Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Im Zwischendeck Am folgenden Tage war Sonntag. Der Bar machte trotz seiner hohen Betreffs der Verpflegung bemerke ich noch: Morgens gab es Kaffee, Brot Nach der aufsaugenden Karte, ausgestellt am'7. September 1894 und Bei Tage und abends lag der größte Teil der Zwischendeckspassagiere in Im Zwischendeck Am folgenden Tage war Sonntag. Der Bar machte trotz seiner hohen Betreffs der Verpflegung bemerke ich noch: Morgens gab es Kaffee, Brot Nach der aufsaugenden Karte, ausgestellt am'7. September 1894 und Bei Tage und abends lag der größte Teil der Zwischendeckspassagiere in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220913"/> <fw type="header" place="top"> Im Zwischendeck</fw><lb/> <p xml:id="ID_2217"> Am folgenden Tage war Sonntag. Der Bar machte trotz seiner hohen<lb/> Preise gute Geschäfte (ein Glas Bier, Selters, Ale, Whiskey u. s. w. nach<lb/> deutschem Gelde sechzig Pfennig). Die irischen Frauen schienen namentlich für<lb/> „Limonade" eine Leidenschaft zu haben, ein stark mit Pfeffer gewürztes Ge¬<lb/> tränk, das einen beizenden Geschmack hinterläßt. Am 13. Mai war stürmisches<lb/> Wetter, und da die eine Seite des Verdecks gänzlich überschwemmt war, drängte<lb/> sich alles auf der andern zusammen. An diesem Tage wurden die Mädchen<lb/> auf Impfen untersucht. In der Nacht verursachten die am Boden rollenden<lb/> Schnapsflaschen viel Lärm. Am 14. Mai ging die Jmpfuutersuchung der<lb/> Männer vor sich. Es gelang mir, mich durchzumogeln, indem ich mich für<lb/> einen Kajütenpaffagier ausgab. Dafür ging ein wirklicher Kajütenpassagier,<lb/> der harmlos auf dem Zwischendecksgang promenirte und nicht englisch ver¬<lb/> stand, in die Falle; trotz seiner sechzig Jahre wurde er, geimpft und hatte<lb/> noch beim Verlassen des Schiffes heftige Schmerzen. Übrigens erhielt ich<lb/> trotzdem meine IvsxsotionL Ligrcl. Abends war starker Nebel, und die Nacht<lb/> hindurch ertönte das Nebelhorn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2218"> Betreffs der Verpflegung bemerke ich noch: Morgens gab es Kaffee, Brot<lb/> und Butter, auch eine Grütze von fadem Geschmack oder Irisch seco, ein<lb/> nicht zu verachtendes Gericht, wenn man mit Pfeffer und Salz stark nachhalf.<lb/> Das „Diner" habe ich schon erwähnt. Abends gab es Thee, Brot und<lb/> Butter, oder eine Art Mus. Wäre nicht der schmutzige Tisch und die Art<lb/> der Abfütterung gewesen, so hätte man das Essen einigermaßen menschenwürdig<lb/> nennen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_2219"> Nach der aufsaugenden Karte, ausgestellt am'7. September 1894 und<lb/> giltig bis 5. September 1895, sollte das Schiff 667 Passagiere aufnehmen<lb/> dürfen. Aber es war mindestens die doppelte Anzahl vorhanden, wenn auch<lb/> bestimmte Daten nicht zu erlangen waren. Nur von den Passagieren der<lb/> zweiten Kajüte fand ich ein gedrucktes Verzeichnis, es waren 204.</p><lb/> <p xml:id="ID_2220"> Bei Tage und abends lag der größte Teil der Zwischendeckspassagiere in<lb/> langen Doppelreihen ans dem Verdeck und spuckte in den Zwischengang, was<lb/> für die Durchgehenden ungemein unterhaltend war. Obwohl zahlreiche Ungarn,<lb/> Litauer, Dünen, Schweden dawaren, und unter diesen auch viel unflätiges<lb/> Volk, waren doch die Iren bei weitem die schlimmsten. Selbst die mit<lb/> Läusen behafteten Juden hatten ein besseres Benehmen als die ebenfalls ver¬<lb/> lausten Iren. Es waren fast alles junge Leute. Aber es war kaum möglich,<lb/> unter den Hunderten auch nur ein frisches Gesicht zu finden. Alles abgelebte<lb/> und versoffne Menschen! Die Konzerte, die sie täglich auf Flöten, Geigen,<lb/> Hand- und Mundharmonikas verübten, waren ohrenzerreißend und wurden<lb/> nur noch übertroffen dnrch die Lieder, die sie im untern Raum bis tief in<lb/> die Nacht hinein brüllten. Von der Schiffsverwaltung wurde keine Kontrolle<lb/> geübt. Man mußte auf Schlaf verzichten, bis dem letzten dieser betrunknen<lb/> Unholde die ausgepichte Kehle versagte; ans weinende Kinder oder Kranke<lb/> wurde nicht die geringste Rücksicht genommen. Ich gebe zu, daß bei Tage<lb/> in den untern Räumen leidlich für Reinlichkeit und Ordnung gesorgt wurde.<lb/> Aber in der Nacht waren die der Ruhe bedürftigen Leute und die bessern<lb/> Elemente im Zwischendeck einfach vogelfrei. Der nächtliche Unfug war himmel¬<lb/> schreiend. Die Waschgelegenheit des Morgens war mehr als primitiv, die<lb/> Abortverhältnisse waren auf der Breslau sowohl wie auf der City of None<lb/> einfach unbeschreiblich.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0587]
