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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der achte deutsche Handwerkertag

fähig, so erhält er den Zuschlag, obwohl die Bauverwaltung genau weiß, daß
er die Arbeit zu diesem Preise nicht ausführen kann, sondern zu Grnnde ge¬
richtet wird. Man könnte ja nun sagen, wenn der Unternehmer nicht rechnen
kann, so soll er auch die Folgen tragen; aber richtiger müßte doch der Hauptsatz
lauten: so soll ihm der Staat keine Arbeit übertragen.

Der Handwerkertag hat sich auch gegen die Konsumvereine, die Beamten-
und Offiziersvereine gewendet. Der Anfangssatz der angenommnen Resolution
lautet: "Der achte allgemeine deutsche Handwerkertag verurteilt die Konsum¬
vereine als einen Über (!) griff nackter Selbstsucht in(!) die Existenz und das
Recht des Nächsten; er sieht in ihnen den Keim zur völligen Zerstörung unsrer
gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und szurj Untergrabung der Monarchie
infolge ihrer sozialistisch-kommunistischen Tendenz." So spricht blindwütiger
Haß, aber nicht eine vernünftige Kritik, Man kann über die Konsulnvereine
verschiedner Ansicht sein, aber eine solche Macht bilden sie in unserm wirt¬
schaftlichen Leben nicht, daß man sich so dagegen ereifern müßte, und die
Behauptung über ihre Tendenz enthält zwar ein klein wenig Wahrheit, aber
auch nur ein klein wenig. Aber sind denn die Produzenten allein ans der
Welt, und haben nicht auch die Konsumenten gewisse Rechte? Man kann es
volkswirtschaftlich nur für wünschenswert halten, wenn die Spesen des Zwischen¬
handels, die doch wohl der Konsument zu tragen hat, etwas vermindert
werden.

Im Anschluß an diese Frage wurde der von Kölner Handwerkern gestellte
Antrag beraten, die Filialen zu beschränken und zur Gewerbesteuer heran¬
zuziehen. Zur Begründung wurde angeführt, daß eine Kölner Brotfabrik mit
neunzig Filialen bestehe, von denen nicht eine einzige Gewerbesteuer zahle, da
ihre Einnahmen nicht die Summe von 1500 Mark erreichten. Bei diesem
Antrage ist die erste Hälfte wieder undurchführbar, die zweite natürlich da¬
gegen berechtigt.

Die Hauptförderungen der Handwerker waren auch diesmal die. der
Zwangsinnung und des Befähigungsnachweises. Wenn man den Befähigungs¬
nachweis einführen will, so ist jedenfalls nötig, wie man es jetzt verlangt, einen
klaren Unterschied zwischen den Begriffen Handwerk und Fabrik festzustellen,
denn sonst entsteht eine heillose Verwirrung, wie man sie im österreichischen
Gewerbelebcn studiren kann. Ob aber zwischen Handwerks- und Fabrikbetrieb
ein klarer Unterschied möglich ist, ist doch sehr die Frage. Von dem Befähigungs¬
nachweis erwarte ich nicht den Erfolg, von dem die Meister träumen. Er ist
gewiß insofern nützlich, als die Erlaubnis, Lehrlinge auszubilden, nur auf
einen solchen Nachweis hin erteilt werden soll, aber an dem Verhältnis des
Handwerks zum Großbetrieb ändert er nichts, und das ist doch der Kernpunkt
der Sache. Greifen wir ein Handwerk heraus, das dem Untergange geweiht
ist: das Schuhmachcrhandwerk. Es wird ruinirt von der Schuhfabrik. Wie


Der achte deutsche Handwerkertag

fähig, so erhält er den Zuschlag, obwohl die Bauverwaltung genau weiß, daß
er die Arbeit zu diesem Preise nicht ausführen kann, sondern zu Grnnde ge¬
richtet wird. Man könnte ja nun sagen, wenn der Unternehmer nicht rechnen
kann, so soll er auch die Folgen tragen; aber richtiger müßte doch der Hauptsatz
lauten: so soll ihm der Staat keine Arbeit übertragen.

Der Handwerkertag hat sich auch gegen die Konsumvereine, die Beamten-
und Offiziersvereine gewendet. Der Anfangssatz der angenommnen Resolution
lautet: „Der achte allgemeine deutsche Handwerkertag verurteilt die Konsum¬
vereine als einen Über (!) griff nackter Selbstsucht in(!) die Existenz und das
Recht des Nächsten; er sieht in ihnen den Keim zur völligen Zerstörung unsrer
gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und szurj Untergrabung der Monarchie
infolge ihrer sozialistisch-kommunistischen Tendenz." So spricht blindwütiger
Haß, aber nicht eine vernünftige Kritik, Man kann über die Konsulnvereine
verschiedner Ansicht sein, aber eine solche Macht bilden sie in unserm wirt¬
schaftlichen Leben nicht, daß man sich so dagegen ereifern müßte, und die
Behauptung über ihre Tendenz enthält zwar ein klein wenig Wahrheit, aber
auch nur ein klein wenig. Aber sind denn die Produzenten allein ans der
Welt, und haben nicht auch die Konsumenten gewisse Rechte? Man kann es
volkswirtschaftlich nur für wünschenswert halten, wenn die Spesen des Zwischen¬
handels, die doch wohl der Konsument zu tragen hat, etwas vermindert
werden.

