Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Zwischendeck

interessanten Besuch, den sich ein "Bräutigam" aus der Frauenabteilung ge¬
holt hatte, nicht besonders überrascht.

Am nächsten Tage versuchte ich mittags, die Suppe näher kennen zu
lernen. Als ich aber gleich im ersten Löffel eine vollausgewachsene Made ent¬
deckte, war mein Hunger gestillt, und die Suppe nebst Zubehör ging über
Bord. Ich versuchte es dann mit einem Hering. Unglücklicherweise hörte ich
hinter mir ein knipsendes Geräusch und sah eine Litauerin, die ihr Kind mit
größtem Erfolg kaufte. So kam auch der Hering wieder in sein nasses Ele¬
ment. Es war ein schöner Sonntag. Die Litauerinnen beteten und sangen
den ganzen Vormittag und tranken Schnaps dazu. Unten beteten die Juden
mit fürchterlicher Ausdauer, bis auf den kauenden Kleinen, in ihren bunten
Gebetsmünteln und mit der kleinen Bundeslade auf der Stiru.

Abends kamen wir in Leith an, schliefen jedoch auf dem Schiffe. Als
ich wieder den weiblichen Besuch vorfand, bat ich so dringend um Abhilfe
dieses Unfugs, daß sich der Stewart in höchsteigner Person sehen ließ, das
Frauenzimmer herausholte und wieder in die Frauenabteilung beförderte. Ihr
Empfang dort war sehr lebhaft und hielt einige Stunden vor. Wir konnten
jedes Wort hören, und der neben der Frauenabteilung liegende Mann kam
wenig zur Ruhe. Pfeifen und Vranntweinslaschen wurden wieder in Be¬
wegung gesetzt; der kleine Jude holte sein Geselchtes hervor und kaute später
noch im Schlafe. Übrigens ist die Vreslau das einzige mir bekannte Schiff,
auf dem das Rauchen im Zwischendeck gestattet ist.

Von Leith wurden wir am andern Morgen nach Glasgow befördert. Auf
dem dortigen Bahnhof fand insofern eine Trennung der Passagiere statt, als
ein Teil für die "Allauline" bestimmt war, wir also getrennte Quartiere be¬
kamen. Wir wurden nach der Jorkstreet zum Atlcmtichotel (/löinxA'ouLs) ge¬
führt, erstiegen eine steinerne Treppe und erhielten unser Lager angewiesen.
Je zwei mußten in einem Bett schlafen. Ich schlief neben einem Brauer aus
Se. Frcmzisco, der fürchterlich schnarchte. Im Nebenbett lagen zwei junge
Dänen, die dort stundenlang ihre Pfeifen rauchten, sich in langgedehnten
Worten unterhielten und nach jedem zweiten Wort ausspuckten. Übrigens
war die Verköstigung gegen die Wirtschaft auf der Breslau glänzend zu nennen.
Auch mißfiel es mir nicht, daß eine neu hinzugekommn" Gesellschaft von
zwanzig Juden nicht mit uns zusammen essen durfte. Ich bemerke, daß ich
keineswegs Antisemit bin, aber den Juden, mit denen ich auf dieser Reise zu¬
sammengetroffen bin, kann ich nur das trostloseste Zeugnis ausstellen. Am
Morgen gab es leidlich guten Kaffee, Butterbrot und Wurst. Auch das
Mittag- und Abendessen war wenigstens genießbar. Die Erinnerung an das
gräßliche Essen auf der Breslau ließ alles in besseren Lichte erscheinen, zumal
da sogar die Tische gedeckt waren, ohne daß ich die Sauberkeit der Tischtücher
besonders hervorheben möchte.


Grenzboten III 1895 73
Im Zwischendeck

interessanten Besuch, den sich ein „Bräutigam" aus der Frauenabteilung ge¬
holt hatte, nicht besonders überrascht.

Am nächsten Tage versuchte ich mittags, die Suppe näher kennen zu
lernen. Als ich aber gleich im ersten Löffel eine vollausgewachsene Made ent¬
deckte, war mein Hunger gestillt, und die Suppe nebst Zubehör ging über
Bord. Ich versuchte es dann mit einem Hering. Unglücklicherweise hörte ich
hinter mir ein knipsendes Geräusch und sah eine Litauerin, die ihr Kind mit
größtem Erfolg kaufte. So kam auch der Hering wieder in sein nasses Ele¬
ment. Es war ein schöner Sonntag. Die Litauerinnen beteten und sangen
den ganzen Vormittag und tranken Schnaps dazu. Unten beteten die Juden
mit fürchterlicher Ausdauer, bis auf den kauenden Kleinen, in ihren bunten
Gebetsmünteln und mit der kleinen Bundeslade auf der Stiru.

