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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Politische Anmerkmigen zur italienischen Litteraturgeschichte

der ebenfalls Dichter war und einige Jahre nach dieser Zeit starb, die Theorie
des epischen Gedichts. Ariost war lange tot, und nach ihm hatte Italien
bereits wieder ein neues Epos gehabt. Im Jahre 1547 war nämlich von
Trissino, einem angefahren Theoretiker aus Vieenza, ein Heldengedicht in reim¬
losen Jamben erschienen, Italiens Befreiung von den Goten. Es war nach
allen Regeln gebaut und hatte sich die Aufgabe gestellt, eine Ilias für Italien
zu sein. Man fand es von vornherein langweilig. Die Anhänger Ariosts
schrieben das dem Muster, Homer, und der klassischen Einheit zu. Sie for¬
derten für das romantische Gedicht Vielheit der Teile, legten also seine Be¬
deutung in die Episoden. Die beiden Tasso, Vater und Sohn, gaben den
Reiz der Episoden bei Ariost neben allen seinen andern Vorzügen zu. Aber
das seien persönliche Gaben gewesen. Diese habe Trissino nicht gehabt, und
darum sei sein Gedicht schlecht, nicht wegen der Einheit. Hätte Ariosts Ro¬
land diese Einheit, er würde nur noch besser sein. Das romantische Gedicht
gehöre ebenso wie das klassische Kunstepvs zur heroischen Gattung, und diese
erfordere nach Aristoteles und Horaz für alle Zeit einheitlichen Plan und
Handlung. Alles, was bei Pulei, Bojardo und Ariost anziehend sei und für
toskanisch oder romantisch ausgegeben werde, liege im Kostüm. Darin dürfe
man von den Regeln der Alten abweichen, nicht in den moralischen Begriffen,
nicht in der Größe und Bedeutung des Inhalts und in der Einheit. Als
Form stand für Tasso die achtzeilige gereimte Stanze fest, die zuerst Boccaccio,
dann die eben genannten Romantiker gebraucht hatten, und die, weil man deren
Dichtungen als Romanzen auffaßte, darum doch keineswegs auf die roman¬
tische Gattung zu beschränken sei. Sie sei vielmehr die jedem erzählenden Ge¬
dichte größern Umfangs angemessene Form. Die klassizistische Lehre schrieb
dafür reimlose Jamben vor, aber schon Tasso, der Vater, hatte für sein Epos
"Amadigi" auf Anraten eines einsichtsvollen Gönners anstatt der Jamben Stanzen
wählen müssen, freilich aber auch die Einheit aufgegeben und dem neuen Be¬
dürfnis nach Episoden Rechnung getragen. Torquato nun hat uicht nur ein
Buch über die epische Kunst hinterlassen -- es ist früher entstanden, aber erst
1587 durch einen Ferraresischen Buchhändler in Venedig veröffentlicht worden,
gedruckt also, während der Dichter noch auf der Jrreuftation in Ferrara fest¬
gehalten wurde! --, er hat auch über die besondre Aufgabe seines eignen Epos
eine große Menge Abhandlungen in Briefform geschrieben. Tassos Poetik ent¬
hält sehr viel Feines. Hier interessirt uns nur eine Hauptsache. War uns bei
Ariost die Ironie ein Kennzeichen des Überreifen in der Entwicklung der ita¬
lienischen Litteratur, so deuten wir hier bei Tasso in demselben Sinne die
feste, reife Grundanschauung und die sichere, überlegne Form der Erörterung.
Vieles erinnert an Schillers Art in seinen besten Abhandlungen. Wir nehmen
wahr, mit welcher Mühe ein Gedicht, das volkstümlich sein sollte, zu stände
kam. Seines Werkes Bedeutung setzt der Dichter selbst in die einheitliche Hand-