Im Anschluß an diese Frage wurde der von Kölner Handwerkern gestellte
Antrag beraten, die Filialen zu beschränken und zur Gewerbesteuer heran¬
zuziehen. Zur Begründung wurde angeführt, daß eine Kölner Brotfabrik mit
neunzig Filialen bestehe, von denen nicht eine einzige Gewerbesteuer zahle, da
ihre Einnahmen nicht die Summe von 1500 Mark erreichten. Bei diesem
Antrage ist die erste Hälfte wieder undurchführbar, die zweite natürlich da¬
gegen berechtigt.

Die Hauptförderungen der Handwerker waren auch diesmal die. der
Zwangsinnung und des Befähigungsnachweises. Wenn man den Befähigungs¬
nachweis einführen will, so ist jedenfalls nötig, wie man es jetzt verlangt, einen
klaren Unterschied zwischen den Begriffen Handwerk und Fabrik festzustellen,
denn sonst entsteht eine heillose Verwirrung, wie man sie im österreichischen
Gewerbelebcn studiren kann. Ob aber zwischen Handwerks- und Fabrikbetrieb
ein klarer Unterschied möglich ist, ist doch sehr die Frage. Von dem Befähigungs¬
nachweis erwarte ich nicht den Erfolg, von dem die Meister träumen. Er ist
gewiß insofern nützlich, als die Erlaubnis, Lehrlinge auszubilden, nur auf
einen solchen Nachweis hin erteilt werden soll, aber an dem Verhältnis des
Handwerks zum Großbetrieb ändert er nichts, und das ist doch der Kernpunkt
der Sache. Greifen wir ein Handwerk heraus, das dem Untergange geweiht
ist: das Schuhmachcrhandwerk. Es wird ruinirt von der Schuhfabrik. Wie


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[0068] Der achte deutsche Handwerkertag fähig, so erhält er den Zuschlag, obwohl die Bauverwaltung genau weiß, daß er die Arbeit zu diesem Preise nicht ausführen kann, sondern zu Grnnde ge¬ richtet wird. Man könnte ja nun sagen, wenn der Unternehmer nicht rechnen kann, so soll er auch die Folgen tragen; aber richtiger müßte doch der Hauptsatz lauten: so soll ihm der Staat keine Arbeit übertragen. Der Handwerkertag hat sich auch gegen die Konsumvereine, die Beamten- und Offiziersvereine gewendet. Der Anfangssatz der angenommnen Resolution lautet: „Der achte allgemeine deutsche Handwerkertag verurteilt die Konsum¬ vereine als einen Über (!) griff nackter Selbstsucht in(!) die Existenz und das Recht des Nächsten; er sieht in ihnen den Keim zur völligen Zerstörung unsrer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung und szurj Untergrabung der Monarchie infolge ihrer sozialistisch-kommunistischen Tendenz." So spricht blindwütiger Haß, aber nicht eine vernünftige Kritik, Man kann über die Konsulnvereine verschiedner Ansicht sein, aber eine solche Macht bilden sie in unserm wirt¬ schaftlichen Leben nicht, daß man sich so dagegen ereifern müßte, und die Behauptung über ihre Tendenz enthält zwar ein klein wenig Wahrheit, aber auch nur ein klein wenig. Aber sind denn die Produzenten allein ans der Welt, und haben nicht auch die Konsumenten gewisse Rechte? Man kann es volkswirtschaftlich nur für wünschenswert halten, wenn die Spesen des Zwischen¬ handels, die doch wohl der Konsument zu tragen hat, etwas vermindert werden. Im Anschluß an diese Frage wurde der von Kölner Handwerkern gestellte Antrag beraten, die Filialen zu beschränken und zur Gewerbesteuer heran¬ zuziehen. Zur Begründung wurde angeführt, daß eine Kölner Brotfabrik mit neunzig Filialen bestehe, von denen nicht eine einzige Gewerbesteuer zahle, da ihre Einnahmen nicht die Summe von 1500 Mark erreichten. Bei diesem Antrage ist die erste Hälfte wieder undurchführbar, die zweite natürlich da¬ gegen berechtigt. Die Hauptförderungen der Handwerker waren auch diesmal die. der Zwangsinnung und des Befähigungsnachweises. Wenn man den Befähigungs¬ nachweis einführen will, so ist jedenfalls nötig, wie man es jetzt verlangt, einen klaren Unterschied zwischen den Begriffen Handwerk und Fabrik festzustellen, denn sonst entsteht eine heillose Verwirrung, wie man sie im österreichischen Gewerbelebcn studiren kann. Ob aber zwischen Handwerks- und Fabrikbetrieb ein klarer Unterschied möglich ist, ist doch sehr die Frage. Von dem Befähigungs¬ nachweis erwarte ich nicht den Erfolg, von dem die Meister träumen. Er ist gewiß insofern nützlich, als die Erlaubnis, Lehrlinge auszubilden, nur auf einen solchen Nachweis hin erteilt werden soll, aber an dem Verhältnis des Handwerks zum Großbetrieb ändert er nichts, und das ist doch der Kernpunkt der Sache. Greifen wir ein Handwerk heraus, das dem Untergange geweiht ist: das Schuhmachcrhandwerk. Es wird ruinirt von der Schuhfabrik. Wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/68>, abgerufen am 30.06.2024.