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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Lage des Handwerks

Leipziger Bueler halten nur Lehrlinge, weil sie zu arm dazu sind, Gesellen
bezahlen zu können; wie da die Lehrjungen ausgenutzt werden mögen, kann
mau sich denken.

Eine genaue Vorstellung von der Lage der Lehrlinge können solche Unter¬
suchungen schon deshalb niemals geben, weil ja die Lehrlinge nicht befragt
werden. Doch fallen einige Streiflichter darauf. Heckscher schreibt: "Der Ge¬
danke, wie man den Lehrling am besten zu seinem Vorteil ausnutzen kann,
und nicht der, wie in ihm die Grundlage zu einem tüchtigem Meister gelegt
wird, ist nur zu oft der leitende Gesichtspunkt. Und auch Frau Meisterin
will von dem Lehrling etwas haben; im Kinderwärter und in sonstigen nütz¬
liche,, Dingen macht er häusig bei der strengen Herrin eine treffliche Schule
durch." Von mehreren Berichterstattern wird darüber geklagt, daß sich die
großen Meister und die Fabriken mit Lehrlingen gar nicht abgeben mögen,
sondern nur ausgebildete tüchtige Arbeiter annehmen, während gerade in den
kleinen Werkstätten Lehrlinge gehalten werden, wo sie anch dann nichts lernen
würden, wenn der Meister selbst etwas ordentliches könnte, weil darin feinere
und schwierigere Arbeit gar nicht vorkommt. Es scheint das besonders in der
Tischlerei der Fall zu sein (III, 358). Sollte da nicht der alte Adam Smith
"nieder einmal Recht behalten? Smith meinte, die Lchrherren machten viel zu
viel Aufhebens von ihren Leistungen. Dem jungen Menschen die ersten Hand¬
griffe zeigen und dann noch hie und da einmal nachsehen, einige Weisungen,
Ratschläge und Belehrungen geben, weiter sei nichts nötig; die Hauptsache
müsse der Lehrling selbst besorgen. Nur an der eignen Arbeit, nicht vom
Meister, lerne er. Das Lehrlingsverhältnis sei daher ganz überflüssig und
könne füglich durch das des jungen Arbeiters ersetzt werden. Sobald der junge
Mensch etwas könne, leiste er dem Meister Arbeit und verdiene nach dem Maße
seiner Leistungen Lohn wie ein Erwachsener, und wenn die Höhe seines Lohnes
von seinen Leistungen abhänge, werde er ganz von selbst sein möglichstes thun,
Fortschritte zu machen. Solange er noch nichts oder erst wenig könne, habe
er dem Meister zu ersetzen, was er an Materialien verderbe und an Werk¬
zeugen abnutze. Wird diese Auffassung nicht durch die oben angeführten
Thatsachen bestätigt? Beim Kleinmeister lernt der junge Mensch nichts, und
die Großmeister, die gediegne Leistungen verlangen, nehmen keine Lehrlinge.
Wo lernen denn da die Leute, die der Großmeister, der Fabrikant braucht?
Eben bei ihm, als Gesellen, lernen sie; erst nach der Lehrzeit, sagt einer der
Berichterstatter ausdrücklich, lernt der junge Mann, was er braucht. Nehmen
wir aber an, daß Smith nicht für alle Fälle Recht habe, daß es in sehr
schwierigen Gewerben schlechterdings nicht ohne längere gründliche Unterweisung
gehe, und daß auch in den übrige,, Handwerken tüchtigeres geleistet werden
würde, wenn die jungen Leute eine ordentliche Lehrzeit durchmachten, so ist ein
Zustand, bei dem die Lehrlinge dem Meister das Brot verdienen müssen, erst


Die Lage des Handwerks

Leipziger Bueler halten nur Lehrlinge, weil sie zu arm dazu sind, Gesellen
bezahlen zu können; wie da die Lehrjungen ausgenutzt werden mögen, kann
mau sich denken.

