Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Die Prügelstrafe in der Volksschule doch sonst sogar um einer Lumperei willen das Maul oft voll genug nimmt, Die Lehrer sind in der angenehmen Lage, daß alle Parteien um ihre Die Prügelstrafe in der Volksschule doch sonst sogar um einer Lumperei willen das Maul oft voll genug nimmt, Die Lehrer sind in der angenehmen Lage, daß alle Parteien um ihre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0020" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220996"/> <fw type="header" place="top"> Die Prügelstrafe in der Volksschule</fw><lb/> <p xml:id="ID_32" prev="#ID_31"> doch sonst sogar um einer Lumperei willen das Maul oft voll genug nimmt,<lb/> müßte einen solchen Notstand aufgreifen, die Vertreter des Volks müßten<lb/> gegen einen solchen wunden Fleck in unserm öffentlichen Leben das Gewicht<lb/> ihrer Stimme und ihres Einflusses brauchen. Aber weit gefehlt! Man sehe<lb/> doch, wo gegen die Kindermißhandlung in der Schule gesprochen wird. So<lb/> gut wie nirgends. Es ist das auch erklärlich. Ja, die „Soldatenmißhand¬<lb/> lungen," das ist was andres! Das war ein gefuudnes Fressen für unsre edle<lb/> Presse und unsre großen Politiker, da konnte man mit heiliger Entrüstung<lb/> den Volksmann spielen, da bot das geringste Gerücht wochenlang willkommnen<lb/> Verhandlungsstoff im Parlament wie in der wahrheitsliebenden Oppositions-<lb/> presse, und wenn sich die Sache auch wie bei Ehren-Bebel hinterher als er¬<lb/> logen und als Verleumdung des Ofsiziersstandes herausstellte, das schadete<lb/> dem Ansehen des Volkstribuns nichts; wochenlang hatte man die Schale der<lb/> Entrüstung auf das „nichtswürdige Militärregiment" und den Militarismus<lb/> im allgemeinen ausgegossen, die öffentliche Meinung war verhetzt und erregt,<lb/> und damit der Zweck erreicht. Während fo die Soldatenmißhandlungen (und<lb/> ab und zu vorkommende Scheußlichkeiten von „Nabeneltern") behaglich breit¬<lb/> getreten und mit der ganzen Entrüstung des Trägers der Aufklärung ge¬<lb/> geißelt werden, berichtet die gesamte Presse über die ans Licht tretenden Grau¬<lb/> samkeiten in der Schule nur kurz und verschämt, ja sogar beschönigend und<lb/> bei der „Zuchtlosigkeit der Jugend" entschuldigend. Die Mißhandlungen<lb/> werden höchstens erwähnt, aber fast nie eine Betrachtung daran geknüpft, wie<lb/> sie sich doch bei der Häufigkeit dieser Vorkommnisse von selbst aufdrängt,<lb/> womöglich wird der Lehrer in Schutz genommen und bedauert. Brachte es<lb/> doch das Münchner Tageblatt fertig, den Lehrer Naschold wegen seiner Ver¬<lb/> urteilung zu bemitleiden, er wäre „eigentlich genug gestraft durch das Bewußt¬<lb/> sein, den Tod eines Kindes verursacht zu haben"! Ja unsre gesinnungstüchtige<lb/> Presse! Die Ohrfeige, die sich ein zwanzigjähriger Tölpel von seinem Unter¬<lb/> offizier gefallen läßt, weil er zu ehrlos ist, diese Schmach zu fühlen und zu<lb/> feig, sein gutes Recht am rechten Platze geltend zu machen, hallt im ganzen<lb/> Lande wieder; die Leiden zarter, schutzloser Kinder unter der Willkür eines<lb/> Schuldespoten wecken kein Echo in der öffentlichen Meinung. Einzig die<lb/> Sozialdemokratie hat hie und da schüchterne Versuche gemacht, gegen die Ge¬<lb/> waltthätigkeiten in der Schule vorzugehen; aber auch die Sozialdemokraten<lb/> dürfen es mit den Lehrern nicht verderben, denn sie sehen in ihnen die schätz¬<lb/> barsten Vorkämpfer ihrer Bestrebungen. Erst kürzlich hat die Münchner Post<lb/> mit Bezug auf eine Lehrerversnmmlnng betont, daß sich die Forderung der<lb/> freisinnigen Lehrer: die allgemein einheitliche Volksschule mit Beseitigung jedes<lb/> kirchlichen Einflusses nur mit Hilfe der Sozialdemokratie erreichen lasse.</p><lb/> <p xml:id="ID_33" next="#ID_34"> Die Lehrer sind in der angenehmen Lage, daß alle Parteien um ihre<lb/> Gunst buhlen, daher das Machtgefühl dieses Standes und andrerseits die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0020]
