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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

junge Herr, der sich wie ein siegesgewisser Kommis oder ein angehender
Diplomat benimmt und den Verdacht nahe legt, daß er ein Hohlkopf oder ein
Streber sei und sich beugen werde, wo immer "die Gewalt sich regt."

Am Schluß der Auseinandersetzung über die akademische Freiheit kommt
Ziegler auf die studentische Kleidung, die Farben und den Frack zu sprechen,
Dinge, denen er mit gemischten Empfindungen gegenübersteht. Während er
gegen die bunten Mützen und Bänder, einen Rest der alten Neigung, sich
durch irgend etwas Auffallendes oder Flottes von andern jungen Leuten zu
unterscheiden, nichts einwenden will, wünscht er den Frack, als das traurige
Wahrzeichen männlichen Ungeschmacks, von der Universität, ja selbst aus dem
Examen Verbanne; noch mehr aber klagt er darüber, daß auch Studenten auf
die Gigerltracht hineingefallen sind, jene "häßliche Zuhültertracht, die die phy¬
sische, intellektuelle und moralische Impotenz so schamlos zur Schau trügt."

Von der vierten bis zur siebenten Vorlesung wird die akademische Ehre
und ihr Verhältnis zu einigen sehr heikeln Dingen behandelt. Was ist die
Ehre? Auf diese Frage giebt Ziegler eine Antwort, mit der sich Sudermanns
Graf Trask einverstanden erklären könnte: sie habe etwas Aristokratisches an sich,
etwas von Kastengeist und Standcsvorurteil, und könne mit der Sittlichkeit,
die im Gegensatz dazu demokratische Züge habe, schwer zusammenstoßen. Auch
Graf Trask giebt als das Wesen der sogenannten Ehre an, daß nur wenige,
ein Häuflein Halbgötter, sie haben dürfe, und daß es thatsächlich so viele
Sorten von "Ehre" gebe wie gesellschaftliche Kreise und Schichten. Man kann
über die Art und Weise, wie sich der ehemalige Kürassierleutnant und jetzige
Kaffeekönig über den Ehrbegriff seiner frühern Standesgenossen lustig macht,
verschiedner Meinung sein, aber wenn er betont, daß man an die Stelle der
Ehre die Pflicht setzen solle, so läßt sich dagegen nichts einwenden. Denn es
läßt sich nicht leugnen, daß die meisten Ehreneodiees Dinge für erlaubt er¬
klären oder wenigstens dulden, die der Pflicht schnurstracks zuwiderlaufen. Das
gilt auch von dem studentischen Ehrenkodex, der drei sehr häßliche und ver¬
derbliche Fehler: zu faulenzen, zu trinken und über seine Verhältnisse zu leben,
nicht verbietet.

Hinsichtlich der Faulheit ist allerdings zu beachten, daß ein Student, der
die Kollegien schwärzt oder seine Bücher vernachlässigt, deshalb noch nicht als
faul bezeichnet werden darf, weil er bei aller Gleichgiltigkeit gegenüber seinem
Fach doch ein Mensch von Bildungsstreben sein kann. Der "reinen Faulheit"
begegnet mau nach Zieglers Wahrnehmungen unter der akademischen Jugend
verhältnismäßig selten; wo sie auftrete, werde man sie in der Regel als die
Nebenerscheinung zweier andern Laster, der Trunksucht und der Ausschweifung,
erkennen. Ob die "reine Faulheit" wirklich unter der Studentenschaft nicht
eine größere Zahl Verehrer hat, als Ziegler anzunehmen scheint, ist eine Frage,
die wir nicht so ohne weiteres verneinen möchten; hier sei nur darauf hinge-


Der deutsche Student am Ende des neunzehnten Jahrhunderts

junge Herr, der sich wie ein siegesgewisser Kommis oder ein angehender
Diplomat benimmt und den Verdacht nahe legt, daß er ein Hohlkopf oder ein
Streber sei und sich beugen werde, wo immer „die Gewalt sich regt."

Am Schluß der Auseinandersetzung über die akademische Freiheit kommt
Ziegler auf die studentische Kleidung, die Farben und den Frack zu sprechen,
Dinge, denen er mit gemischten Empfindungen gegenübersteht. Während er
gegen die bunten Mützen und Bänder, einen Rest der alten Neigung, sich
durch irgend etwas Auffallendes oder Flottes von andern jungen Leuten zu
unterscheiden, nichts einwenden will, wünscht er den Frack, als das traurige
Wahrzeichen männlichen Ungeschmacks, von der Universität, ja selbst aus dem
Examen Verbanne; noch mehr aber klagt er darüber, daß auch Studenten auf
die Gigerltracht hineingefallen sind, jene „häßliche Zuhültertracht, die die phy¬
sische, intellektuelle und moralische Impotenz so schamlos zur Schau trügt."

Von der vierten bis zur siebenten Vorlesung wird die akademische Ehre
und ihr Verhältnis zu einigen sehr heikeln Dingen behandelt. Was ist die
Ehre? Auf diese Frage giebt Ziegler eine Antwort, mit der sich Sudermanns
Graf Trask einverstanden erklären könnte: sie habe etwas Aristokratisches an sich,
etwas von Kastengeist und Standcsvorurteil, und könne mit der Sittlichkeit,
die im Gegensatz dazu demokratische Züge habe, schwer zusammenstoßen. Auch
Graf Trask giebt als das Wesen der sogenannten Ehre an, daß nur wenige,
ein Häuflein Halbgötter, sie haben dürfe, und daß es thatsächlich so viele
Sorten von „Ehre" gebe wie gesellschaftliche Kreise und Schichten. Man kann
über die Art und Weise, wie sich der ehemalige Kürassierleutnant und jetzige
Kaffeekönig über den Ehrbegriff seiner frühern Standesgenossen lustig macht,
verschiedner Meinung sein, aber wenn er betont, daß man an die Stelle der
Ehre die Pflicht setzen solle, so läßt sich dagegen nichts einwenden. Denn es
läßt sich nicht leugnen, daß die meisten Ehreneodiees Dinge für erlaubt er¬
klären oder wenigstens dulden, die der Pflicht schnurstracks zuwiderlaufen. Das
gilt auch von dem studentischen Ehrenkodex, der drei sehr häßliche und ver¬
derbliche Fehler: zu faulenzen, zu trinken und über seine Verhältnisse zu leben,
nicht verbietet.

Hinsichtlich der Faulheit ist allerdings zu beachten, daß ein Student, der
die Kollegien schwärzt oder seine Bücher vernachlässigt, deshalb noch nicht als
faul bezeichnet werden darf, weil er bei aller Gleichgiltigkeit gegenüber seinem
Fach doch ein Mensch von Bildungsstreben sein kann. Der „reinen Faulheit"
begegnet mau nach Zieglers Wahrnehmungen unter der akademischen Jugend
verhältnismäßig selten; wo sie auftrete, werde man sie in der Regel als die
Nebenerscheinung zweier andern Laster, der Trunksucht und der Ausschweifung,
erkennen. Ob die „reine Faulheit" wirklich unter der Studentenschaft nicht
eine größere Zahl Verehrer hat, als Ziegler anzunehmen scheint, ist eine Frage,
die wir nicht so ohne weiteres verneinen möchten; hier sei nur darauf hinge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/76>, abgerufen am 30.06.2024.