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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Englische Redner des achtzehnten Jahrhunderts

abzugeben für ein System von Mißwirtschaft. Dazu wurde der ganze Apparat
der alten freien Verfassung aufgeboten. Das Unterhaus -- Burke und seine
Freunde -- forderte die Untersuchung und führte sie im Jahre 1787; es
vertrat dann auch die Anklage 1788 vor dem höchsten Gerichtshofe, den Peers
des Königreichs, in Westminsterhall, der Stätte ernsten, wichtigen Angedenkens.
Hier erntete Sheridan, der 1780 ins Parlament gekommen war, seine Lor¬
beeren. Ihm war es zugefallen, die Erpressungen zu behandeln, die der Gou¬
verneur an den beiden Prinzessinnen von Orte verübt hatte. Darüber sprach
er zuerst im Unterhause am 7. Februar 1787 fast sechs Stunden. Dann ver¬
trat er im folgenden Jahre vor dem Gerichtshofe die Anklage, die Burke an¬
fangs sich vorbehalten hatte, dann aber dem Freunde als dem sichersten
Kämpen zuwies. Diese erste Rede stellten die Kenner am höchsten. Burke,
Fox und sogar Pitt gaben ihrer Bewunderung in uneingeschränkten Lobe Aus¬
druck. Freunde des Angeklagten wandten sich ab und gegen ihn. Einer von
diesen beschreibt selbst den Eindruck, den die Rede auf ihn machte, wie er von
Stunde zu Stunde mächtiger wird und seine Überzeugung schließlich in ihr
Gegenteil verwandelt. Die Zuhörer mußten sich, nach einem Antrag zur Ge¬
schäftsordnung am Schluß der Rede, sammeln, zu sich kommen, ehe sie weiter
beraten konnten. Der Redner erhielt einen Beifall, wie er in diesen Räumen
nie gehört worden war. Glückwünsche kamen von nah und fern. Ein Buch¬
händler bot tausend Pfund für das Manuskript, erhielt es aber nicht. So
ist denn nur der übliche Bericht übrig geblieben. Einzelne Stellen können
uns wohl eine Vorstellung von der Macht der Rede geben, wenn auch ihr
Eindruck die Schilderungen der Zeitgenossen nicht erreicht. Viel später noch
sagte der einzige Überlebende aus jenen Tagen, damals der jüngste Zuhörer
der Versammlung, Mr. Windham, "der feinste Gentleman seiner Zeit," jene
Rede Sheridans sei die beste seit Menschengedenken im Unterhause gehaltene
gewesen. Spätere suchen die Begründung des uneingeschränkten Beifalls in
dem Berichte vergebens und begreifen die Wirkung der Rede so wenig, wie
sie sie an Ciceros Rede für Ligarius begreifen würden. Sie tadeln von mo¬
ralischem Gesichtspunkte aus die Haltung der Anklage, die alle Freunde des
Gouverneurs von vornherein verdächtigt. Aber solche Bedenken müssen dieser
Betrachtung fernbleiben, wo es sich um Kunst handelt und um beabsichtigte
Wirkung. Die Leidenschaft war tief erregt, die Parteien und sogar die Natio¬
nalität der Landesteile war in den Kampf gezogen worden. Es kam jetzt
darauf an, was die Rede als Macht leisten konnte. Und sie hat etwas
geleistet.

Von dem großen Prozeß in Westminsterhall und seiner ganzen Umgebung
hat Macaulay in seinem Essay über Warren Hastings eine prächtige Schil¬
derung gegeben. Sheridans Rede dauerte vier Tage und entfaltete alle Künste
ihres Urhebers in mannichfachster Abwechslung. Damen wurden ohnmächtig


Grenzboten IV 189479
Englische Redner des achtzehnten Jahrhunderts

abzugeben für ein System von Mißwirtschaft. Dazu wurde der ganze Apparat
der alten freien Verfassung aufgeboten. Das Unterhaus — Burke und seine
Freunde — forderte die Untersuchung und führte sie im Jahre 1787; es
vertrat dann auch die Anklage 1788 vor dem höchsten Gerichtshofe, den Peers
des Königreichs, in Westminsterhall, der Stätte ernsten, wichtigen Angedenkens.
Hier erntete Sheridan, der 1780 ins Parlament gekommen war, seine Lor¬
beeren. Ihm war es zugefallen, die Erpressungen zu behandeln, die der Gou¬
verneur an den beiden Prinzessinnen von Orte verübt hatte. Darüber sprach
er zuerst im Unterhause am 7. Februar 1787 fast sechs Stunden. Dann ver¬
trat er im folgenden Jahre vor dem Gerichtshofe die Anklage, die Burke an¬
fangs sich vorbehalten hatte, dann aber dem Freunde als dem sichersten
Kämpen zuwies. Diese erste Rede stellten die Kenner am höchsten. Burke,
Fox und sogar Pitt gaben ihrer Bewunderung in uneingeschränkten Lobe Aus¬
druck. Freunde des Angeklagten wandten sich ab und gegen ihn. Einer von
diesen beschreibt selbst den Eindruck, den die Rede auf ihn machte, wie er von
Stunde zu Stunde mächtiger wird und seine Überzeugung schließlich in ihr
Gegenteil verwandelt. Die Zuhörer mußten sich, nach einem Antrag zur Ge¬
schäftsordnung am Schluß der Rede, sammeln, zu sich kommen, ehe sie weiter
beraten konnten. Der Redner erhielt einen Beifall, wie er in diesen Räumen
nie gehört worden war. Glückwünsche kamen von nah und fern. Ein Buch¬
händler bot tausend Pfund für das Manuskript, erhielt es aber nicht. So
ist denn nur der übliche Bericht übrig geblieben. Einzelne Stellen können
uns wohl eine Vorstellung von der Macht der Rede geben, wenn auch ihr
Eindruck die Schilderungen der Zeitgenossen nicht erreicht. Viel später noch
sagte der einzige Überlebende aus jenen Tagen, damals der jüngste Zuhörer
der Versammlung, Mr. Windham, „der feinste Gentleman seiner Zeit," jene
Rede Sheridans sei die beste seit Menschengedenken im Unterhause gehaltene
gewesen. Spätere suchen die Begründung des uneingeschränkten Beifalls in
dem Berichte vergebens und begreifen die Wirkung der Rede so wenig, wie
sie sie an Ciceros Rede für Ligarius begreifen würden. Sie tadeln von mo¬
ralischem Gesichtspunkte aus die Haltung der Anklage, die alle Freunde des
Gouverneurs von vornherein verdächtigt. Aber solche Bedenken müssen dieser
Betrachtung fernbleiben, wo es sich um Kunst handelt und um beabsichtigte
Wirkung. Die Leidenschaft war tief erregt, die Parteien und sogar die Natio¬
nalität der Landesteile war in den Kampf gezogen worden. Es kam jetzt
darauf an, was die Rede als Macht leisten konnte. Und sie hat etwas
geleistet.

