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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Prügelstrafe in der Volksschule

anzunehmen sei. Es sei Pflicht des Lehrerstandes und Aufgabe aller, die es
mit der Jugenderziehung ernst meinen, ihren Einfluß in dieser Hinsicht geltend
zu machen. Der Lehrer müsse zur Wahrung seiner Autorität mit Nachdruck
strafen, nicht nach der Art: Wahns mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
Durch solche Strafe würde er seinen Zweck nicht erreichen, sondern müßte
schließlich seinen Schülern gegenüber der Lächerlichkeit verfallen." Sogar Jean
Paul, der entschiedenste Gegner der Prügelstrafe, wird als Autorität für sie
angeführt und zu diesem Zweck ein Zitat aus der Levana in das gerade
Gegenteil verkehrt.

In keinem dieser Fälle wurde aus Absetzung des Lehrers erkannt, die.
Herren wirken ruhig in ihrem Amte weiter, wenn auch vielleicht der Schau¬
platz ihrer Heldenthaten gewechselt hat. Manchmal verläuft die Sache aber
auch umgekehrt. Lehrer Zimmermann in Nördlingen, der wegen Kindermi߬
handlungen abgesetzt werden mußte, genoß dafür die Genugthuung, vom Land¬
gericht freigesprochen zu werden. Als das Reichsgericht auf Requisition die
Sache zurückverwies, wurde er kürzlich von neuem freigesprochen. Er kann
nun mit vollem Recht die gekränkte Unschuld spielen.

Dies sind nur einige Fülle von vielen. Es wäre aber ein großer Irrtum,
zu meinen, nur wo gerichtliche Verfolgung oder gar Verurteilung stattfindet,
seien Kindermißhandlungen vorgekommen. Schon die Erwägung, daß die Ver¬
urteilten jähre-, jahrzehntelang so schalten konnten, bis sie endlich der Arm
des Gesetzes ereilte, läßt erkennen, wie weit es einer treiben muß, um endlich
der Justiz in die Hände zu fallen. Eine Menge von Ursachen trügt dazu
bei, daß nur das wenigste zur Anzeige kommt. Wie wenig Eltern erfahren
überhaupt, was in der Schule vorgeht! Denn das Verbot, aus der Schule
zu schwatzen, ist eins jener Stücke, die der moderne Lehrer als heiliges Erb¬
stück aus der alten Schule mit herübergenommen hat. Sind doch Fälle bekannt,
wo der Lehrer einen Schüler bloß deswegen, weil er die erhaltene Strafe den
Eltern mitgeteilt und dem Lehrer dadurch Unannehmlichkeiten bereitet hatte,
nochmals grausam gezüchtigt hat. Aber selbst wenn die Eltern von dem
Schmerz ihrer Kinder wissen, haben sie Grund genug, zu schweigen, der
Lehrer kann es den Kindern ja bei hundert andern Gelegenheiten entgelten
lassen, ohne daß sich der geringste Anhalt zum Einschreiten bietet. Wie viele
Eltern sind ferner zu dumm, zu gleichgiltig oder selbst zu roh und zu Mi߬
handlungen geneigt, als daß sie den Klagen ihrer Kinder irgend welche Be¬
deutung beimäßen! Wie vielen Waisen, Stief-und Kostkindern fehlt überhaupt
der ohnehin schwache elterliche Rückhalt! Und entschließen sich die Eltern
wirklich zu dem gewagten Schritt, sich Recht gegen den Bedrücker ihrer Kinder
zu verschaffen, wohin sollen sie sich wenden? An die Justiz? Wie es dort
geht, haben wir gesehen und können es täglich lesen. Wie Körperverletzung
heutzutage überhaupt sehr gering angeschlagen wird und es mit Rücksicht auf


Die Prügelstrafe in der Volksschule

anzunehmen sei. Es sei Pflicht des Lehrerstandes und Aufgabe aller, die es
mit der Jugenderziehung ernst meinen, ihren Einfluß in dieser Hinsicht geltend
zu machen. Der Lehrer müsse zur Wahrung seiner Autorität mit Nachdruck
strafen, nicht nach der Art: Wahns mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!
Durch solche Strafe würde er seinen Zweck nicht erreichen, sondern müßte
schließlich seinen Schülern gegenüber der Lächerlichkeit verfallen." Sogar Jean
Paul, der entschiedenste Gegner der Prügelstrafe, wird als Autorität für sie
angeführt und zu diesem Zweck ein Zitat aus der Levana in das gerade
Gegenteil verkehrt.

In keinem dieser Fälle wurde aus Absetzung des Lehrers erkannt, die.
Herren wirken ruhig in ihrem Amte weiter, wenn auch vielleicht der Schau¬
platz ihrer Heldenthaten gewechselt hat. Manchmal verläuft die Sache aber
auch umgekehrt. Lehrer Zimmermann in Nördlingen, der wegen Kindermi߬
handlungen abgesetzt werden mußte, genoß dafür die Genugthuung, vom Land¬
gericht freigesprochen zu werden. Als das Reichsgericht auf Requisition die
Sache zurückverwies, wurde er kürzlich von neuem freigesprochen. Er kann
nun mit vollem Recht die gekränkte Unschuld spielen.

