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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der achte deutsche Handwerkertag

soll das der Befähigungsnachweis verhindern, durch den der Betrieb der
Fabrik gar nicht getroffen wird? Das ist mit dem besten Willen nicht ein¬
zusehe".

Zu dem Thema "Gefängnisarbeit" waren folgende Resolutionen beantragt
worden (wir übersetzen sie wieder aus dem oft schwer verstündlichen Deutsch
des Handwerkertags in die Sprache dieser Blätter):

1. Daß die Zuchthaus- und Gefängnisarbeit derart beschränkt werde, daß
man sie nur für die Bedürfnisse der Staatsverwaltungen, insbesondre für die
Anfertigung der Militärarbeiteu nutzbar mache, oder daß wenigstens die in den
Gefängnissen hergestellten Arbeiten unter Ausschluß der Maschinen nach den
ortsüblichen Preisen bezahlt würden.

2. Daß die Militärwerkstätten aufgehoben und die Gefangnen mit der Her¬
stellung von Halbfabrikaten unter Ausschluß der Maschinen oder mit der Aus¬
führung von Kulturarbeiten beschäftigt würden.

In diesen Anträgen sind verschiedne Auffassungen über die Militürwcrk-
stütten vertreten; im ersten Antrage sollen sie beibehalten und nur auf die
Gefängnisse beschränkt werden, im zweiten wird für die vollständige Aufhebung
gesprochen, und zwar offenbar deshalb, weil man in ihnen eine Beschränkung
des freien Gewerbebetriebes sieht, eine Meinung, die ein Hamburger Dclegirter
noch zu dem besondern Antrage formulirt hat: "Der achte Handwerkertag sieht
immer mehr in den von seiten der Reichs- und Kommunalbehörden eingerichteten
Regiebetrieben eine arge Schädigung des selbständigen Handwerks" u. s. w.
Die Bekämpfung der Gefängnisarbeit ist alt, und doch findet man bei der Be¬
urteilung dieser Verhältnisse noch immer nicht die rechte Einsicht. Die Ge¬
fängnisarbeit wird nach andern Gesichtspunkten betrieben als die freie Arbeit;
der industrielle Betrieb hat sich hierbei den eigentlichen Zielen der Anstalt
unterzuordnen, denn er ist nicht Selbstzweck, sondern dient nur dazu, die Kosten
der Gefangenhaltung zu verringern (und damit die Steuerlast für alle zu er¬
leichtern) und die Menschlichkeit zu wahren, indem man den Gefangnen durch
Arbeit vor den Qualen eines erzwnngnen Müssigseins bewahrt. Man hat dem
Negieverfahren meist das Unternchmerverfahren vorgezogen aus guten Gründen,
lor allem, weil die technische und kaufmännische Leitung in der Hand von Be¬
amten keine guten Erfolge hatte. Daß nnn die Unternehmer durchaus nicht
unter so glänzenden Bedingungen arbeiten, wie die Handwerker und Industriellen
behaupten, ergiebt sich leicht aus der Eigentümlichkeit der Anstalten. Wir wollen
das hier nicht auseinandersetzen, sondern nnr mit einigen Zahlen beweisen, daß
die Furcht vor der Gefäugnisarbeit übertrieben ist.

Zunächst ist die Zahl der Sträflinge im Verhältnis zu der freien arbei¬
tenden Bevölkerung zu beachte"; 1882/83 standen in Preußen 3650526 freien
Gewerbtreibenden 30000 Sträflinge gegenüber. Dieses Verhältnis verschiebt
sich noch bedeutend, wenn man erwägt, daß (in Preußen) zwei Sträflinge in


Der achte deutsche Handwerkertag

soll das der Befähigungsnachweis verhindern, durch den der Betrieb der
Fabrik gar nicht getroffen wird? Das ist mit dem besten Willen nicht ein¬
zusehe».

Zu dem Thema „Gefängnisarbeit" waren folgende Resolutionen beantragt
worden (wir übersetzen sie wieder aus dem oft schwer verstündlichen Deutsch
des Handwerkertags in die Sprache dieser Blätter):

1. Daß die Zuchthaus- und Gefängnisarbeit derart beschränkt werde, daß
man sie nur für die Bedürfnisse der Staatsverwaltungen, insbesondre für die
Anfertigung der Militärarbeiteu nutzbar mache, oder daß wenigstens die in den
Gefängnissen hergestellten Arbeiten unter Ausschluß der Maschinen nach den
ortsüblichen Preisen bezahlt würden.

2. Daß die Militärwerkstätten aufgehoben und die Gefangnen mit der Her¬
stellung von Halbfabrikaten unter Ausschluß der Maschinen oder mit der Aus¬
führung von Kulturarbeiten beschäftigt würden.

In diesen Anträgen sind verschiedne Auffassungen über die Militürwcrk-
stütten vertreten; im ersten Antrage sollen sie beibehalten und nur auf die
Gefängnisse beschränkt werden, im zweiten wird für die vollständige Aufhebung
gesprochen, und zwar offenbar deshalb, weil man in ihnen eine Beschränkung
des freien Gewerbebetriebes sieht, eine Meinung, die ein Hamburger Dclegirter
noch zu dem besondern Antrage formulirt hat: „Der achte Handwerkertag sieht
immer mehr in den von seiten der Reichs- und Kommunalbehörden eingerichteten
Regiebetrieben eine arge Schädigung des selbständigen Handwerks" u. s. w.
Die Bekämpfung der Gefängnisarbeit ist alt, und doch findet man bei der Be¬
urteilung dieser Verhältnisse noch immer nicht die rechte Einsicht. Die Ge¬
fängnisarbeit wird nach andern Gesichtspunkten betrieben als die freie Arbeit;
der industrielle Betrieb hat sich hierbei den eigentlichen Zielen der Anstalt
unterzuordnen, denn er ist nicht Selbstzweck, sondern dient nur dazu, die Kosten
der Gefangenhaltung zu verringern (und damit die Steuerlast für alle zu er¬
leichtern) und die Menschlichkeit zu wahren, indem man den Gefangnen durch
Arbeit vor den Qualen eines erzwnngnen Müssigseins bewahrt. Man hat dem
Negieverfahren meist das Unternchmerverfahren vorgezogen aus guten Gründen,
lor allem, weil die technische und kaufmännische Leitung in der Hand von Be¬
amten keine guten Erfolge hatte. Daß nnn die Unternehmer durchaus nicht
unter so glänzenden Bedingungen arbeiten, wie die Handwerker und Industriellen
behaupten, ergiebt sich leicht aus der Eigentümlichkeit der Anstalten. Wir wollen
das hier nicht auseinandersetzen, sondern nnr mit einigen Zahlen beweisen, daß
die Furcht vor der Gefäugnisarbeit übertrieben ist.

Zunächst ist die Zahl der Sträflinge im Verhältnis zu der freien arbei¬
tenden Bevölkerung zu beachte»; 1882/83 standen in Preußen 3650526 freien
Gewerbtreibenden 30000 Sträflinge gegenüber. Dieses Verhältnis verschiebt
sich noch bedeutend, wenn man erwägt, daß (in Preußen) zwei Sträflinge in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/69>, abgerufen am 30.06.2024.