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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

die Folgen geratner erscheint, einem ein Auge auszuschlagen oder ein Glied zu
brechen, als etwa einen Gendarmen oder gar einen Staatsbeamten zu beleidigen,
so genießt der Lehrer ganz besondern Schutz in der Ausübung seines Amtes.
Wo stramme Erziehung zum Gehorsam oberstes Gesetz des Staates ist. da
bedeutet eine Überschreitung des Gewalthabers verzweifelt wenig gegenüber
einer Verletzung der Autorität. Auffallend ist übrigens, daß die Behörden
zu den Kindermißhandlnngen eine ganz andre Stellung einnehmen als bei¬
spielsweise zu den Soldatenmißhandlungen. Während bei diesen die pein¬
lichsten Untersuchungen und Verfolgungen stattfinden und der Kaiser sich per¬
sönlich die Ausrottung dieses Krebsschadens angelegen sein läßt, hat z. B. das
badische Justizministerium der Staatsanwaltschaft Auftrag gegeben, bei Anklagen
wegen Überschreitung des Züchtigungsrechts den strengsten Maßstab anzulegen,
da so gar viele Antrüge einliefen, die (der herrschenden Praxis gemäß) zur
Freisprechung geführt Hütten! Hier wurde also die Häufigkeit der Anklagen
Ursache der laxen Behandlung, dort der strengsten Verfolgung.

Oder soll der Vater oder Vormund bei der Schulbehörde Klage führen,
um diese zum Einschreiten gegen den Lehrer zu bewegen? Er wird sein Ziel
selten erreichen, in der Regel nnr dann, wenn sich der Lehrer bei seinen Vor¬
gesetzten mißliebig gemacht hat. Versteht er es aber, wie es bei den Stock-
virtnosen in der Regel der Fall ist, sich bei seiner Behörde einzuschmeicheln
und in den Ruf eines rührigen und eifrigen Pädagogen zu setzen, so wird ein
Anklüger wenig ausrichten; wirft doch eine Maßreglung eines Lehrers stets
auch einen Schatten auf die Schule und ihren Leiter! Welche Vcschwichtigungs-
versnche werden da gemacht, um den "braven und gewissenhaften" Lehrer,
dem es einzig um "Hebung des Unterrichtsstandes," "Besserung des moralischen
Niveaus" der Klasse u. s. w. zu thun ist, nicht zu schaden, man werde den
Lehrer auf die Notwendigkeit einer zartern Behandlung der Schüler aufmerksam
machen u. s, s. Eine stehende Figur bei den Gerichtsverhandlungen dieser Art
bildet der Schuldirektor, der Inspektor oder der Pfarrer des angeklagten Er¬
ziehers als warmer Anwalt und Beschwichtignngsrat, der nur Vorzüge von
seinem Untergebnen anzugeben weiß und etwaige "bedauerliche" Übergriffe
als den edelsten und rühmlichsten Beweggründen entsprungen schildert -- ein
Beweis, wie die Fachgenossen jede solche Anklage als einen Angriff auf die
Schule fassen und dagegen unter sich zusammenhalten.

Begeht gar der ungebildete und mit der höhern Rechtswissenschaft nicht
vertraute Bauer oder Arbeiter die gewaltige Dummheit, den: Peiniger seiner
Kinder, da er dem Rechtsgang mißtraut, persönlich auf den Leib zu rücken, so
geht natürlich die Sache umgekehrt. Er lädt sich eine Verurteilung wegen
Hausfriedeusbruch und Beamtcnbeleidigung auf den Hals, während die Mi߬
handlung seines Kindes ungestraft bleibt.

Man sollte denken, die öffentliche Meinung, die Presse vor allem, die


Die Prügelstrafe in der Volksschule

die Folgen geratner erscheint, einem ein Auge auszuschlagen oder ein Glied zu
brechen, als etwa einen Gendarmen oder gar einen Staatsbeamten zu beleidigen,
so genießt der Lehrer ganz besondern Schutz in der Ausübung seines Amtes.
Wo stramme Erziehung zum Gehorsam oberstes Gesetz des Staates ist. da
bedeutet eine Überschreitung des Gewalthabers verzweifelt wenig gegenüber
einer Verletzung der Autorität. Auffallend ist übrigens, daß die Behörden
zu den Kindermißhandlnngen eine ganz andre Stellung einnehmen als bei¬
spielsweise zu den Soldatenmißhandlungen. Während bei diesen die pein¬
lichsten Untersuchungen und Verfolgungen stattfinden und der Kaiser sich per¬
sönlich die Ausrottung dieses Krebsschadens angelegen sein läßt, hat z. B. das
badische Justizministerium der Staatsanwaltschaft Auftrag gegeben, bei Anklagen
wegen Überschreitung des Züchtigungsrechts den strengsten Maßstab anzulegen,
da so gar viele Antrüge einliefen, die (der herrschenden Praxis gemäß) zur
Freisprechung geführt Hütten! Hier wurde also die Häufigkeit der Anklagen
Ursache der laxen Behandlung, dort der strengsten Verfolgung.

Oder soll der Vater oder Vormund bei der Schulbehörde Klage führen,
um diese zum Einschreiten gegen den Lehrer zu bewegen? Er wird sein Ziel
selten erreichen, in der Regel nnr dann, wenn sich der Lehrer bei seinen Vor¬
gesetzten mißliebig gemacht hat. Versteht er es aber, wie es bei den Stock-
virtnosen in der Regel der Fall ist, sich bei seiner Behörde einzuschmeicheln
und in den Ruf eines rührigen und eifrigen Pädagogen zu setzen, so wird ein
Anklüger wenig ausrichten; wirft doch eine Maßreglung eines Lehrers stets
auch einen Schatten auf die Schule und ihren Leiter! Welche Vcschwichtigungs-
versnche werden da gemacht, um den „braven und gewissenhaften" Lehrer,
dem es einzig um „Hebung des Unterrichtsstandes," „Besserung des moralischen
Niveaus" der Klasse u. s. w. zu thun ist, nicht zu schaden, man werde den
Lehrer auf die Notwendigkeit einer zartern Behandlung der Schüler aufmerksam
machen u. s, s. Eine stehende Figur bei den Gerichtsverhandlungen dieser Art
bildet der Schuldirektor, der Inspektor oder der Pfarrer des angeklagten Er¬
ziehers als warmer Anwalt und Beschwichtignngsrat, der nur Vorzüge von
seinem Untergebnen anzugeben weiß und etwaige „bedauerliche" Übergriffe
als den edelsten und rühmlichsten Beweggründen entsprungen schildert — ein
Beweis, wie die Fachgenossen jede solche Anklage als einen Angriff auf die
Schule fassen und dagegen unter sich zusammenhalten.

Begeht gar der ungebildete und mit der höhern Rechtswissenschaft nicht
vertraute Bauer oder Arbeiter die gewaltige Dummheit, den: Peiniger seiner
Kinder, da er dem Rechtsgang mißtraut, persönlich auf den Leib zu rücken, so
geht natürlich die Sache umgekehrt. Er lädt sich eine Verurteilung wegen
Hausfriedeusbruch und Beamtcnbeleidigung auf den Hals, während die Mi߬
handlung seines Kindes ungestraft bleibt.

Man sollte denken, die öffentliche Meinung, die Presse vor allem, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/19>, abgerufen am 25.08.2024.