Abends kamen wir in Leith an, schliefen jedoch auf dem Schiffe. Als
ich wieder den weiblichen Besuch vorfand, bat ich so dringend um Abhilfe
dieses Unfugs, daß sich der Stewart in höchsteigner Person sehen ließ, das
Frauenzimmer herausholte und wieder in die Frauenabteilung beförderte. Ihr
Empfang dort war sehr lebhaft und hielt einige Stunden vor. Wir konnten
jedes Wort hören, und der neben der Frauenabteilung liegende Mann kam
wenig zur Ruhe. Pfeifen und Vranntweinslaschen wurden wieder in Be¬
wegung gesetzt; der kleine Jude holte sein Geselchtes hervor und kaute später
noch im Schlafe. Übrigens ist die Vreslau das einzige mir bekannte Schiff,
auf dem das Rauchen im Zwischendeck gestattet ist.

Von Leith wurden wir am andern Morgen nach Glasgow befördert. Auf
dem dortigen Bahnhof fand insofern eine Trennung der Passagiere statt, als
ein Teil für die „Allauline" bestimmt war, wir also getrennte Quartiere be¬
kamen. Wir wurden nach der Jorkstreet zum Atlcmtichotel (/löinxA'ouLs) ge¬
führt, erstiegen eine steinerne Treppe und erhielten unser Lager angewiesen.
Je zwei mußten in einem Bett schlafen. Ich schlief neben einem Brauer aus
Se. Frcmzisco, der fürchterlich schnarchte. Im Nebenbett lagen zwei junge
Dänen, die dort stundenlang ihre Pfeifen rauchten, sich in langgedehnten
Worten unterhielten und nach jedem zweiten Wort ausspuckten. Übrigens
war die Verköstigung gegen die Wirtschaft auf der Breslau glänzend zu nennen.
Auch mißfiel es mir nicht, daß eine neu hinzugekommn« Gesellschaft von
zwanzig Juden nicht mit uns zusammen essen durfte. Ich bemerke, daß ich
keineswegs Antisemit bin, aber den Juden, mit denen ich auf dieser Reise zu¬
sammengetroffen bin, kann ich nur das trostloseste Zeugnis ausstellen. Am
Morgen gab es leidlich guten Kaffee, Butterbrot und Wurst. Auch das
Mittag- und Abendessen war wenigstens genießbar. Die Erinnerung an das
gräßliche Essen auf der Breslau ließ alles in besseren Lichte erscheinen, zumal
da sogar die Tische gedeckt waren, ohne daß ich die Sauberkeit der Tischtücher
besonders hervorheben möchte.