Dies sind nur einige Fülle von vielen. Es wäre aber ein großer Irrtum,
zu meinen, nur wo gerichtliche Verfolgung oder gar Verurteilung stattfindet,
seien Kindermißhandlungen vorgekommen. Schon die Erwägung, daß die Ver¬
urteilten jähre-, jahrzehntelang so schalten konnten, bis sie endlich der Arm
des Gesetzes ereilte, läßt erkennen, wie weit es einer treiben muß, um endlich
der Justiz in die Hände zu fallen. Eine Menge von Ursachen trügt dazu
bei, daß nur das wenigste zur Anzeige kommt. Wie wenig Eltern erfahren
überhaupt, was in der Schule vorgeht! Denn das Verbot, aus der Schule
zu schwatzen, ist eins jener Stücke, die der moderne Lehrer als heiliges Erb¬
stück aus der alten Schule mit herübergenommen hat. Sind doch Fälle bekannt,
wo der Lehrer einen Schüler bloß deswegen, weil er die erhaltene Strafe den
Eltern mitgeteilt und dem Lehrer dadurch Unannehmlichkeiten bereitet hatte,
nochmals grausam gezüchtigt hat. Aber selbst wenn die Eltern von dem
Schmerz ihrer Kinder wissen, haben sie Grund genug, zu schweigen, der
Lehrer kann es den Kindern ja bei hundert andern Gelegenheiten entgelten
lassen, ohne daß sich der geringste Anhalt zum Einschreiten bietet. Wie viele
Eltern sind ferner zu dumm, zu gleichgiltig oder selbst zu roh und zu Mi߬
handlungen geneigt, als daß sie den Klagen ihrer Kinder irgend welche Be¬
deutung beimäßen! Wie vielen Waisen, Stief-und Kostkindern fehlt überhaupt
der ohnehin schwache elterliche Rückhalt! Und entschließen sich die Eltern
wirklich zu dem gewagten Schritt, sich Recht gegen den Bedrücker ihrer Kinder
zu verschaffen, wohin sollen sie sich wenden? An die Justiz? Wie es dort
geht, haben wir gesehen und können es täglich lesen. Wie Körperverletzung
heutzutage überhaupt sehr gering angeschlagen wird und es mit Rücksicht auf


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[0018] Die Prügelstrafe in der Volksschule anzunehmen sei. Es sei Pflicht des Lehrerstandes und Aufgabe aller, die es mit der Jugenderziehung ernst meinen, ihren Einfluß in dieser Hinsicht geltend zu machen. Der Lehrer müsse zur Wahrung seiner Autorität mit Nachdruck strafen, nicht nach der Art: Wahns mir den Pelz, aber mach mich nicht naß! Durch solche Strafe würde er seinen Zweck nicht erreichen, sondern müßte schließlich seinen Schülern gegenüber der Lächerlichkeit verfallen." Sogar Jean Paul, der entschiedenste Gegner der Prügelstrafe, wird als Autorität für sie angeführt und zu diesem Zweck ein Zitat aus der Levana in das gerade Gegenteil verkehrt. In keinem dieser Fälle wurde aus Absetzung des Lehrers erkannt, die. Herren wirken ruhig in ihrem Amte weiter, wenn auch vielleicht der Schau¬ platz ihrer Heldenthaten gewechselt hat. Manchmal verläuft die Sache aber auch umgekehrt. Lehrer Zimmermann in Nördlingen, der wegen Kindermi߬ handlungen abgesetzt werden mußte, genoß dafür die Genugthuung, vom Land¬ gericht freigesprochen zu werden. Als das Reichsgericht auf Requisition die Sache zurückverwies, wurde er kürzlich von neuem freigesprochen. Er kann nun mit vollem Recht die gekränkte Unschuld spielen. Dies sind nur einige Fülle von vielen. Es wäre aber ein großer Irrtum, zu meinen, nur wo gerichtliche Verfolgung oder gar Verurteilung stattfindet, seien Kindermißhandlungen vorgekommen. Schon die Erwägung, daß die Ver¬ urteilten jähre-, jahrzehntelang so schalten konnten, bis sie endlich der Arm des Gesetzes ereilte, läßt erkennen, wie weit es einer treiben muß, um endlich der Justiz in die Hände zu fallen. Eine Menge von Ursachen trügt dazu bei, daß nur das wenigste zur Anzeige kommt. Wie wenig Eltern erfahren überhaupt, was in der Schule vorgeht! Denn das Verbot, aus der Schule zu schwatzen, ist eins jener Stücke, die der moderne Lehrer als heiliges Erb¬ stück aus der alten Schule mit herübergenommen hat. Sind doch Fälle bekannt, wo der Lehrer einen Schüler bloß deswegen, weil er die erhaltene Strafe den Eltern mitgeteilt und dem Lehrer dadurch Unannehmlichkeiten bereitet hatte, nochmals grausam gezüchtigt hat. Aber selbst wenn die Eltern von dem Schmerz ihrer Kinder wissen, haben sie Grund genug, zu schweigen, der Lehrer kann es den Kindern ja bei hundert andern Gelegenheiten entgelten lassen, ohne daß sich der geringste Anhalt zum Einschreiten bietet. Wie viele Eltern sind ferner zu dumm, zu gleichgiltig oder selbst zu roh und zu Mi߬ handlungen geneigt, als daß sie den Klagen ihrer Kinder irgend welche Be¬ deutung beimäßen! Wie vielen Waisen, Stief-und Kostkindern fehlt überhaupt der ohnehin schwache elterliche Rückhalt! Und entschließen sich die Eltern wirklich zu dem gewagten Schritt, sich Recht gegen den Bedrücker ihrer Kinder zu verschaffen, wohin sollen sie sich wenden? An die Justiz? Wie es dort geht, haben wir gesehen und können es täglich lesen. Wie Körperverletzung heutzutage überhaupt sehr gering angeschlagen wird und es mit Rücksicht auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/18>, abgerufen am 23.06.2024.