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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Rettung." Sehr in die Irre gehen würde man z. V.> wenn man die Urteile
verallgemeinern wollte, die nach Wiedfeldts Bericht in Snlzwedel ein ehe¬
maliger Klempner und jetziger Rentner über sein Gewerbe gefällt hat; er habe,
wird erzählt, sein Geschüft aufgegeben, weil darin nichts mehr zu machen sei,
sein Warenlager zu Schleuderpreisen verkauft und den Berichterstatter mit Be¬
ziehung auf die übrigen Klempner spöttisch gefragt: "Sagen Sie mal, was
mache" denn die Leute eigentlich den ganzen Tag? Ich habe doch schon vor
zehn Jahren alles viel billiger ans der Fabrik bezogen, als ichs selbst machen
konnte." Wir selbst haben vor kurzem einen jungen Klempnermeister gesprochen,
der vorm Jahre das Geschäft seines verstorbnen Prinzipals übernommen hat.
Er hat für sich, seine drei Gesellen und drei Lehrlinge vollauf zu thun und
hofft, seine sämtlichen Leute auch über den Winter behalten zu können. Sein
Vorgänger, der sehr wohlhabend geworden war, hatte einen großartigen Lcnnpcn-
lnden eingerichtet; diesen mit zu übernehmen, reichten die Mittel des Anfängers,
die ihm glücklicherweise gerade beim Tode seines Prinzipals dnrch eine Erb¬
schaft zugeflossen waren, nicht hin, aber wenn er zehn Jahre so weiter arbeitet
wie jetzt, wird er sich auch einen Laden anlegen können.

Wenn man ans den Angaben und Schilderungen des Werkes die zer¬
streuten Züge, die zusammengehören, zusammenfügt, so wird man ungefähr
das Bild erhalten, das wir im vorigen Artikel entworfen haben, und unsre
Auffassung bestätigt finden, daß dieser Zustand eines Teiles der Handwerker
die natürliche Wirkung jenes gesellschaftlichen Gesamtzustandes sei, dessen
Hauptchnrakterzüge wir nachzuweisen versucht haben. Man kann aber zur Er-
gründung der eigentlichen Ursachen dieses Zustandes auch noch tiefer grabe".
Ehe wir das jedoch unternehmen, wollen wir vorher noch mit Hilfe der "Unter¬
suchungen" auf das Gesellen- und Lehrlingswesen einen Blick werfen. Was
die Zahl der Lehrlinge betrifft, so findet der Vorwurf, den die Sozialdemo¬
kraten den Handwerksmeistern zu machen Pflegen, daß sie Lehrlingszüchterei
trieben, in den "Untersuchungen" bis jetzt leine Bestätigung. Die meisten
Mitarbeiter berichten im Gegenteil, daß in den Gewerben, die sie behandeln,
der Zugang von Lehrlingen sehr schwach sei. Doch ist die Zahl der vor¬
liegenden Stichproben vorläufig noch zu klein, als daß daraus schon zuver¬
lässige Schlüsse auf den Durchschnitt gezogen werden könnten. Uns selbst sind
eine Anzahl von Fällen arger Lehrlingszüchterei, namentlich im Schlosser¬
gewerbe, bekannt, und für einzelne Orte und Gewerbe wird sie auch in den
"Untersuchungen" zugestanden. Von der Leipziger Drechslerei sagt Neu, in
den Fabriken würden nur sehr wenig junge Arbeiter beschäftigt, dagegen sei
die Zahl der Handwerkslehrlinge im Verhältnis zur Gesellenzahl sehr groß.
Und später (II, 78) schreibt er: "Mau darf wohl behaupten, daß in vielen
Fällen nur der Schweiß des Lehrlings es dem Handwerksmeister ermöglicht,
wenigstens noch einigermaßen der Fabrik Konkurrenz zu leisten (so!)." Einige


Rettung." Sehr in die Irre gehen würde man z. V.> wenn man die Urteile
verallgemeinern wollte, die nach Wiedfeldts Bericht in Snlzwedel ein ehe¬
maliger Klempner und jetziger Rentner über sein Gewerbe gefällt hat; er habe,
wird erzählt, sein Geschüft aufgegeben, weil darin nichts mehr zu machen sei,
sein Warenlager zu Schleuderpreisen verkauft und den Berichterstatter mit Be¬
ziehung auf die übrigen Klempner spöttisch gefragt: „Sagen Sie mal, was
mache» denn die Leute eigentlich den ganzen Tag? Ich habe doch schon vor
zehn Jahren alles viel billiger ans der Fabrik bezogen, als ichs selbst machen
konnte." Wir selbst haben vor kurzem einen jungen Klempnermeister gesprochen,
der vorm Jahre das Geschäft seines verstorbnen Prinzipals übernommen hat.
Er hat für sich, seine drei Gesellen und drei Lehrlinge vollauf zu thun und
hofft, seine sämtlichen Leute auch über den Winter behalten zu können. Sein
Vorgänger, der sehr wohlhabend geworden war, hatte einen großartigen Lcnnpcn-
lnden eingerichtet; diesen mit zu übernehmen, reichten die Mittel des Anfängers,
die ihm glücklicherweise gerade beim Tode seines Prinzipals dnrch eine Erb¬
schaft zugeflossen waren, nicht hin, aber wenn er zehn Jahre so weiter arbeitet
wie jetzt, wird er sich auch einen Laden anlegen können.

Wenn man ans den Angaben und Schilderungen des Werkes die zer¬
streuten Züge, die zusammengehören, zusammenfügt, so wird man ungefähr
das Bild erhalten, das wir im vorigen Artikel entworfen haben, und unsre
Auffassung bestätigt finden, daß dieser Zustand eines Teiles der Handwerker
die natürliche Wirkung jenes gesellschaftlichen Gesamtzustandes sei, dessen
Hauptchnrakterzüge wir nachzuweisen versucht haben. Man kann aber zur Er-
gründung der eigentlichen Ursachen dieses Zustandes auch noch tiefer grabe».
Ehe wir das jedoch unternehmen, wollen wir vorher noch mit Hilfe der „Unter¬
suchungen" auf das Gesellen- und Lehrlingswesen einen Blick werfen. Was
die Zahl der Lehrlinge betrifft, so findet der Vorwurf, den die Sozialdemo¬
kraten den Handwerksmeistern zu machen Pflegen, daß sie Lehrlingszüchterei
trieben, in den „Untersuchungen" bis jetzt leine Bestätigung. Die meisten
Mitarbeiter berichten im Gegenteil, daß in den Gewerben, die sie behandeln,
der Zugang von Lehrlingen sehr schwach sei. Doch ist die Zahl der vor¬
liegenden Stichproben vorläufig noch zu klein, als daß daraus schon zuver¬
lässige Schlüsse auf den Durchschnitt gezogen werden könnten. Uns selbst sind
eine Anzahl von Fällen arger Lehrlingszüchterei, namentlich im Schlosser¬
gewerbe, bekannt, und für einzelne Orte und Gewerbe wird sie auch in den
„Untersuchungen" zugestanden. Von der Leipziger Drechslerei sagt Neu, in
den Fabriken würden nur sehr wenig junge Arbeiter beschäftigt, dagegen sei
die Zahl der Handwerkslehrlinge im Verhältnis zur Gesellenzahl sehr groß.
Und später (II, 78) schreibt er: „Mau darf wohl behaupten, daß in vielen
Fällen nur der Schweiß des Lehrlings es dem Handwerksmeister ermöglicht,
wenigstens noch einigermaßen der Fabrik Konkurrenz zu leisten (so!)." Einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/170>, abgerufen am 29.06.2024.