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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der ewige Jude und der Teufel

Gewiß wäre es höchst unrecht, dem Dichter, dem eine tiefe und ernste
Anschauung und echtes Talent nicht abgesprochen werden dürfen, ironisch zu
begegnen. Gleichwohl erwehrt man sich, dem Übermaß von Mitleid und
namentlich der Wendung gegenüber, daß der Teufel, nachdem er mit seinem
höllischen Blasebalg die unheilige Glut des Radikalismus geschürt hat, nun
unter den Konservativen zum Retter von Thron und Altar wird, nur schwer
der Satire. Es giebt ein altes, kühnes spanisches Stück "Der Teufel als
Prediger" (von Lope de Vegci oder Velmonte), in dem nach göttlichem Rat¬
schluß der höllische Feind als Fray Diablo das Geld für ein Franziskaner¬
kloster zusammenpredigen und einen verzagten Abt samt heimelt Mönchen zum
Gottvertrauen zurückführen muß, aber nach Martin Luthers Wort "kein Dank
davon haben" soll. Darin liegt wahrlich mehr als in der schwächlichen Wen¬
dung, nach der in Rohrscheidts Gedicht der Teufel als königstreuer Held für
seine demokratischen Sünden büßt. Gleichwohl schließt das Gedicht einen Zug
zum poetisch Großen und zahlreiche echte Schönheiten ein. Trotz der unver¬
meidlichen Nachklänge aus Dante, Milton und Klopstock fehlt es nicht an
poetischen Wendungen, die dem Dichter gehören, die Schilderung des letzten
Tages der Menschheit vor dem Weltgericht oder die Erzählung von Wolfs
Jngendfreveln mit den eingeflochtenen Liedern (in der Episode "Der Tod des
Sünders") reichen aus, Rvhrschcidt ein wirkliches, hoffentlich entwicklungs¬
fähiges Talent zuzusprechen.

Dem reuigen Teufel schließt sich der lebenssatte oder mit dem Teufel
verbündete Ahasver an. Zum Beweis, daß diese Sagengestalt gleichsam nur
eine Hülle geworden ist, die jeder Schaffende mit einem beliebigen Inhalt
füllen kann, liegen aus jüngster Zeit drei Gestaltungen des Stoffes vor, eine
epische: Der ewige Jude von Joseph secher (Freiburg i. Br., 1895),
und zwei dramatische, eine Trilogie Der ewige Jude, dramatisches Gedicht
in drei Teilen von Max Haushofer (Leipzig, A. G. Liebeskind, 1894), und
Ahasver, der ewige Jude, Mysterium in drei Aufzügen und einem Vor¬
spiel von Johannes Lepsius (Leipzig, Akademische Buchhandlung, 1895).
Die Entstehung der beiden Dichtungen von secher und Haushofer mag ein
paar Jahre zurückliegen, da sie schon in dritter und zweiter Auflage er¬
schienen sind.

Die Dichtung von secher greift zwei Jahrtausende zurück und wie viele
Jahrhunderte voraus, können wir nicht erraten. Ahasver erscheint hier als
der siegreiche Feldherr eines Judenreichs, dem die Weltherrschaft gehört, und
das die Millionenstadt, die Weltstadt Jerusalem zum Mittelpunkte hat. Das
Volk Israel hat endlich sein Ziel erreicht, die Güter der Erde an sich gerissen,
die übrigen Völker unter die Füße getreten, es schwelgt in Genüssen und
vor allem in Rache für jahrhundertelang erlittene Unbill. Der längst gehoffte
Messias, nach altjüdischem Glauben ein gewaltiger weltlicher König und ein


Der ewige Jude und der Teufel

Gewiß wäre es höchst unrecht, dem Dichter, dem eine tiefe und ernste
Anschauung und echtes Talent nicht abgesprochen werden dürfen, ironisch zu
begegnen. Gleichwohl erwehrt man sich, dem Übermaß von Mitleid und
namentlich der Wendung gegenüber, daß der Teufel, nachdem er mit seinem
höllischen Blasebalg die unheilige Glut des Radikalismus geschürt hat, nun
unter den Konservativen zum Retter von Thron und Altar wird, nur schwer
der Satire. Es giebt ein altes, kühnes spanisches Stück „Der Teufel als
Prediger" (von Lope de Vegci oder Velmonte), in dem nach göttlichem Rat¬
schluß der höllische Feind als Fray Diablo das Geld für ein Franziskaner¬
kloster zusammenpredigen und einen verzagten Abt samt heimelt Mönchen zum
Gottvertrauen zurückführen muß, aber nach Martin Luthers Wort „kein Dank
davon haben" soll. Darin liegt wahrlich mehr als in der schwächlichen Wen¬
dung, nach der in Rohrscheidts Gedicht der Teufel als königstreuer Held für
seine demokratischen Sünden büßt. Gleichwohl schließt das Gedicht einen Zug
zum poetisch Großen und zahlreiche echte Schönheiten ein. Trotz der unver¬
meidlichen Nachklänge aus Dante, Milton und Klopstock fehlt es nicht an
poetischen Wendungen, die dem Dichter gehören, die Schilderung des letzten
Tages der Menschheit vor dem Weltgericht oder die Erzählung von Wolfs
Jngendfreveln mit den eingeflochtenen Liedern (in der Episode „Der Tod des
Sünders") reichen aus, Rvhrschcidt ein wirkliches, hoffentlich entwicklungs¬
fähiges Talent zuzusprechen.

