann als die
Beseitigung dieses Odiums. Aber auch den Meistern des Stockes können
wir das Goethische Epigramm entgegenhalten:


Die Prügelstrafe in der Volksschule

Zaghaftigkeit in Besprechung aller Fragen, die der Empfindlichkeit der Lehrer
zu nahe treten könnten, daher vor allem die Unempfindlichkeit gegen diese Art
von Roheit, die Kindermißhandlnng, die doch eigentlich die empörendste von
allen ist. Von Mißstünden in der Schule redet man zwar heutzutage sehr
viel, schreibt Bücher darüber und hält endlose Debatten, aber immer
richtet sich die Spitze gegen die Negierung, den Geist der Verwaltung, das
Reglement, nie gegen die Person des Volksschullehrers, die ist heilig und
unverletzlich, und eine Schuld des Lehrers bei zu Tage tretenden Übelständen,
bei Verwilderung der Jugend, MißHelligkeit mit den Familien u. s. w. ganz
ausgeschlossen. Da wird geschrieben von „Überbürdung der Jugend," von der
Notwendigkeit weiß Gott welcher Neuerungen: Handwerksunterricht, Turnspiele,
Schulärzte u. s. w., aber um die Überbürdung der Jugend durch den Stock
des ergrimmten Schulmeisters drückt man sich so elastisch herum, als wäre
die Sache gar nicht der Rede wert, wahrend doch alle jene wichtigen „Probleme"
wahre Spielereien sind im Vergleich mit dieser innigsten Herzens- und
Schmerzensfrage unsrer Kleinen.

Schon Augustin erzählt in seinen Bekenntnissen (I, 9) von den Schlägen
in der Schule, die damals seine „großen schweren Leiden" gewesen seien, und
deren Nutzen er nicht habe begreifen können. „Mit nicht geringer Inbrunst
flehte ich Kleiner zu Gott, daß ich doch in der Schule keine Schläge mehr
bekäme." Und das ist das Unglück der Kinder bis auf den heutigen Tag ge¬
blieben. Ist der Lehrer bös oder gut? das ist die angstvolle Frage, die sie
auswerfen, wenn sie in die Schule kommen oder von einer Klasse in die andre
versetzt werden. Was kümmert sie das Zeug, worüber sich die Schulmänner
den Kopf zerbrechen, die Untersuchungen über die beste Unterrichtsmethode,
über Steilschrift oder Kursivschrift, über die neueste Schulbankkonstruktion,
wieviel Kubikmeter Luft jedem Kinde zuzumessen seien u. s. w. Die Wichtig¬
keit jener Frage spüren sie an ihrem Leibe, die Wichtigkeit dieser Dinge leuchtet
ihnen nicht ein. Ich glaube, auch für uns Große ist es an der Zeit, einmal
unbefangen die Frage der körperlichen Züchtigung uach ihren physischen,
seelischen, moralischen und pädagogischen Folgen ins Auge zu fassen, nicht vom
Standpunkte weichlicher Sentimentalität, sondern im Interesse der Heranbildung
eines kraftvollen, freien, seine geistigen Schwungfedern lernenden und ge¬
brauchenden Volks, nicht zur Erweckung von Haß gegen den Lehrerstand, denn
es wird sich zeigen, daß ihm, nämlich seinen tüchtigen, ehrenwerten und be¬
gabten Mitgliedern, mit jener Vertuschung der schlimmste Dienst gethan wird,
daß der Achtung vor dem Lehrerstande nichts förderlicher sein kann als die
Beseitigung dieses Odiums. Aber auch den Meistern des Stockes können
wir das Goethische Epigramm entgegenhalten:


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[0021] Die Prügelstrafe in der Volksschule Zaghaftigkeit in Besprechung aller Fragen, die der Empfindlichkeit der Lehrer zu nahe treten könnten, daher vor allem die Unempfindlichkeit gegen diese Art von Roheit, die Kindermißhandlnng, die doch eigentlich die empörendste von allen ist. Von Mißstünden in der Schule redet man zwar heutzutage sehr viel, schreibt Bücher darüber und hält endlose Debatten, aber immer richtet sich die Spitze gegen die Negierung, den Geist der Verwaltung, das Reglement, nie gegen die Person des Volksschullehrers, die ist heilig und unverletzlich, und eine Schuld des Lehrers bei zu Tage tretenden Übelständen, bei Verwilderung der Jugend, MißHelligkeit mit den Familien u. s. w. ganz ausgeschlossen. Da wird geschrieben von „Überbürdung der Jugend," von der Notwendigkeit weiß Gott welcher Neuerungen: Handwerksunterricht, Turnspiele, Schulärzte u. s. w., aber um die Überbürdung der Jugend durch den Stock des ergrimmten Schulmeisters drückt man sich so elastisch herum, als wäre die Sache gar nicht der Rede wert, wahrend doch alle jene wichtigen „Probleme" wahre Spielereien sind im Vergleich mit dieser innigsten Herzens- und Schmerzensfrage unsrer Kleinen. Schon Augustin erzählt in seinen Bekenntnissen (I, 9) von den Schlägen in der Schule, die damals seine „großen schweren Leiden" gewesen seien, und deren Nutzen er nicht habe begreifen können. „Mit nicht geringer Inbrunst flehte ich Kleiner zu Gott, daß ich doch in der Schule keine Schläge mehr bekäme." Und das ist das Unglück der Kinder bis auf den heutigen Tag ge¬ blieben. Ist der Lehrer bös oder gut? das ist die angstvolle Frage, die sie auswerfen, wenn sie in die Schule kommen oder von einer Klasse in die andre versetzt werden. Was kümmert sie das Zeug, worüber sich die Schulmänner den Kopf zerbrechen, die Untersuchungen über die beste Unterrichtsmethode, über Steilschrift oder Kursivschrift, über die neueste Schulbankkonstruktion, wieviel Kubikmeter Luft jedem Kinde zuzumessen seien u. s. w. Die Wichtig¬ keit jener Frage spüren sie an ihrem Leibe, die Wichtigkeit dieser Dinge leuchtet ihnen nicht ein. Ich glaube, auch für uns Große ist es an der Zeit, einmal unbefangen die Frage der körperlichen Züchtigung uach ihren physischen, seelischen, moralischen und pädagogischen Folgen ins Auge zu fassen, nicht vom Standpunkte weichlicher Sentimentalität, sondern im Interesse der Heranbildung eines kraftvollen, freien, seine geistigen Schwungfedern lernenden und ge¬ brauchenden Volks, nicht zur Erweckung von Haß gegen den Lehrerstand, denn es wird sich zeigen, daß ihm, nämlich seinen tüchtigen, ehrenwerten und be¬ gabten Mitgliedern, mit jener Vertuschung der schlimmste Dienst gethan wird, daß der Achtung vor dem Lehrerstande nichts förderlicher sein kann als die Beseitigung dieses Odiums. Aber auch den Meistern des Stockes können wir das Goethische Epigramm entgegenhalten:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/21>, abgerufen am 25.08.2024.