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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Im Zwischendeck

wieder hinunter und untersuchte meine Lagerverhältnisse. Der Länge und
Breite nach genügten sie gerade. Die Matratze und das darcmgebnndne
Miniaturkopfkissen -- eine Decke gab es nicht -- waren mit Stroh gefüllt
und mit dem denkbar gröbsten Segeltuch überzogen, das sich dem Hemd und
dein Körper klettenhaft anheftete. Nachdem ich mich von der geringen Ent¬
fernung der Decke über meinem Kopfe überzeugt hatte und eingeschlafen war,
wurden wir durch laute Rufe geweckt. Es erschienen -- es war 1^ Uhr
nachts -- zwei Herren, die sich als Beamte der Polizei vorstellten, um die
Legitimationspapiere nachzusehen. Sie traten sehr schneidig auf, gingen jedoch
nachsichtig zu Werke. Freilich erklärten sie sast sämtliche Papiere für ungenügend.
Eine bescheidne Äußerung meinerseits, daß die betreffenden Agenten meine
Papiere für genügend erklärt Hütten, um damit die Welt zu durchreisen, wurde
mit wenig schmeichelhaften Äußerungen über die Agenten aufgenommen. Auch
meine schüchterne Andeutung, daß es vielleicht besser gewesen sei, wenn die
gegenwärtige Formalität etwas früher vorgenommen worden wäre, als fünf¬
einhalb Stunden nach der festgesetzten Abfahrtszeit des Schiffes, und noch
dazu mitten in der Nacht, wurde mit stiller Verachtung aufgenommen. ,

Die Herren lärmten noch etwas und ließen dann alles Passiren, um sich
darauf in die nur durch dünne Bretter von uns getrennte Frauenabteilung
zu begeben, wo sie dieselbe Schneidigkeit zeigten. Einige sehr fest schlafende
Frauen wurden, wie mir andern Tags erzählt wurde, und wie es der zu¬
nächst der Frauenabteilung liegende Mann über die Bretter sehen konnte, an
den Beinen gekitzelt, ein sinnreiches Mittel, auch die festeste Schläferin munter
zu machen. Da nun auch die Frauen und Mädchen ihre Legitimationspapiere
zeigen mußten, sollen sich außerordentlich anmutige Szenen abgespielt haben,
wie mir der Mann versicherte, der mit hohem Interesse über die Bretter sah.
Um 2 Uhr nachts entfernten sich die Beamten, und bald darauf setzte sich die
Breslau in Bewegung.

Am andern Morgen hörte ich unter meinem Lager ein eintöniges Mur¬
meln. Es ging von fünf mit großer Ausdauer betenden Juden aus; der
sechste, ein kleiner mit schäbiger Eleganz gekleideter Kerl, benagte ein Stück
Fleisch. Dann kam ein Kübel Kaffee der bedenklichsten Art. Zu Mittag gab
es eine abscheuliche Suppe mit zähem Fleisch oder einen regenbogenfarbncn
Hering mit Pellkartoffeln. Der kleine Jude aß für zwei und kaute in der
Zwischenzeit an einem Stück "Geselchtem," von dem er großen Vorrat zu
haben schien. Bald stellte sich die Seekrankheit ein, und als ich spät abends
mein Lager erklettern wollte, fand ich eine entsetzliche Luft vor. Ich ging wieder
auf das Verdeck. Als ich nach einigen Stunden wieder unten war, sah ich
auf einem Lager des Männerraumes einen sehr leicht bekleideten Mädchenkörper.
Da sich kein Mensch von der nur englisch sprechenden Schiffsmannschaft im
geringsten um die Vorgänge im Zwischendeck kümmerte, so war ich von dem


Im Zwischendeck

wieder hinunter und untersuchte meine Lagerverhältnisse. Der Länge und
Breite nach genügten sie gerade. Die Matratze und das darcmgebnndne
Miniaturkopfkissen — eine Decke gab es nicht — waren mit Stroh gefüllt
und mit dem denkbar gröbsten Segeltuch überzogen, das sich dem Hemd und
dein Körper klettenhaft anheftete. Nachdem ich mich von der geringen Ent¬
fernung der Decke über meinem Kopfe überzeugt hatte und eingeschlafen war,
wurden wir durch laute Rufe geweckt. Es erschienen — es war 1^ Uhr
nachts — zwei Herren, die sich als Beamte der Polizei vorstellten, um die
Legitimationspapiere nachzusehen. Sie traten sehr schneidig auf, gingen jedoch
nachsichtig zu Werke. Freilich erklärten sie sast sämtliche Papiere für ungenügend.
Eine bescheidne Äußerung meinerseits, daß die betreffenden Agenten meine
Papiere für genügend erklärt Hütten, um damit die Welt zu durchreisen, wurde
mit wenig schmeichelhaften Äußerungen über die Agenten aufgenommen. Auch
meine schüchterne Andeutung, daß es vielleicht besser gewesen sei, wenn die
gegenwärtige Formalität etwas früher vorgenommen worden wäre, als fünf¬
einhalb Stunden nach der festgesetzten Abfahrtszeit des Schiffes, und noch
dazu mitten in der Nacht, wurde mit stiller Verachtung aufgenommen. ,

Die Herren lärmten noch etwas und ließen dann alles Passiren, um sich
darauf in die nur durch dünne Bretter von uns getrennte Frauenabteilung
zu begeben, wo sie dieselbe Schneidigkeit zeigten. Einige sehr fest schlafende
Frauen wurden, wie mir andern Tags erzählt wurde, und wie es der zu¬
nächst der Frauenabteilung liegende Mann über die Bretter sehen konnte, an
den Beinen gekitzelt, ein sinnreiches Mittel, auch die festeste Schläferin munter
zu machen. Da nun auch die Frauen und Mädchen ihre Legitimationspapiere
zeigen mußten, sollen sich außerordentlich anmutige Szenen abgespielt haben,
wie mir der Mann versicherte, der mit hohem Interesse über die Bretter sah.
Um 2 Uhr nachts entfernten sich die Beamten, und bald darauf setzte sich die
Breslau in Bewegung.