Dem reuigen Teufel schließt sich der lebenssatte oder mit dem Teufel
verbündete Ahasver an. Zum Beweis, daß diese Sagengestalt gleichsam nur
eine Hülle geworden ist, die jeder Schaffende mit einem beliebigen Inhalt
füllen kann, liegen aus jüngster Zeit drei Gestaltungen des Stoffes vor, eine
epische: Der ewige Jude von Joseph secher (Freiburg i. Br., 1895),
und zwei dramatische, eine Trilogie Der ewige Jude, dramatisches Gedicht
in drei Teilen von Max Haushofer (Leipzig, A. G. Liebeskind, 1894), und
Ahasver, der ewige Jude, Mysterium in drei Aufzügen und einem Vor¬
spiel von Johannes Lepsius (Leipzig, Akademische Buchhandlung, 1895).
Die Entstehung der beiden Dichtungen von secher und Haushofer mag ein
paar Jahre zurückliegen, da sie schon in dritter und zweiter Auflage er¬
schienen sind.

Die Dichtung von secher greift zwei Jahrtausende zurück und wie viele
Jahrhunderte voraus, können wir nicht erraten. Ahasver erscheint hier als
der siegreiche Feldherr eines Judenreichs, dem die Weltherrschaft gehört, und
das die Millionenstadt, die Weltstadt Jerusalem zum Mittelpunkte hat. Das
Volk Israel hat endlich sein Ziel erreicht, die Güter der Erde an sich gerissen,
die übrigen Völker unter die Füße getreten, es schwelgt in Genüssen und
vor allem in Rache für jahrhundertelang erlittene Unbill. Der längst gehoffte
Messias, nach altjüdischem Glauben ein gewaltiger weltlicher König und ein


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[0085] Der ewige Jude und der Teufel Gewiß wäre es höchst unrecht, dem Dichter, dem eine tiefe und ernste Anschauung und echtes Talent nicht abgesprochen werden dürfen, ironisch zu begegnen. Gleichwohl erwehrt man sich, dem Übermaß von Mitleid und namentlich der Wendung gegenüber, daß der Teufel, nachdem er mit seinem höllischen Blasebalg die unheilige Glut des Radikalismus geschürt hat, nun unter den Konservativen zum Retter von Thron und Altar wird, nur schwer der Satire. Es giebt ein altes, kühnes spanisches Stück „Der Teufel als Prediger" (von Lope de Vegci oder Velmonte), in dem nach göttlichem Rat¬ schluß der höllische Feind als Fray Diablo das Geld für ein Franziskaner¬ kloster zusammenpredigen und einen verzagten Abt samt heimelt Mönchen zum Gottvertrauen zurückführen muß, aber nach Martin Luthers Wort „kein Dank davon haben" soll. Darin liegt wahrlich mehr als in der schwächlichen Wen¬ dung, nach der in Rohrscheidts Gedicht der Teufel als königstreuer Held für seine demokratischen Sünden büßt. Gleichwohl schließt das Gedicht einen Zug zum poetisch Großen und zahlreiche echte Schönheiten ein. Trotz der unver¬ meidlichen Nachklänge aus Dante, Milton und Klopstock fehlt es nicht an poetischen Wendungen, die dem Dichter gehören, die Schilderung des letzten Tages der Menschheit vor dem Weltgericht oder die Erzählung von Wolfs Jngendfreveln mit den eingeflochtenen Liedern (in der Episode „Der Tod des Sünders") reichen aus, Rvhrschcidt ein wirkliches, hoffentlich entwicklungs¬ fähiges Talent zuzusprechen. Dem reuigen Teufel schließt sich der lebenssatte oder mit dem Teufel verbündete Ahasver an. Zum Beweis, daß diese Sagengestalt gleichsam nur eine Hülle geworden ist, die jeder Schaffende mit einem beliebigen Inhalt füllen kann, liegen aus jüngster Zeit drei Gestaltungen des Stoffes vor, eine epische: Der ewige Jude von Joseph secher (Freiburg i. Br., 1895), und zwei dramatische, eine Trilogie Der ewige Jude, dramatisches Gedicht in drei Teilen von Max Haushofer (Leipzig, A. G. Liebeskind, 1894), und Ahasver, der ewige Jude, Mysterium in drei Aufzügen und einem Vor¬ spiel von Johannes Lepsius (Leipzig, Akademische Buchhandlung, 1895). Die Entstehung der beiden Dichtungen von secher und Haushofer mag ein paar Jahre zurückliegen, da sie schon in dritter und zweiter Auflage er¬ schienen sind. Die Dichtung von secher greift zwei Jahrtausende zurück und wie viele Jahrhunderte voraus, können wir nicht erraten. Ahasver erscheint hier als der siegreiche Feldherr eines Judenreichs, dem die Weltherrschaft gehört, und das die Millionenstadt, die Weltstadt Jerusalem zum Mittelpunkte hat. Das Volk Israel hat endlich sein Ziel erreicht, die Güter der Erde an sich gerissen, die übrigen Völker unter die Füße getreten, es schwelgt in Genüssen und vor allem in Rache für jahrhundertelang erlittene Unbill. Der längst gehoffte Messias, nach altjüdischem Glauben ein gewaltiger weltlicher König und ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/85>, abgerufen am 30.06.2024.