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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der ewige Jude und der Teufel

Prophet zugleich, herrscht als Solor über das Reich, sendet seine Boten in
alle Welt, ordnet eine grimmige Christenverfolgung an und zwingt die Menschen,
die leben wollen, das Zeichen des Antichrists auf der Stirn zu tragen. Ahasver,
in dem die Jahrtausende, die er seit der Kreuzigung durchlebt hat, die Energie
des Christenhasses und den hochmütigen Dünkel des auserwählten Volkes
nicht getilgt haben, gerät mit König Sotsr zuerst in Zwist, wie dieser nicht
ausschließlich der Judenmessias, sondern der neue Gott aller Völker sein will.
Der Tempel, der auf der Stätte des alten wieder aufgerichtet worden ist,
soll nicht der Tempel Jehovas, sondern der Tempel Sotkrs sein. Da flammt
Ahasvers Zorn gegen den Frevler am alten Gott auf: Solor läßt den
ewigen Juden blenden. Dieser wird dann in seiner Hilflosigkeit von einem
Häuflein der verfolgten und niedergesetzten Christen aufgefunden, und der
Papst, der an der Spitze dieser Schar steht, heißt diese Auffindung als ein
besondres Glück willkommen und erblickt in Ahasver einen Saulus, der zum
Paulus werden soll. Als der geblendete Ahasver zuerst entdeckt, daß er sich
bei Christen befindet, schäumt er noch einmal wild empor, erklärt, er sei der
ewig neugeborne, jahrtausendealte Haß des Judentums gegen die ganze
andre Welt, sei der Mörder des Nazareners, sei der Mann, der alle Welt
von altersher bis zum Riesenkampfe gegen die christliche Kirche gehetzt habe.
Er erwartet, seines Fluches vergessend, vom Hasse der Christen den Tod, der
Papst antwortet ihm nur, daß er nicht sterben werde, ehe sein Auge das Heil
der Völker geschaut und der Weihebronn der Taufe sühnend seinen Scheitel
genetzt habe. Und in der That kommt es so, der ewige Jude, der durch ein
Wunder das vom Antichrist geraubte Augenlicht zurückerhält, führt die Reste
der Seinen in den Schoß der christlichen Kirche, tritt wirklich als Paulus
dein Königgott Solor gegenüber und ruft ihm zu:

Der Antichrist vermißt sich, sich zum Himmel zu erheben und dann als Richter
wiederzukehren. Bei diesem Unterfangen wird er auf Ahasvers des neuen
Christen brünstiges Gebet vom Herrn und seinen himmlischen Heerscharen
zerschmetterte, die Erde erbebt, die Pracht Jerusalems fällt in Trümmer, die
Blitze dringen als wohlgezielte Treffer in das Leben, bis alle Macht Sotsrs
in Trümmern liegt. Auf einem paradiesischen Eiland wird das Fest des
neuen Gottesbuudes und der siegreich wieder erstehenden Kirche gefeiert, der
Papst liest die Messe und erteilt den Segen, alle Gesegneten erheben sich vom
Boden,


Der ewige Jude und der Teufel

Prophet zugleich, herrscht als Solor über das Reich, sendet seine Boten in
alle Welt, ordnet eine grimmige Christenverfolgung an und zwingt die Menschen,
die leben wollen, das Zeichen des Antichrists auf der Stirn zu tragen. Ahasver,
in dem die Jahrtausende, die er seit der Kreuzigung durchlebt hat, die Energie
des Christenhasses und den hochmütigen Dünkel des auserwählten Volkes
nicht getilgt haben, gerät mit König Sotsr zuerst in Zwist, wie dieser nicht
ausschließlich der Judenmessias, sondern der neue Gott aller Völker sein will.
Der Tempel, der auf der Stätte des alten wieder aufgerichtet worden ist,
soll nicht der Tempel Jehovas, sondern der Tempel Sotkrs sein. Da flammt
Ahasvers Zorn gegen den Frevler am alten Gott auf: Solor läßt den
ewigen Juden blenden. Dieser wird dann in seiner Hilflosigkeit von einem
Häuflein der verfolgten und niedergesetzten Christen aufgefunden, und der
Papst, der an der Spitze dieser Schar steht, heißt diese Auffindung als ein
besondres Glück willkommen und erblickt in Ahasver einen Saulus, der zum
Paulus werden soll. Als der geblendete Ahasver zuerst entdeckt, daß er sich
bei Christen befindet, schäumt er noch einmal wild empor, erklärt, er sei der
ewig neugeborne, jahrtausendealte Haß des Judentums gegen die ganze
andre Welt, sei der Mörder des Nazareners, sei der Mann, der alle Welt
von altersher bis zum Riesenkampfe gegen die christliche Kirche gehetzt habe.
Er erwartet, seines Fluches vergessend, vom Hasse der Christen den Tod, der
Papst antwortet ihm nur, daß er nicht sterben werde, ehe sein Auge das Heil
der Völker geschaut und der Weihebronn der Taufe sühnend seinen Scheitel
genetzt habe. Und in der That kommt es so, der ewige Jude, der durch ein
Wunder das vom Antichrist geraubte Augenlicht zurückerhält, führt die Reste
der Seinen in den Schoß der christlichen Kirche, tritt wirklich als Paulus
dein Königgott Solor gegenüber und ruft ihm zu:

Der Antichrist vermißt sich, sich zum Himmel zu erheben und dann als Richter
wiederzukehren. Bei diesem Unterfangen wird er auf Ahasvers des neuen
Christen brünstiges Gebet vom Herrn und seinen himmlischen Heerscharen
zerschmetterte, die Erde erbebt, die Pracht Jerusalems fällt in Trümmer, die
Blitze dringen als wohlgezielte Treffer in das Leben, bis alle Macht Sotsrs
in Trümmern liegt. Auf einem paradiesischen Eiland wird das Fest des
neuen Gottesbuudes und der siegreich wieder erstehenden Kirche gefeiert, der
Papst liest die Messe und erteilt den Segen, alle Gesegneten erheben sich vom
Boden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/86>, abgerufen am 30.06.2024.