Von dem großen Prozeß in Westminsterhall und seiner ganzen Umgebung
hat Macaulay in seinem Essay über Warren Hastings eine prächtige Schil¬
derung gegeben. Sheridans Rede dauerte vier Tage und entfaltete alle Künste
ihres Urhebers in mannichfachster Abwechslung. Damen wurden ohnmächtig


Grenzboten IV 189479
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[0633] Englische Redner des achtzehnten Jahrhunderts abzugeben für ein System von Mißwirtschaft. Dazu wurde der ganze Apparat der alten freien Verfassung aufgeboten. Das Unterhaus — Burke und seine Freunde — forderte die Untersuchung und führte sie im Jahre 1787; es vertrat dann auch die Anklage 1788 vor dem höchsten Gerichtshofe, den Peers des Königreichs, in Westminsterhall, der Stätte ernsten, wichtigen Angedenkens. Hier erntete Sheridan, der 1780 ins Parlament gekommen war, seine Lor¬ beeren. Ihm war es zugefallen, die Erpressungen zu behandeln, die der Gou¬ verneur an den beiden Prinzessinnen von Orte verübt hatte. Darüber sprach er zuerst im Unterhause am 7. Februar 1787 fast sechs Stunden. Dann ver¬ trat er im folgenden Jahre vor dem Gerichtshofe die Anklage, die Burke an¬ fangs sich vorbehalten hatte, dann aber dem Freunde als dem sichersten Kämpen zuwies. Diese erste Rede stellten die Kenner am höchsten. Burke, Fox und sogar Pitt gaben ihrer Bewunderung in uneingeschränkten Lobe Aus¬ druck. Freunde des Angeklagten wandten sich ab und gegen ihn. Einer von diesen beschreibt selbst den Eindruck, den die Rede auf ihn machte, wie er von Stunde zu Stunde mächtiger wird und seine Überzeugung schließlich in ihr Gegenteil verwandelt. Die Zuhörer mußten sich, nach einem Antrag zur Ge¬ schäftsordnung am Schluß der Rede, sammeln, zu sich kommen, ehe sie weiter beraten konnten. Der Redner erhielt einen Beifall, wie er in diesen Räumen nie gehört worden war. Glückwünsche kamen von nah und fern. Ein Buch¬ händler bot tausend Pfund für das Manuskript, erhielt es aber nicht. So ist denn nur der übliche Bericht übrig geblieben. Einzelne Stellen können uns wohl eine Vorstellung von der Macht der Rede geben, wenn auch ihr Eindruck die Schilderungen der Zeitgenossen nicht erreicht. Viel später noch sagte der einzige Überlebende aus jenen Tagen, damals der jüngste Zuhörer der Versammlung, Mr. Windham, „der feinste Gentleman seiner Zeit," jene Rede Sheridans sei die beste seit Menschengedenken im Unterhause gehaltene gewesen. Spätere suchen die Begründung des uneingeschränkten Beifalls in dem Berichte vergebens und begreifen die Wirkung der Rede so wenig, wie sie sie an Ciceros Rede für Ligarius begreifen würden. Sie tadeln von mo¬ ralischem Gesichtspunkte aus die Haltung der Anklage, die alle Freunde des Gouverneurs von vornherein verdächtigt. Aber solche Bedenken müssen dieser Betrachtung fernbleiben, wo es sich um Kunst handelt und um beabsichtigte Wirkung. Die Leidenschaft war tief erregt, die Parteien und sogar die Natio¬ nalität der Landesteile war in den Kampf gezogen worden. Es kam jetzt darauf an, was die Rede als Macht leisten konnte. Und sie hat etwas geleistet. Von dem großen Prozeß in Westminsterhall und seiner ganzen Umgebung hat Macaulay in seinem Essay über Warren Hastings eine prächtige Schil¬ derung gegeben. Sheridans Rede dauerte vier Tage und entfaltete alle Künste ihres Urhebers in mannichfachster Abwechslung. Damen wurden ohnmächtig Grenzboten IV 189479

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/633>, abgerufen am 28.07.2024.