Politische Anmerkmigen zur italienischen Litteraturgeschichte

der ebenfalls Dichter war und einige Jahre nach dieser Zeit starb, die Theorie
des epischen Gedichts. Ariost war lange tot, und nach ihm hatte Italien
bereits wieder ein neues Epos gehabt. Im Jahre 1547 war nämlich von
Trissino, einem angefahren Theoretiker aus Vieenza, ein Heldengedicht in reim¬
losen Jamben erschienen, Italiens Befreiung von den Goten. Es war nach
allen Regeln gebaut und hatte sich die Aufgabe gestellt, eine Ilias für Italien
zu sein. Man fand es von vornherein langweilig. Die Anhänger Ariosts
schrieben das dem Muster, Homer, und der klassischen Einheit zu. Sie for¬
derten für das romantische Gedicht Vielheit der Teile, legten also seine Be¬
deutung in die Episoden. Die beiden Tasso, Vater und Sohn, gaben den
Reiz der Episoden bei Ariost neben allen seinen andern Vorzügen zu. Aber
das seien persönliche Gaben gewesen. Diese habe Trissino nicht gehabt, und
darum sei sein Gedicht schlecht, nicht wegen der Einheit. Hätte Ariosts Ro¬
land diese Einheit, er würde nur noch besser sein. Das romantische Gedicht
gehöre ebenso wie das klassische Kunstepvs zur heroischen Gattung, und diese
erfordere nach Aristoteles und Horaz für alle Zeit einheitlichen Plan und
Handlung. Alles, was bei Pulei, Bojardo und Ariost anziehend sei und für
toskanisch oder romantisch ausgegeben werde, liege im Kostüm. Darin dürfe
man von den Regeln der Alten abweichen, nicht in den moralischen Begriffen,
nicht in der Größe und Bedeutung des Inhalts und in der Einheit. Als
Form stand für Tasso die achtzeilige gereimte Stanze fest, die zuerst Boccaccio,
dann die eben genannten Romantiker gebraucht hatten, und die, weil man deren
Dichtungen als Romanzen auffaßte, darum doch keineswegs auf die roman¬
tische Gattung zu beschränken sei. Sie sei vielmehr die jedem erzählenden Ge¬
dichte größern Umfangs angemessene Form. Die klassizistische Lehre schrieb
dafür reimlose Jamben vor, aber schon Tasso, der Vater, hatte für sein Epos
„Amadigi" auf Anraten eines einsichtsvollen Gönners anstatt der Jamben Stanzen
wählen müssen, freilich aber auch die Einheit aufgegeben und dem neuen Be¬
dürfnis nach Episoden Rechnung getragen. Torquato nun hat uicht nur ein
Buch über die epische Kunst hinterlassen — es ist früher entstanden, aber erst
1587 durch einen Ferraresischen Buchhändler in Venedig veröffentlicht worden,
gedruckt also, während der Dichter noch auf der Jrreuftation in Ferrara fest¬
gehalten wurde! —, er hat auch über die besondre Aufgabe seines eignen Epos
eine große Menge Abhandlungen in Briefform geschrieben. Tassos Poetik ent¬
hält sehr viel Feines. Hier interessirt uns nur eine Hauptsache. War uns bei
Ariost die Ironie ein Kennzeichen des Überreifen in der Entwicklung der ita¬
lienischen Litteratur, so deuten wir hier bei Tasso in demselben Sinne die
feste, reife Grundanschauung und die sichere, überlegne Form der Erörterung.
Vieles erinnert an Schillers Art in seinen besten Abhandlungen. Wir nehmen
wahr, mit welcher Mühe ein Gedicht, das volkstümlich sein sollte, zu stände
kam. Seines Werkes Bedeutung setzt der Dichter selbst in die einheitliche Hand-


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[0620] Politische Anmerkmigen zur italienischen Litteraturgeschichte der ebenfalls Dichter war und einige Jahre nach dieser Zeit starb, die Theorie des epischen Gedichts. Ariost war lange tot, und nach ihm hatte Italien bereits wieder ein neues Epos gehabt. Im Jahre 1547 war nämlich von Trissino, einem angefahren Theoretiker aus Vieenza, ein Heldengedicht in reim¬ losen Jamben erschienen, Italiens Befreiung von den Goten. Es war nach allen Regeln gebaut und hatte sich die Aufgabe gestellt, eine Ilias für Italien zu sein. Man fand es von vornherein langweilig. Die Anhänger Ariosts schrieben das dem Muster, Homer, und der klassischen Einheit zu. Sie for¬ derten für das romantische Gedicht Vielheit der Teile, legten also seine Be¬ deutung in die Episoden. Die beiden Tasso, Vater und Sohn, gaben den Reiz der Episoden bei Ariost neben allen seinen andern Vorzügen zu. Aber das seien persönliche Gaben gewesen. Diese habe Trissino nicht gehabt, und darum sei sein Gedicht schlecht, nicht wegen der Einheit. Hätte Ariosts Ro¬ land diese Einheit, er würde nur noch besser sein. Das romantische Gedicht gehöre ebenso wie das klassische Kunstepvs zur heroischen Gattung, und diese erfordere nach Aristoteles und Horaz für alle Zeit einheitlichen Plan und Handlung. Alles, was bei Pulei, Bojardo und Ariost anziehend sei und für toskanisch oder romantisch ausgegeben werde, liege im Kostüm. Darin dürfe man von den Regeln der Alten abweichen, nicht in den moralischen Begriffen, nicht in der Größe und Bedeutung des Inhalts und in der Einheit. Als Form stand für Tasso die achtzeilige gereimte Stanze fest, die zuerst Boccaccio, dann die eben genannten Romantiker gebraucht hatten, und die, weil man deren Dichtungen als Romanzen auffaßte, darum doch keineswegs auf die roman¬ tische Gattung zu beschränken sei. Sie sei vielmehr die jedem erzählenden Ge¬ dichte größern Umfangs angemessene Form. Die klassizistische Lehre schrieb dafür reimlose Jamben vor, aber schon Tasso, der Vater, hatte für sein Epos „Amadigi" auf Anraten eines einsichtsvollen Gönners anstatt der Jamben Stanzen wählen müssen, freilich aber auch die Einheit aufgegeben und dem neuen Be¬ dürfnis nach Episoden Rechnung getragen. Torquato nun hat uicht nur ein Buch über die epische Kunst hinterlassen — es ist früher entstanden, aber erst 1587 durch einen Ferraresischen Buchhändler in Venedig veröffentlicht worden, gedruckt also, während der Dichter noch auf der Jrreuftation in Ferrara fest¬ gehalten wurde! —, er hat auch über die besondre Aufgabe seines eignen Epos eine große Menge Abhandlungen in Briefform geschrieben. Tassos Poetik ent¬ hält sehr viel Feines. Hier interessirt uns nur eine Hauptsache. War uns bei Ariost die Ironie ein Kennzeichen des Überreifen in der Entwicklung der ita¬ lienischen Litteratur, so deuten wir hier bei Tasso in demselben Sinne die feste, reife Grundanschauung und die sichere, überlegne Form der Erörterung. Vieles erinnert an Schillers Art in seinen besten Abhandlungen. Wir nehmen wahr, mit welcher Mühe ein Gedicht, das volkstümlich sein sollte, zu stände kam. Seines Werkes Bedeutung setzt der Dichter selbst in die einheitliche Hand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/620>, abgerufen am 28.07.2024.