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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der ewige Jude und der Teufel

Genußdurstes unsrer Tage scheint, um so zündender und heißer steigt die Lohe
des Verlangens auf, "bis daß Begierde keine Thaten scheut, sofern (?) sie nur
genießt." Die Erde ist entgöttert, hoher Sinn und ehrlicher Ernst ver¬
schwunden,

Man sollte nun meinen, daß der höllische Feind, nachdem er die Welt
glücklich so weit gebracht hat, keine schäferlichen Anwandlungen mehr verspüren
würde. Aber er fühlt sich wirklich von geheimem Sehnen nach dem Städtchen
erfaßt, wo sich ihm zuerst "gleich große Lieb und Schwachheit" offenbart hat.
Da wird der Ratschluß des Herrn an ihm erfüllt, Elfe, die ihm treu ge¬
blieben ist und nichts besseres begehrt, als ihn wieder in ihre Arme zu schließen,
begrüßt den vermeintlich wiederkehrenden mit ungeminderter Liebe, Satan fühlt
sich überwältigt, Menschenschwäche zieht in seine Brust, das stolze Flammen¬
leuchten seines Blicks erlischt, er stürzt, Elfe fluchend, davon, ruft umsonst
nach den alten Genossen seiner Nacht, fühlt sich verurteilt, als Mensch zu
leben, und erfährt auch gleich ein Stück menschliches Schicksal, indem er in
die Hände der Räuber fällt, die ihn, da er kein Gold bei sich tragt, bis auf
den Tod mißhandeln- Wieder ist es Elfe, die ihn findet und Pflegt, in Satans
Herzen erwacht menschliche Empfindung, mit Menschenaugen sieht er jetzt sein
höllisches Thun und Lassen an, und mit Menschensinn begreift er, daß er
zwar, was er gethan hat, nicht zum Guten zu wandeln, aber doch dem Guten
noch zu dienen vermag. Das Gute ist sein Anschluß an die konservative
Partei, er erlebt die große Revolution, die er in seiner satanischen Periode
vorbereitet hat, und tritt jetzt unter Haufen führerlosen und ratlosem Volkes,
ruft sie auf "zum Kampf um ihre Habe und für den edeln königlichen Leib,"
besiegt und zerschmettert die Rebellen und führt dann in seinem abgeschiednen
Thal fort zum Segen des Landes, in dem er wohnt und sich, sehr mit Wider¬
streben, verheiratet hat, Gutes zu thun. Er scheint ein großer Ingenieur ge¬
worden zu sein, er "bricht des Berges Bann und läßt Kanäle graben durch
das Land," jedenfalls wird im Feuer der Arbeit sein Herz lauter und rein
und kann dem schließlich hereinbrechenden Weltgericht, wenn auch mit Zagen,
doch mit Hoffnung entgegensehen. Da sich Gottes Gnade groß und weit
genug erweist, dem geläuterten Satan zu vergeben, so ist es natürlich, daß
auch alle Verdammten der Hölle und alle teuflischen Genossen Satans, die
seit dem Verschwinden ihres Meisters erbärmlich zusammengekauert in der Hölle
sitzen, gleichfalls begnadigt werden.


Der ewige Jude und der Teufel

Genußdurstes unsrer Tage scheint, um so zündender und heißer steigt die Lohe
des Verlangens auf, „bis daß Begierde keine Thaten scheut, sofern (?) sie nur
genießt." Die Erde ist entgöttert, hoher Sinn und ehrlicher Ernst ver¬
schwunden,

Man sollte nun meinen, daß der höllische Feind, nachdem er die Welt
glücklich so weit gebracht hat, keine schäferlichen Anwandlungen mehr verspüren
würde. Aber er fühlt sich wirklich von geheimem Sehnen nach dem Städtchen
erfaßt, wo sich ihm zuerst „gleich große Lieb und Schwachheit" offenbart hat.
Da wird der Ratschluß des Herrn an ihm erfüllt, Elfe, die ihm treu ge¬
blieben ist und nichts besseres begehrt, als ihn wieder in ihre Arme zu schließen,
begrüßt den vermeintlich wiederkehrenden mit ungeminderter Liebe, Satan fühlt
sich überwältigt, Menschenschwäche zieht in seine Brust, das stolze Flammen¬
leuchten seines Blicks erlischt, er stürzt, Elfe fluchend, davon, ruft umsonst
nach den alten Genossen seiner Nacht, fühlt sich verurteilt, als Mensch zu
leben, und erfährt auch gleich ein Stück menschliches Schicksal, indem er in
die Hände der Räuber fällt, die ihn, da er kein Gold bei sich tragt, bis auf
den Tod mißhandeln- Wieder ist es Elfe, die ihn findet und Pflegt, in Satans
Herzen erwacht menschliche Empfindung, mit Menschenaugen sieht er jetzt sein
höllisches Thun und Lassen an, und mit Menschensinn begreift er, daß er
zwar, was er gethan hat, nicht zum Guten zu wandeln, aber doch dem Guten
noch zu dienen vermag. Das Gute ist sein Anschluß an die konservative
Partei, er erlebt die große Revolution, die er in seiner satanischen Periode
vorbereitet hat, und tritt jetzt unter Haufen führerlosen und ratlosem Volkes,
ruft sie auf „zum Kampf um ihre Habe und für den edeln königlichen Leib,"
besiegt und zerschmettert die Rebellen und führt dann in seinem abgeschiednen
Thal fort zum Segen des Landes, in dem er wohnt und sich, sehr mit Wider¬
streben, verheiratet hat, Gutes zu thun. Er scheint ein großer Ingenieur ge¬
worden zu sein, er „bricht des Berges Bann und läßt Kanäle graben durch
das Land," jedenfalls wird im Feuer der Arbeit sein Herz lauter und rein
und kann dem schließlich hereinbrechenden Weltgericht, wenn auch mit Zagen,
doch mit Hoffnung entgegensehen. Da sich Gottes Gnade groß und weit
genug erweist, dem geläuterten Satan zu vergeben, so ist es natürlich, daß
auch alle Verdammten der Hölle und alle teuflischen Genossen Satans, die
seit dem Verschwinden ihres Meisters erbärmlich zusammengekauert in der Hölle
sitzen, gleichfalls begnadigt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/84>, abgerufen am 30.06.2024.