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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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wiesen, dnß die Spezies der sogenannten "reinen Faulheit" auch noch auf einem
andern Boden wuchert und gedeiht. Wir denken an die vielen Musensöhne,
denen es vor allem darauf ankommt, "Studenten" zu sein, aber nicht zu
studiren, denen der Komment mit dem, was drum und drum hängt, der In¬
begriff aller Weisheit ist, und die -- wir wollen es zum Entsetzen der
Väter und Mütter heraussagen -- in den feinsten Korps am zahlreichsten
vertreten sind.

Nun zum Trinken. Ziegler führt aus, wie dieses altgermanische Laster,
das uns schon zu Tacitus Zeiten bei andern Völkern einen wenig feinen Ruf
verschafft habe, in der Gegenwart allmählich aus einem allgemeinen ein ge¬
meines geworden sei, gegen das man auf der ganzen Linie, d. h. in allen
Ständen und Schichten, einen regelrechten Kampf eröffnen müsse. Zwar die
völlige Enthaltsamkeit werde nur sür den zur Pflicht, der seiner nicht
mächtig sei, für die übrigen aber gehöre sie in das Kapitel der evangelischen
Ratschläge, denn daß man zusammen trinke, wenn man sich zusammen freue,
sei eine psychologisch begründete Sitte, Für schlechthin bedenklich und ver¬
werflich seien dagegen zwei andre Erscheinungen zu erklären: erstens, daß jetzt
sogar die Herren Tertianer und sekundärer anfangen, in regelrechter Weise
zu kommersiren, und zweitens, daß auf den Universitäten die Veranstaltungen
des zwangsmäßigen Trinkens noch immer in der Mode sind. In dem ersten
liegt ein schwerer Vorwurf, nicht für die Schule, sondern für die Eltern, die
zu gleichgiltig oder zu schwächlich sind, dem Treiben ihrer Söhne im rechten
Augenblick entgegenzutreten, das zweite aber erniedrigt das Trinken zum Saufen.
Auch den Frühschoppen erklärt Ziegler für eine üble Unsitte, denn das Bier
mache nach Bismarck ohne Frage faul, und darum sei es vom Übel, anders
als gelegentlich, etwa in festlicher Nachstimmung, zum Frühschoppen zu
wandeln.

Der dritte dunkle Punkt, worüber sich der studentische Ehrenkodex aus¬
schweigt, liegt darin, daß manche Studenten über ihre Verhältnisse leben, eine
Gewohnheit, der man bekanntlich auch sonst oft begegnet. Schon die Bestimmung
mancher Verbindungen, daß jedes Mitglied einen "Wechsel" von bestimmter
Höhe haben muß, ist als ein Ausfluß des Zeitgeistes, der die Personen nach
ihrem Geldsack schätzt, verwerflich. Als Rechtfertigung dieser Bestimmung
führt man bekanntlich an, daß sie das Schuldenmachen verhüte. Aber schlimmer
noch als die, die Schulden machen, um es den reichern Genossen nachzuthu u,
sind die andern, die von zu Hause das nötige Geld zur Befriedigung ihrer
"Ansprüche" erhalten, und dann, ohne zu bedenken, daß sich Eltern und Ge¬
schwister vielleicht manches vom Munde abdarben, schwelgen und prasselt und
sich Dinge erlauben, die sich sonst kein wackrer Mensch ans dein Mittelstande
gestatten würde. "Alles haben müssen, was andre haben, das ist die rohe
und äußerliche Auffassung der Standesehre, die sich mehr als billig auch in


wiesen, dnß die Spezies der sogenannten „reinen Faulheit" auch noch auf einem
andern Boden wuchert und gedeiht. Wir denken an die vielen Musensöhne,
denen es vor allem darauf ankommt, „Studenten" zu sein, aber nicht zu
studiren, denen der Komment mit dem, was drum und drum hängt, der In¬
begriff aller Weisheit ist, und die — wir wollen es zum Entsetzen der
Väter und Mütter heraussagen — in den feinsten Korps am zahlreichsten
vertreten sind.

Nun zum Trinken. Ziegler führt aus, wie dieses altgermanische Laster,
das uns schon zu Tacitus Zeiten bei andern Völkern einen wenig feinen Ruf
verschafft habe, in der Gegenwart allmählich aus einem allgemeinen ein ge¬
meines geworden sei, gegen das man auf der ganzen Linie, d. h. in allen
Ständen und Schichten, einen regelrechten Kampf eröffnen müsse. Zwar die
völlige Enthaltsamkeit werde nur sür den zur Pflicht, der seiner nicht
mächtig sei, für die übrigen aber gehöre sie in das Kapitel der evangelischen
Ratschläge, denn daß man zusammen trinke, wenn man sich zusammen freue,
sei eine psychologisch begründete Sitte, Für schlechthin bedenklich und ver¬
werflich seien dagegen zwei andre Erscheinungen zu erklären: erstens, daß jetzt
sogar die Herren Tertianer und sekundärer anfangen, in regelrechter Weise
zu kommersiren, und zweitens, daß auf den Universitäten die Veranstaltungen
des zwangsmäßigen Trinkens noch immer in der Mode sind. In dem ersten
liegt ein schwerer Vorwurf, nicht für die Schule, sondern für die Eltern, die
zu gleichgiltig oder zu schwächlich sind, dem Treiben ihrer Söhne im rechten
Augenblick entgegenzutreten, das zweite aber erniedrigt das Trinken zum Saufen.
Auch den Frühschoppen erklärt Ziegler für eine üble Unsitte, denn das Bier
mache nach Bismarck ohne Frage faul, und darum sei es vom Übel, anders
als gelegentlich, etwa in festlicher Nachstimmung, zum Frühschoppen zu
wandeln.

Der dritte dunkle Punkt, worüber sich der studentische Ehrenkodex aus¬
schweigt, liegt darin, daß manche Studenten über ihre Verhältnisse leben, eine
Gewohnheit, der man bekanntlich auch sonst oft begegnet. Schon die Bestimmung
mancher Verbindungen, daß jedes Mitglied einen „Wechsel" von bestimmter
Höhe haben muß, ist als ein Ausfluß des Zeitgeistes, der die Personen nach
ihrem Geldsack schätzt, verwerflich. Als Rechtfertigung dieser Bestimmung
führt man bekanntlich an, daß sie das Schuldenmachen verhüte. Aber schlimmer
noch als die, die Schulden machen, um es den reichern Genossen nachzuthu u,
sind die andern, die von zu Hause das nötige Geld zur Befriedigung ihrer
„Ansprüche" erhalten, und dann, ohne zu bedenken, daß sich Eltern und Ge¬
schwister vielleicht manches vom Munde abdarben, schwelgen und prasselt und
sich Dinge erlauben, die sich sonst kein wackrer Mensch ans dein Mittelstande
gestatten würde. „Alles haben müssen, was andre haben, das ist die rohe
und äußerliche Auffassung der Standesehre, die sich mehr als billig auch in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/77>, abgerufen am 30.06.2024.