Grenzboten III 1895 73
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0585" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220911"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Zwischendeck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2209" prev="#ID_2208"> interessanten Besuch, den sich ein &#x201E;Bräutigam" aus der Frauenabteilung ge¬<lb/>
holt hatte, nicht besonders überrascht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2210"> Am nächsten Tage versuchte ich mittags, die Suppe näher kennen zu<lb/>
lernen. Als ich aber gleich im ersten Löffel eine vollausgewachsene Made ent¬<lb/>
deckte, war mein Hunger gestillt, und die Suppe nebst Zubehör ging über<lb/>
Bord. Ich versuchte es dann mit einem Hering. Unglücklicherweise hörte ich<lb/>
hinter mir ein knipsendes Geräusch und sah eine Litauerin, die ihr Kind mit<lb/>
größtem Erfolg kaufte. So kam auch der Hering wieder in sein nasses Ele¬<lb/>
ment. Es war ein schöner Sonntag. Die Litauerinnen beteten und sangen<lb/>
den ganzen Vormittag und tranken Schnaps dazu. Unten beteten die Juden<lb/>
mit fürchterlicher Ausdauer, bis auf den kauenden Kleinen, in ihren bunten<lb/>
Gebetsmünteln und mit der kleinen Bundeslade auf der Stiru.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2211"> Abends kamen wir in Leith an, schliefen jedoch auf dem Schiffe. Als<lb/>
ich wieder den weiblichen Besuch vorfand, bat ich so dringend um Abhilfe<lb/>
dieses Unfugs, daß sich der Stewart in höchsteigner Person sehen ließ, das<lb/>
Frauenzimmer herausholte und wieder in die Frauenabteilung beförderte. Ihr<lb/>
Empfang dort war sehr lebhaft und hielt einige Stunden vor. Wir konnten<lb/>
jedes Wort hören, und der neben der Frauenabteilung liegende Mann kam<lb/>
wenig zur Ruhe. Pfeifen und Vranntweinslaschen wurden wieder in Be¬<lb/>
wegung gesetzt; der kleine Jude holte sein Geselchtes hervor und kaute später<lb/>
noch im Schlafe. Übrigens ist die Vreslau das einzige mir bekannte Schiff,<lb/>
auf dem das Rauchen im Zwischendeck gestattet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2212"> Von Leith wurden wir am andern Morgen nach Glasgow befördert. Auf<lb/>
dem dortigen Bahnhof fand insofern eine Trennung der Passagiere statt, als<lb/>
ein Teil für die &#x201E;Allauline" bestimmt war, wir also getrennte Quartiere be¬<lb/>
kamen. Wir wurden nach der Jorkstreet zum Atlcmtichotel (/löinxA'ouLs) ge¬<lb/>
führt, erstiegen eine steinerne Treppe und erhielten unser Lager angewiesen.<lb/>
Je zwei mußten in einem Bett schlafen. Ich schlief neben einem Brauer aus<lb/>
Se. Frcmzisco, der fürchterlich schnarchte. Im Nebenbett lagen zwei junge<lb/>
Dänen, die dort stundenlang ihre Pfeifen rauchten, sich in langgedehnten<lb/>
Worten unterhielten und nach jedem zweiten Wort ausspuckten. Übrigens<lb/>
war die Verköstigung gegen die Wirtschaft auf der Breslau glänzend zu nennen.<lb/>
Auch mißfiel es mir nicht, daß eine neu hinzugekommn« Gesellschaft von<lb/>
zwanzig Juden nicht mit uns zusammen essen durfte. Ich bemerke, daß ich<lb/>
keineswegs Antisemit bin, aber den Juden, mit denen ich auf dieser Reise zu¬<lb/>
sammengetroffen bin, kann ich nur das trostloseste Zeugnis ausstellen. Am<lb/>
Morgen gab es leidlich guten Kaffee, Butterbrot und Wurst. Auch das<lb/>
Mittag- und Abendessen war wenigstens genießbar. Die Erinnerung an das<lb/>
gräßliche Essen auf der Breslau ließ alles in besseren Lichte erscheinen, zumal<lb/>
da sogar die Tische gedeckt waren, ohne daß ich die Sauberkeit der Tischtücher<lb/>
besonders hervorheben möchte.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1895 73</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0585] Im Zwischendeck interessanten Besuch, den sich ein „Bräutigam" aus der Frauenabteilung ge¬ holt hatte, nicht besonders überrascht. Am nächsten Tage versuchte ich mittags, die Suppe näher kennen zu lernen. Als ich aber gleich im ersten Löffel eine vollausgewachsene Made ent¬ deckte, war mein Hunger gestillt, und die Suppe nebst Zubehör ging über Bord. Ich versuchte es dann mit einem Hering. Unglücklicherweise hörte ich hinter mir ein knipsendes Geräusch und sah eine Litauerin, die ihr Kind mit größtem Erfolg kaufte. So kam auch der Hering wieder in sein nasses Ele¬ ment. Es war ein schöner Sonntag. Die Litauerinnen beteten und sangen den ganzen Vormittag und tranken Schnaps dazu. Unten beteten die Juden mit fürchterlicher Ausdauer, bis auf den kauenden Kleinen, in ihren bunten Gebetsmünteln und mit der kleinen Bundeslade auf der Stiru. Abends kamen wir in Leith an, schliefen jedoch auf dem Schiffe. Als ich wieder den weiblichen Besuch vorfand, bat ich so dringend um Abhilfe dieses Unfugs, daß sich der Stewart in höchsteigner Person sehen ließ, das Frauenzimmer herausholte und wieder in die Frauenabteilung beförderte. Ihr Empfang dort war sehr lebhaft und hielt einige Stunden vor. Wir konnten jedes Wort hören, und der neben der Frauenabteilung liegende Mann kam wenig zur Ruhe. Pfeifen und Vranntweinslaschen wurden wieder in Be¬ wegung gesetzt; der kleine Jude holte sein Geselchtes hervor und kaute später noch im Schlafe. Übrigens ist die Vreslau das einzige mir bekannte Schiff, auf dem das Rauchen im Zwischendeck gestattet ist. Von Leith wurden wir am andern Morgen nach Glasgow befördert. Auf dem dortigen Bahnhof fand insofern eine Trennung der Passagiere statt, als ein Teil für die „Allauline" bestimmt war, wir also getrennte Quartiere be¬ kamen. Wir wurden nach der Jorkstreet zum Atlcmtichotel (/löinxA'ouLs) ge¬ führt, erstiegen eine steinerne Treppe und erhielten unser Lager angewiesen. Je zwei mußten in einem Bett schlafen. Ich schlief neben einem Brauer aus Se. Frcmzisco, der fürchterlich schnarchte. Im Nebenbett lagen zwei junge Dänen, die dort stundenlang ihre Pfeifen rauchten, sich in langgedehnten Worten unterhielten und nach jedem zweiten Wort ausspuckten. Übrigens war die Verköstigung gegen die Wirtschaft auf der Breslau glänzend zu nennen. Auch mißfiel es mir nicht, daß eine neu hinzugekommn« Gesellschaft von zwanzig Juden nicht mit uns zusammen essen durfte. Ich bemerke, daß ich keineswegs Antisemit bin, aber den Juden, mit denen ich auf dieser Reise zu¬ sammengetroffen bin, kann ich nur das trostloseste Zeugnis ausstellen. Am Morgen gab es leidlich guten Kaffee, Butterbrot und Wurst. Auch das Mittag- und Abendessen war wenigstens genießbar. Die Erinnerung an das gräßliche Essen auf der Breslau ließ alles in besseren Lichte erscheinen, zumal da sogar die Tische gedeckt waren, ohne daß ich die Sauberkeit der Tischtücher besonders hervorheben möchte. Grenzboten III 1895 73

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/585
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/585>, abgerufen am 26.06.2024.