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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Politische Ainnerkmigen zur italienischen Litteraturgeschichte

lung und den großen, würdigen Stoff aus der christlichen Geschichte. So
etwas Hütte der Litteratur bis jetzt gefehlt, und es könnte neben Ariost in
Frieden bestehen. Ranke bemerkt einmal, daß in dein Ernste, mit dein Tasso
das Religiöse behandelt, gegenüber Ariosts leichter, konventioneller Manier
sich schon die Wirkung der inzwischen eingetretnen Gegenreformation zeige.
Gewiß, aber auch die sinnende, schwärmerische Natur des Dichters offenbart
sich darin. Spott und jede Art von Frivolität lag ihm gänzlich fern.

Soviel von der Absicht und dem Plan des Dichters. Fragen wir nun,
welche Wirkung die vollendete Erscheinung hatte? Zwei gelehrte Pedanten, die
aber übrigens in der italienischen Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts mit
Recht ein großes Ansehen behaupten, Muratori und Tiraboschi, finden, daß
das "Befreite Jerusalem" zwar der Äneis uicht gleichkomme, die Ilias aber über¬
troffen habe, denn es sei einheitlicher, und Rinaldo als Held sei unsrer Teil¬
nahme werter als Achill, und die Einzelheiten der militärischen Vorgänge seien
mit solcher Sachkenntnis geschildert, daß man diesen hohen Vorzug nur aus
den Ratschlägen des Herzogs ableiten könne, der ein vorzüglicher Kenner des
Kriegswesens war. Das Volk, oder vielmehr die Gebildeten unter ihm, ent¬
schied anders. Ihnen war Gottfried von Bouillon womöglich noch gleich-
giltiger als Achill, und die Geschichte der Kreuzfahrer als einheitliche Hand¬
lung war für sie nicht die Hauptsache. Sie zogen die Episoden vor, ans die
sich der Dichter nach seiner Kunstlehre am wenigsten zu gute that. Erminin
bei den Hirten, Clorindens Tod, Armidas Zaubergärten und vor allem gleich
im Anfange Sofronia, das Abbild der Prinzessin Eleonore, deren Liebe Olindo
vergebens zu gewinnen sucht -- das alles hat man zu allen Zeiten sehr schön
gefunden, und um deswillen konnte man auch sagen, daß Tassos "Stil" noch
schöner sei als der des Ariost, deun zu den weichen Empfindungen paßt er,
und den sentimentalen Gedanken geben die feinen Zugaben des Verstandes, die
Wortspiele und die Wortgegeusätze, ein angenehmes Gegengewicht. Aber das
Gedicht als Ganzes ist studirt und philologisch. Seine Vorzüge gehören der
Lyrik, sie dienen nicht dein Epos. Das Epos von den christlichen Kreuz¬
fahrern ist in seinen gelungner und beliebt gewordnen Teilen ein Gegenstand
des litterarischen Genusses wie Ariosts Roland, im übrigen aber ohngeachtet
seines würdevollen Gegenstandes auch nicht mehr als das, und vor allen
Dingen ist es kein ernstes nationales Lehrgedicht geworden. Tasso war ein
vorzüglicher akademischer Student gewesen; Ariost nicht, der hatte immer etwas
von der Art eines fahrenden Schülers in sich gehabt. Ariost hatte auch kein
Griechisch gelernt. während Tasso das verstand und die Griechen wirklich im
Original las, Homer und Plato so gut wie die Tragiker. Schiller und Goethe
konnten das bekanntlich nicht. Es ist für Tassos ganze Dichterart sehr be¬
zeichnend, daß er mitten in den früher geschilderten Kreisen der Akademiker
stand und daß sein Werk ganz aus theoretischer Erörterung hervorgegangen ist.


Politische Ainnerkmigen zur italienischen Litteraturgeschichte

lung und den großen, würdigen Stoff aus der christlichen Geschichte. So
etwas Hütte der Litteratur bis jetzt gefehlt, und es könnte neben Ariost in
Frieden bestehen. Ranke bemerkt einmal, daß in dein Ernste, mit dein Tasso
das Religiöse behandelt, gegenüber Ariosts leichter, konventioneller Manier
sich schon die Wirkung der inzwischen eingetretnen Gegenreformation zeige.
Gewiß, aber auch die sinnende, schwärmerische Natur des Dichters offenbart
sich darin. Spott und jede Art von Frivolität lag ihm gänzlich fern.