Die Prügelstrafe in der Volksschule
doch sonst sogar um einer Lumperei willen das Maul oft voll genug nimmt,
müßte einen solchen Notstand aufgreifen, die Vertreter des Volks müßten
gegen einen solchen wunden Fleck in unserm öffentlichen Leben das Gewicht
ihrer Stimme und ihres Einflusses brauchen. Aber weit gefehlt! Man sehe
doch, wo gegen die Kindermißhandlung in der Schule gesprochen wird. So
gut wie nirgends. Es ist das auch erklärlich. Ja, die „Soldatenmißhand¬
lungen," das ist was andres! Das war ein gefuudnes Fressen für unsre edle
Presse und unsre großen Politiker, da konnte man mit heiliger Entrüstung
den Volksmann spielen, da bot das geringste Gerücht wochenlang willkommnen
Verhandlungsstoff im Parlament wie in der wahrheitsliebenden Oppositions-
presse, und wenn sich die Sache auch wie bei Ehren-Bebel hinterher als er¬
logen und als Verleumdung des Ofsiziersstandes herausstellte, das schadete
dem Ansehen des Volkstribuns nichts; wochenlang hatte man die Schale der
Entrüstung auf das „nichtswürdige Militärregiment" und den Militarismus
im allgemeinen ausgegossen, die öffentliche Meinung war verhetzt und erregt,
und damit der Zweck erreicht. Während fo die Soldatenmißhandlungen (und
ab und zu vorkommende Scheußlichkeiten von „Nabeneltern") behaglich breit¬
getreten und mit der ganzen Entrüstung des Trägers der Aufklärung ge¬
geißelt werden, berichtet die gesamte Presse über die ans Licht tretenden Grau¬
samkeiten in der Schule nur kurz und verschämt, ja sogar beschönigend und
bei der „Zuchtlosigkeit der Jugend" entschuldigend. Die Mißhandlungen
werden höchstens erwähnt, aber fast nie eine Betrachtung daran geknüpft, wie
sie sich doch bei der Häufigkeit dieser Vorkommnisse von selbst aufdrängt,
womöglich wird der Lehrer in Schutz genommen und bedauert. Brachte es
doch das Münchner Tageblatt fertig, den Lehrer Naschold wegen seiner Ver¬
urteilung zu bemitleiden, er wäre „eigentlich genug gestraft durch das Bewußt¬
sein, den Tod eines Kindes verursacht zu haben"! Ja unsre gesinnungstüchtige
Presse! Die Ohrfeige, die sich ein zwanzigjähriger Tölpel von seinem Unter¬
offizier gefallen läßt, weil er zu ehrlos ist, diese Schmach zu fühlen und zu
feig, sein gutes Recht am rechten Platze geltend zu machen, hallt im ganzen
Lande wieder; die Leiden zarter, schutzloser Kinder unter der Willkür eines
Schuldespoten wecken kein Echo in der öffentlichen Meinung. Einzig die
Sozialdemokratie hat hie und da schüchterne Versuche gemacht, gegen die Ge¬
waltthätigkeiten in der Schule vorzugehen; aber auch die Sozialdemokraten
dürfen es mit den Lehrern nicht verderben, denn sie sehen in ihnen die schätz¬
barsten Vorkämpfer ihrer Bestrebungen. Erst kürzlich hat die Münchner Post
mit Bezug auf eine Lehrerversnmmlnng betont, daß sich die Forderung der
freisinnigen Lehrer: die allgemein einheitliche Volksschule mit Beseitigung jedes
kirchlichen Einflusses nur mit Hilfe der Sozialdemokratie erreichen lasse.
Die Lehrer sind in der angenehmen Lage, daß alle Parteien um ihre
Gunst buhlen, daher das Machtgefühl dieses Standes und andrerseits die
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