Eine genaue Vorstellung von der Lage der Lehrlinge können solche Unter¬
suchungen schon deshalb niemals geben, weil ja die Lehrlinge nicht befragt
werden. Doch fallen einige Streiflichter darauf. Heckscher schreibt: „Der Ge¬
danke, wie man den Lehrling am besten zu seinem Vorteil ausnutzen kann,
und nicht der, wie in ihm die Grundlage zu einem tüchtigem Meister gelegt
wird, ist nur zu oft der leitende Gesichtspunkt. Und auch Frau Meisterin
will von dem Lehrling etwas haben; im Kinderwärter und in sonstigen nütz¬
liche,, Dingen macht er häusig bei der strengen Herrin eine treffliche Schule
durch." Von mehreren Berichterstattern wird darüber geklagt, daß sich die
großen Meister und die Fabriken mit Lehrlingen gar nicht abgeben mögen,
sondern nur ausgebildete tüchtige Arbeiter annehmen, während gerade in den
kleinen Werkstätten Lehrlinge gehalten werden, wo sie anch dann nichts lernen
würden, wenn der Meister selbst etwas ordentliches könnte, weil darin feinere
und schwierigere Arbeit gar nicht vorkommt. Es scheint das besonders in der
Tischlerei der Fall zu sein (III, 358). Sollte da nicht der alte Adam Smith
»nieder einmal Recht behalten? Smith meinte, die Lchrherren machten viel zu
viel Aufhebens von ihren Leistungen. Dem jungen Menschen die ersten Hand¬
griffe zeigen und dann noch hie und da einmal nachsehen, einige Weisungen,
Ratschläge und Belehrungen geben, weiter sei nichts nötig; die Hauptsache
müsse der Lehrling selbst besorgen. Nur an der eignen Arbeit, nicht vom
Meister, lerne er. Das Lehrlingsverhältnis sei daher ganz überflüssig und
könne füglich durch das des jungen Arbeiters ersetzt werden. Sobald der junge
Mensch etwas könne, leiste er dem Meister Arbeit und verdiene nach dem Maße
seiner Leistungen Lohn wie ein Erwachsener, und wenn die Höhe seines Lohnes
von seinen Leistungen abhänge, werde er ganz von selbst sein möglichstes thun,
Fortschritte zu machen. Solange er noch nichts oder erst wenig könne, habe
er dem Meister zu ersetzen, was er an Materialien verderbe und an Werk¬
zeugen abnutze. Wird diese Auffassung nicht durch die oben angeführten
Thatsachen bestätigt? Beim Kleinmeister lernt der junge Mensch nichts, und
die Großmeister, die gediegne Leistungen verlangen, nehmen keine Lehrlinge.
Wo lernen denn da die Leute, die der Großmeister, der Fabrikant braucht?
Eben bei ihm, als Gesellen, lernen sie; erst nach der Lehrzeit, sagt einer der
Berichterstatter ausdrücklich, lernt der junge Mann, was er braucht. Nehmen
wir aber an, daß Smith nicht für alle Fälle Recht habe, daß es in sehr
schwierigen Gewerben schlechterdings nicht ohne längere gründliche Unterweisung
gehe, und daß auch in den übrige,, Handwerken tüchtigeres geleistet werden
würde, wenn die jungen Leute eine ordentliche Lehrzeit durchmachten, so ist ein
Zustand, bei dem die Lehrlinge dem Meister das Brot verdienen müssen, erst


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[0171] Die Lage des Handwerks Leipziger Bueler halten nur Lehrlinge, weil sie zu arm dazu sind, Gesellen bezahlen zu können; wie da die Lehrjungen ausgenutzt werden mögen, kann mau sich denken. Eine genaue Vorstellung von der Lage der Lehrlinge können solche Unter¬ suchungen schon deshalb niemals geben, weil ja die Lehrlinge nicht befragt werden. Doch fallen einige Streiflichter darauf. Heckscher schreibt: „Der Ge¬ danke, wie man den Lehrling am besten zu seinem Vorteil ausnutzen kann, und nicht der, wie in ihm die Grundlage zu einem tüchtigem Meister gelegt wird, ist nur zu oft der leitende Gesichtspunkt. Und auch Frau Meisterin will von dem Lehrling etwas haben; im Kinderwärter und in sonstigen nütz¬ liche,, Dingen macht er häusig bei der strengen Herrin eine treffliche Schule durch." Von mehreren Berichterstattern wird darüber geklagt, daß sich die großen Meister und die Fabriken mit Lehrlingen gar nicht abgeben mögen, sondern nur ausgebildete tüchtige Arbeiter annehmen, während gerade in den kleinen Werkstätten Lehrlinge gehalten werden, wo sie anch dann nichts lernen würden, wenn der Meister selbst etwas ordentliches könnte, weil darin feinere und schwierigere Arbeit gar nicht vorkommt. Es scheint das besonders in der Tischlerei der Fall zu sein (III, 358). Sollte da nicht der alte Adam Smith »nieder einmal Recht behalten? Smith meinte, die Lchrherren machten viel zu viel Aufhebens von ihren Leistungen. Dem jungen Menschen die ersten Hand¬ griffe zeigen und dann noch hie und da einmal nachsehen, einige Weisungen, Ratschläge und Belehrungen geben, weiter sei nichts nötig; die Hauptsache müsse der Lehrling selbst besorgen. Nur an der eignen Arbeit, nicht vom Meister, lerne er. Das Lehrlingsverhältnis sei daher ganz überflüssig und könne füglich durch das des jungen Arbeiters ersetzt werden. Sobald der junge Mensch etwas könne, leiste er dem Meister Arbeit und verdiene nach dem Maße seiner Leistungen Lohn wie ein Erwachsener, und wenn die Höhe seines Lohnes von seinen Leistungen abhänge, werde er ganz von selbst sein möglichstes thun, Fortschritte zu machen. Solange er noch nichts oder erst wenig könne, habe er dem Meister zu ersetzen, was er an Materialien verderbe und an Werk¬ zeugen abnutze. Wird diese Auffassung nicht durch die oben angeführten Thatsachen bestätigt? Beim Kleinmeister lernt der junge Mensch nichts, und die Großmeister, die gediegne Leistungen verlangen, nehmen keine Lehrlinge. Wo lernen denn da die Leute, die der Großmeister, der Fabrikant braucht? Eben bei ihm, als Gesellen, lernen sie; erst nach der Lehrzeit, sagt einer der Berichterstatter ausdrücklich, lernt der junge Mann, was er braucht. Nehmen wir aber an, daß Smith nicht für alle Fälle Recht habe, daß es in sehr schwierigen Gewerben schlechterdings nicht ohne längere gründliche Unterweisung gehe, und daß auch in den übrige,, Handwerken tüchtigeres geleistet werden würde, wenn die jungen Leute eine ordentliche Lehrzeit durchmachten, so ist ein Zustand, bei dem die Lehrlinge dem Meister das Brot verdienen müssen, erst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/171>, abgerufen am 01.07.2024.