Im Zwischendeck
Am folgenden Tage war Sonntag. Der Bar machte trotz seiner hohen
Preise gute Geschäfte (ein Glas Bier, Selters, Ale, Whiskey u. s. w. nach
deutschem Gelde sechzig Pfennig). Die irischen Frauen schienen namentlich für
„Limonade" eine Leidenschaft zu haben, ein stark mit Pfeffer gewürztes Ge¬
tränk, das einen beizenden Geschmack hinterläßt. Am 13. Mai war stürmisches
Wetter, und da die eine Seite des Verdecks gänzlich überschwemmt war, drängte
sich alles auf der andern zusammen. An diesem Tage wurden die Mädchen
auf Impfen untersucht. In der Nacht verursachten die am Boden rollenden
Schnapsflaschen viel Lärm. Am 14. Mai ging die Jmpfuutersuchung der
Männer vor sich. Es gelang mir, mich durchzumogeln, indem ich mich für
einen Kajütenpaffagier ausgab. Dafür ging ein wirklicher Kajütenpassagier,
der harmlos auf dem Zwischendecksgang promenirte und nicht englisch ver¬
stand, in die Falle; trotz seiner sechzig Jahre wurde er, geimpft und hatte
noch beim Verlassen des Schiffes heftige Schmerzen. Übrigens erhielt ich
trotzdem meine IvsxsotionL Ligrcl. Abends war starker Nebel, und die Nacht
hindurch ertönte das Nebelhorn.
Betreffs der Verpflegung bemerke ich noch: Morgens gab es Kaffee, Brot
und Butter, auch eine Grütze von fadem Geschmack oder Irisch seco, ein
nicht zu verachtendes Gericht, wenn man mit Pfeffer und Salz stark nachhalf.
Das „Diner" habe ich schon erwähnt. Abends gab es Thee, Brot und
Butter, oder eine Art Mus. Wäre nicht der schmutzige Tisch und die Art
der Abfütterung gewesen, so hätte man das Essen einigermaßen menschenwürdig
nennen können.
Nach der aufsaugenden Karte, ausgestellt am'7. September 1894 und
giltig bis 5. September 1895, sollte das Schiff 667 Passagiere aufnehmen
dürfen. Aber es war mindestens die doppelte Anzahl vorhanden, wenn auch
bestimmte Daten nicht zu erlangen waren. Nur von den Passagieren der
zweiten Kajüte fand ich ein gedrucktes Verzeichnis, es waren 204.
Bei Tage und abends lag der größte Teil der Zwischendeckspassagiere in
langen Doppelreihen ans dem Verdeck und spuckte in den Zwischengang, was
für die Durchgehenden ungemein unterhaltend war. Obwohl zahlreiche Ungarn,
Litauer, Dünen, Schweden dawaren, und unter diesen auch viel unflätiges
Volk, waren doch die Iren bei weitem die schlimmsten. Selbst die mit
Läusen behafteten Juden hatten ein besseres Benehmen als die ebenfalls ver¬
lausten Iren. Es waren fast alles junge Leute. Aber es war kaum möglich,
unter den Hunderten auch nur ein frisches Gesicht zu finden. Alles abgelebte
und versoffne Menschen! Die Konzerte, die sie täglich auf Flöten, Geigen,
Hand- und Mundharmonikas verübten, waren ohrenzerreißend und wurden
nur noch übertroffen dnrch die Lieder, die sie im untern Raum bis tief in
die Nacht hinein brüllten. Von der Schiffsverwaltung wurde keine Kontrolle
geübt. Man mußte auf Schlaf verzichten, bis dem letzten dieser betrunknen
Unholde die ausgepichte Kehle versagte; ans weinende Kinder oder Kranke
wurde nicht die geringste Rücksicht genommen. Ich gebe zu, daß bei Tage
in den untern Räumen leidlich für Reinlichkeit und Ordnung gesorgt wurde.
Aber in der Nacht waren die der Ruhe bedürftigen Leute und die bessern
Elemente im Zwischendeck einfach vogelfrei. Der nächtliche Unfug war himmel¬
schreiend. Die Waschgelegenheit des Morgens war mehr als primitiv, die
Abortverhältnisse waren auf der Breslau sowohl wie auf der City of None
einfach unbeschreiblich.
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