Soviel von der Absicht und dem Plan des Dichters. Fragen wir nun,
welche Wirkung die vollendete Erscheinung hatte? Zwei gelehrte Pedanten, die
aber übrigens in der italienischen Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts mit
Recht ein großes Ansehen behaupten, Muratori und Tiraboschi, finden, daß
das „Befreite Jerusalem" zwar der Äneis uicht gleichkomme, die Ilias aber über¬
troffen habe, denn es sei einheitlicher, und Rinaldo als Held sei unsrer Teil¬
nahme werter als Achill, und die Einzelheiten der militärischen Vorgänge seien
mit solcher Sachkenntnis geschildert, daß man diesen hohen Vorzug nur aus
den Ratschlägen des Herzogs ableiten könne, der ein vorzüglicher Kenner des
Kriegswesens war. Das Volk, oder vielmehr die Gebildeten unter ihm, ent¬
schied anders. Ihnen war Gottfried von Bouillon womöglich noch gleich-
giltiger als Achill, und die Geschichte der Kreuzfahrer als einheitliche Hand¬
lung war für sie nicht die Hauptsache. Sie zogen die Episoden vor, ans die
sich der Dichter nach seiner Kunstlehre am wenigsten zu gute that. Erminin
bei den Hirten, Clorindens Tod, Armidas Zaubergärten und vor allem gleich
im Anfange Sofronia, das Abbild der Prinzessin Eleonore, deren Liebe Olindo
vergebens zu gewinnen sucht — das alles hat man zu allen Zeiten sehr schön
gefunden, und um deswillen konnte man auch sagen, daß Tassos „Stil" noch
schöner sei als der des Ariost, deun zu den weichen Empfindungen paßt er,
und den sentimentalen Gedanken geben die feinen Zugaben des Verstandes, die
Wortspiele und die Wortgegeusätze, ein angenehmes Gegengewicht. Aber das
Gedicht als Ganzes ist studirt und philologisch. Seine Vorzüge gehören der
Lyrik, sie dienen nicht dein Epos. Das Epos von den christlichen Kreuz¬
fahrern ist in seinen gelungner und beliebt gewordnen Teilen ein Gegenstand
des litterarischen Genusses wie Ariosts Roland, im übrigen aber ohngeachtet
seines würdevollen Gegenstandes auch nicht mehr als das, und vor allen
Dingen ist es kein ernstes nationales Lehrgedicht geworden. Tasso war ein
vorzüglicher akademischer Student gewesen; Ariost nicht, der hatte immer etwas
von der Art eines fahrenden Schülers in sich gehabt. Ariost hatte auch kein
Griechisch gelernt. während Tasso das verstand und die Griechen wirklich im
Original las, Homer und Plato so gut wie die Tragiker. Schiller und Goethe
konnten das bekanntlich nicht. Es ist für Tassos ganze Dichterart sehr be¬
zeichnend, daß er mitten in den früher geschilderten Kreisen der Akademiker
stand und daß sein Werk ganz aus theoretischer Erörterung hervorgegangen ist.


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[0621] Politische Ainnerkmigen zur italienischen Litteraturgeschichte lung und den großen, würdigen Stoff aus der christlichen Geschichte. So etwas Hütte der Litteratur bis jetzt gefehlt, und es könnte neben Ariost in Frieden bestehen. Ranke bemerkt einmal, daß in dein Ernste, mit dein Tasso das Religiöse behandelt, gegenüber Ariosts leichter, konventioneller Manier sich schon die Wirkung der inzwischen eingetretnen Gegenreformation zeige. Gewiß, aber auch die sinnende, schwärmerische Natur des Dichters offenbart sich darin. Spott und jede Art von Frivolität lag ihm gänzlich fern. Soviel von der Absicht und dem Plan des Dichters. Fragen wir nun, welche Wirkung die vollendete Erscheinung hatte? Zwei gelehrte Pedanten, die aber übrigens in der italienischen Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts mit Recht ein großes Ansehen behaupten, Muratori und Tiraboschi, finden, daß das „Befreite Jerusalem" zwar der Äneis uicht gleichkomme, die Ilias aber über¬ troffen habe, denn es sei einheitlicher, und Rinaldo als Held sei unsrer Teil¬ nahme werter als Achill, und die Einzelheiten der militärischen Vorgänge seien mit solcher Sachkenntnis geschildert, daß man diesen hohen Vorzug nur aus den Ratschlägen des Herzogs ableiten könne, der ein vorzüglicher Kenner des Kriegswesens war. Das Volk, oder vielmehr die Gebildeten unter ihm, ent¬ schied anders. Ihnen war Gottfried von Bouillon womöglich noch gleich- giltiger als Achill, und die Geschichte der Kreuzfahrer als einheitliche Hand¬ lung war für sie nicht die Hauptsache. Sie zogen die Episoden vor, ans die sich der Dichter nach seiner Kunstlehre am wenigsten zu gute that. Erminin bei den Hirten, Clorindens Tod, Armidas Zaubergärten und vor allem gleich im Anfange Sofronia, das Abbild der Prinzessin Eleonore, deren Liebe Olindo vergebens zu gewinnen sucht — das alles hat man zu allen Zeiten sehr schön gefunden, und um deswillen konnte man auch sagen, daß Tassos „Stil" noch schöner sei als der des Ariost, deun zu den weichen Empfindungen paßt er, und den sentimentalen Gedanken geben die feinen Zugaben des Verstandes, die Wortspiele und die Wortgegeusätze, ein angenehmes Gegengewicht. Aber das Gedicht als Ganzes ist studirt und philologisch. Seine Vorzüge gehören der Lyrik, sie dienen nicht dein Epos. Das Epos von den christlichen Kreuz¬ fahrern ist in seinen gelungner und beliebt gewordnen Teilen ein Gegenstand des litterarischen Genusses wie Ariosts Roland, im übrigen aber ohngeachtet seines würdevollen Gegenstandes auch nicht mehr als das, und vor allen Dingen ist es kein ernstes nationales Lehrgedicht geworden. Tasso war ein vorzüglicher akademischer Student gewesen; Ariost nicht, der hatte immer etwas von der Art eines fahrenden Schülers in sich gehabt. Ariost hatte auch kein Griechisch gelernt. während Tasso das verstand und die Griechen wirklich im Original las, Homer und Plato so gut wie die Tragiker. Schiller und Goethe konnten das bekanntlich nicht. Es ist für Tassos ganze Dichterart sehr be¬ zeichnend, daß er mitten in den früher geschilderten Kreisen der Akademiker stand und daß sein Werk ganz aus theoretischer Erörterung hervorgegangen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/621>, abgerufen am 28.07.2024.