Am andern Morgen hörte ich unter meinem Lager ein eintöniges Mur¬
meln. Es ging von fünf mit großer Ausdauer betenden Juden aus; der
sechste, ein kleiner mit schäbiger Eleganz gekleideter Kerl, benagte ein Stück
Fleisch. Dann kam ein Kübel Kaffee der bedenklichsten Art. Zu Mittag gab
es eine abscheuliche Suppe mit zähem Fleisch oder einen regenbogenfarbncn
Hering mit Pellkartoffeln. Der kleine Jude aß für zwei und kaute in der
Zwischenzeit an einem Stück „Geselchtem," von dem er großen Vorrat zu
haben schien. Bald stellte sich die Seekrankheit ein, und als ich spät abends
mein Lager erklettern wollte, fand ich eine entsetzliche Luft vor. Ich ging wieder
auf das Verdeck. Als ich nach einigen Stunden wieder unten war, sah ich
auf einem Lager des Männerraumes einen sehr leicht bekleideten Mädchenkörper.
Da sich kein Mensch von der nur englisch sprechenden Schiffsmannschaft im
geringsten um die Vorgänge im Zwischendeck kümmerte, so war ich von dem


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[0584] Im Zwischendeck wieder hinunter und untersuchte meine Lagerverhältnisse. Der Länge und Breite nach genügten sie gerade. Die Matratze und das darcmgebnndne Miniaturkopfkissen — eine Decke gab es nicht — waren mit Stroh gefüllt und mit dem denkbar gröbsten Segeltuch überzogen, das sich dem Hemd und dein Körper klettenhaft anheftete. Nachdem ich mich von der geringen Ent¬ fernung der Decke über meinem Kopfe überzeugt hatte und eingeschlafen war, wurden wir durch laute Rufe geweckt. Es erschienen — es war 1^ Uhr nachts — zwei Herren, die sich als Beamte der Polizei vorstellten, um die Legitimationspapiere nachzusehen. Sie traten sehr schneidig auf, gingen jedoch nachsichtig zu Werke. Freilich erklärten sie sast sämtliche Papiere für ungenügend. Eine bescheidne Äußerung meinerseits, daß die betreffenden Agenten meine Papiere für genügend erklärt Hütten, um damit die Welt zu durchreisen, wurde mit wenig schmeichelhaften Äußerungen über die Agenten aufgenommen. Auch meine schüchterne Andeutung, daß es vielleicht besser gewesen sei, wenn die gegenwärtige Formalität etwas früher vorgenommen worden wäre, als fünf¬ einhalb Stunden nach der festgesetzten Abfahrtszeit des Schiffes, und noch dazu mitten in der Nacht, wurde mit stiller Verachtung aufgenommen. , Die Herren lärmten noch etwas und ließen dann alles Passiren, um sich darauf in die nur durch dünne Bretter von uns getrennte Frauenabteilung zu begeben, wo sie dieselbe Schneidigkeit zeigten. Einige sehr fest schlafende Frauen wurden, wie mir andern Tags erzählt wurde, und wie es der zu¬ nächst der Frauenabteilung liegende Mann über die Bretter sehen konnte, an den Beinen gekitzelt, ein sinnreiches Mittel, auch die festeste Schläferin munter zu machen. Da nun auch die Frauen und Mädchen ihre Legitimationspapiere zeigen mußten, sollen sich außerordentlich anmutige Szenen abgespielt haben, wie mir der Mann versicherte, der mit hohem Interesse über die Bretter sah. Um 2 Uhr nachts entfernten sich die Beamten, und bald darauf setzte sich die Breslau in Bewegung. Am andern Morgen hörte ich unter meinem Lager ein eintöniges Mur¬ meln. Es ging von fünf mit großer Ausdauer betenden Juden aus; der sechste, ein kleiner mit schäbiger Eleganz gekleideter Kerl, benagte ein Stück Fleisch. Dann kam ein Kübel Kaffee der bedenklichsten Art. Zu Mittag gab es eine abscheuliche Suppe mit zähem Fleisch oder einen regenbogenfarbncn Hering mit Pellkartoffeln. Der kleine Jude aß für zwei und kaute in der Zwischenzeit an einem Stück „Geselchtem," von dem er großen Vorrat zu haben schien. Bald stellte sich die Seekrankheit ein, und als ich spät abends mein Lager erklettern wollte, fand ich eine entsetzliche Luft vor. Ich ging wieder auf das Verdeck. Als ich nach einigen Stunden wieder unten war, sah ich auf einem Lager des Männerraumes einen sehr leicht bekleideten Mädchenkörper. Da sich kein Mensch von der nur englisch sprechenden Schiffsmannschaft im geringsten um die Vorgänge im Zwischendeck kümmerte, so war ich von dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/584>, abgerufen am 26.06.2024.