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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Englische Redner des achtzehnten Jahrhunderts

hinausgetragen, und der Redner selbst endete mit einer künstlichen Ohnmacht.
Es ist dies jene durch Nachschreiben erhaltene Rede. In ihren einzelnen Teilen
ist sie nicht gleich. Man hatte schon damals die Erfahrung gemacht, daß
Kurzschreiber unzuverlässig wiedergeben. Aber einige Partien sind noch in
ihrer jetzigen Fassung von ganz bedeutender Wirkung. Die Kunst war nach
der Ansicht der Zeitgenossen hier noch gesteigert, und nicht immer zu ihrem
Vorteil. Bei Burke in seiner gleichzeitig gehaltnen Rede -- sagen sie -- wäre
alles natürlicher, ernster, innerlicher gewesen. Aber höchst merkwürdig ist vor
allem Burkes eignes Verhalten und sein Zeugnis. Er hatte zuerst, weil er
wenig Vertrauen zu einem guten Ausgang der Sache hatte, gemeint, Sheridan
könne nichts besseres thun, als die Rede vom vorigen Jahre, die damals ihre
Wirkung gethan hätte, zu wiederholen. Als es aber der Freund anders machte
und dann zu Ende war, verstieg sich Burke zu einer öffentlichen Lobrede, wie
man sie noch niemals gehört hatte. Von allen Reden irgendwelcher Art, vor
Gericht, in politischen Versammlungen, in der Kirche, aus alter und neuer
Zeit, sei dieses die höchste je erreichte Leistung. Die Form des Urteils wird
durch die Spannung erklärlich, unter deren Eindruck Burke während des Ver¬
laufs gestanden haben mag. Manche werden auch hier schon an Spuren seines
exzentrischen Wesens denken, das sich um diese Zeit zeigte, als er auch mit
Fox brach.

Während wir in Burke den schwergerüsteten Kämpfer zu bewundern haben,
in Sheridan den schnellen, gefährlichen Leichtbewaffneten, zeigt uns ein älterer
Zeitgenosse von ihnen das Bild eines Paradevfsiziers. Lord Chesterfield hatte
noch Bvlingbroke gekannt und mit Swift und Pope verkehrt. Sein Weltruf
beruht auf den unvergänglichen Briefen an seinen Sohn, die erst nach seinein
Tode (1773) von seiner Witwe veröffentlicht worden sind. Als Redner hatte
er im Unterhnuse keinen Erfolg, desto größern aber im Oberhause. Hier saß
er seit dem Tode seines Vaters und führte die Opposition gegen R. Walpole,
dessen Sohn, der bekannte Horace, ihn später für den besten Redner erklärte.
Die Obcrhausreden waren kürzer, ihre Haltung mußte anders sein. Seinen
Werken sind drei Reden aus seiner besten Zeit, aus den Jahren 1737 und
1743 beigefügt, die sämtlich eine hohe Vorstellung von seiner Herrschaft über
die Form geben. Eine ist einem politisch wichtigern Gegenstande gewidmet,
sie soll in der Art des Demosthenes sein; die beiden andern sind leichter, scher¬
zend, witzig. Von seinem Studium der Alten haben wir schon gesprochen.

Und nun möchte ich um dieses Studiums willen noch eines späten Nach¬
züglers jener großen Zeit gedenken, eines Mannes, von dem schon in seiner
Jugend, als er einmal des Morgens von seinem Landhause nach London herein¬
fuhr, ein witziger Zeitgenosse gesagt hat: "Da führt Solon, Lykurg, De-
mosthenes, Archimedes, Sir Jsaac Newton und Lord Chesterfield und noch
viel mehr Bedeutendes zusammen in einer Kutsche." Das war der vielgenannte


Englische Redner des achtzehnten Jahrhunderts

hinausgetragen, und der Redner selbst endete mit einer künstlichen Ohnmacht.
Es ist dies jene durch Nachschreiben erhaltene Rede. In ihren einzelnen Teilen
ist sie nicht gleich. Man hatte schon damals die Erfahrung gemacht, daß
Kurzschreiber unzuverlässig wiedergeben. Aber einige Partien sind noch in
ihrer jetzigen Fassung von ganz bedeutender Wirkung. Die Kunst war nach
der Ansicht der Zeitgenossen hier noch gesteigert, und nicht immer zu ihrem
Vorteil. Bei Burke in seiner gleichzeitig gehaltnen Rede — sagen sie — wäre
alles natürlicher, ernster, innerlicher gewesen. Aber höchst merkwürdig ist vor
allem Burkes eignes Verhalten und sein Zeugnis. Er hatte zuerst, weil er
wenig Vertrauen zu einem guten Ausgang der Sache hatte, gemeint, Sheridan
könne nichts besseres thun, als die Rede vom vorigen Jahre, die damals ihre
Wirkung gethan hätte, zu wiederholen. Als es aber der Freund anders machte
und dann zu Ende war, verstieg sich Burke zu einer öffentlichen Lobrede, wie
man sie noch niemals gehört hatte. Von allen Reden irgendwelcher Art, vor
Gericht, in politischen Versammlungen, in der Kirche, aus alter und neuer
Zeit, sei dieses die höchste je erreichte Leistung. Die Form des Urteils wird
durch die Spannung erklärlich, unter deren Eindruck Burke während des Ver¬
laufs gestanden haben mag. Manche werden auch hier schon an Spuren seines
exzentrischen Wesens denken, das sich um diese Zeit zeigte, als er auch mit
Fox brach.

Während wir in Burke den schwergerüsteten Kämpfer zu bewundern haben,
in Sheridan den schnellen, gefährlichen Leichtbewaffneten, zeigt uns ein älterer
Zeitgenosse von ihnen das Bild eines Paradevfsiziers. Lord Chesterfield hatte
noch Bvlingbroke gekannt und mit Swift und Pope verkehrt. Sein Weltruf
beruht auf den unvergänglichen Briefen an seinen Sohn, die erst nach seinein
Tode (1773) von seiner Witwe veröffentlicht worden sind. Als Redner hatte
er im Unterhnuse keinen Erfolg, desto größern aber im Oberhause. Hier saß
er seit dem Tode seines Vaters und führte die Opposition gegen R. Walpole,
dessen Sohn, der bekannte Horace, ihn später für den besten Redner erklärte.
Die Obcrhausreden waren kürzer, ihre Haltung mußte anders sein. Seinen
Werken sind drei Reden aus seiner besten Zeit, aus den Jahren 1737 und
1743 beigefügt, die sämtlich eine hohe Vorstellung von seiner Herrschaft über
die Form geben. Eine ist einem politisch wichtigern Gegenstande gewidmet,
sie soll in der Art des Demosthenes sein; die beiden andern sind leichter, scher¬
zend, witzig. Von seinem Studium der Alten haben wir schon gesprochen.

Und nun möchte ich um dieses Studiums willen noch eines späten Nach¬
züglers jener großen Zeit gedenken, eines Mannes, von dem schon in seiner
Jugend, als er einmal des Morgens von seinem Landhause nach London herein¬
fuhr, ein witziger Zeitgenosse gesagt hat: „Da führt Solon, Lykurg, De-
mosthenes, Archimedes, Sir Jsaac Newton und Lord Chesterfield und noch
viel mehr Bedeutendes zusammen in einer Kutsche." Das war der vielgenannte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/634>, abgerufen am 28.07.2024.