Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Zwischendeck

hätten. Viele hatten auch die 120 Mark voll bezahlt in der Meinung, daß
es sich um feste Preise handle.

Das Geschäft war abgeschlossen, ich zahlte 100 Mark und erhielt eine
provisorische Fahrkarte, die in der Steinstraße am Tage der Abfahrt (3. Mai
d. I.) gegen eine andre umgetauscht wurde. Ich traf dort noch eine Anzahl
Mitreisender. Eine Art Faktotum der Firma, ein älterer Herr, überreichte
jedem von uns ein umfangreiches, aber nicht schweres Paket, das eine Samm¬
lung Blechwaren enthielt, und zwar eine Flasche, einen Napf, einen Teller
und Messer, Gabel und Löffel, über deren Empfang auittirt wurde. Das
Faktotum geleitete uns dann dem Hafen zu. Er nahm bald diesem bald jenem
von uns das Paket ab, um es eine Weile zu tragen. Als die Reihe an mir
war, klagte er mir -- wie jedenfalls auch den andern --, daß er heute noch
nicht habe essen können, daß die Zeiten schwer seien, und daß er ein Trink¬
geld zwar nicht fordere, aber auch nicht zurückweisen würde.

Wir kamen in eine große Halle, wo etwa hundert Leute versammelt
waren. Dort wurde uns mitgeteilt, daß wir uns einer ärztlichen Untersuchung
zu unterziehen hätten, und nach einstündigem Warten wurden wir zum An¬
treten aufgefordert. Wir wurden im Gänsemarsch durch verschiedne Gemächer
und Fluren geführt und befanden uns plötzlich wieder im Freien. Auf meine
Frage, wann die Untersuchung stattfinden würde, wurde ich belehrt, daß dies
schon erledigt sei. Ich erinnerte mich nun eines wohlwollend und gelangweilt
aussehenden ältern Herrn, der unser Vorbeigehen in einem Zimmer mit müden
Blick verfolgt hatte.

Nach dem Fahrschein sollte der Dampfer Breslau um 8 Uhr abends ab¬
fahren. Um 5 Uhr nachmittags betraten wir das Schiff, auf dem man mit
Einladen von Waren beschäftigt war. Wir wurden sofort in das Zwischen¬
deck geleitet, wo zunächst sechs Juden über die Lagerstellen herfielen. Ich
wartete bis zuletzt und hatte den Vorteil, einige sreie Plätze zwischen mir und
meinem nächsten Nachbar zu behalten, und dadurch die Möglichkeit, meine
Handtasche und die Blechwaren unterzubringen.

Bald darauf kam ein umfangreiches bottichartiges Gefäß mit einigermaßen
rätselhaften Inhalt, der jedoch "Thee" vorstellen sollte. Dazu ein Korb mit
1^/z Zoll dicken Brodstücken, auf denen ein Schatten von Margarine schillerte.
Die vor Jahren von agrarischer Seite verschämt angedeutete menschenfreund¬
liche Forderung, den Unterschied zwischen Butter und Margarine durch eine
bunte Färbung der Margarine zu verdeutlichen, war hier Ereignis geworden,
denn die Brodstücken waren grünlich überstrichen. Damit war das Abendessen
erledigt, und wer Lust hatte, konnte auf dem Verdeck zusehen, wie das Schiff
beladen wurde. Die meisten Passagiere aber legten sich gestiefelt aufs Lager
und rauchten, bis sie einschliefen. Als es 11 Uhr geworden war, und über die
Zeit der Abfahrt noch immer nichts bestimmtes zu erfahren war, ging ich


Im Zwischendeck

hätten. Viele hatten auch die 120 Mark voll bezahlt in der Meinung, daß
es sich um feste Preise handle.

Das Geschäft war abgeschlossen, ich zahlte 100 Mark und erhielt eine
provisorische Fahrkarte, die in der Steinstraße am Tage der Abfahrt (3. Mai
d. I.) gegen eine andre umgetauscht wurde. Ich traf dort noch eine Anzahl
Mitreisender. Eine Art Faktotum der Firma, ein älterer Herr, überreichte
jedem von uns ein umfangreiches, aber nicht schweres Paket, das eine Samm¬
lung Blechwaren enthielt, und zwar eine Flasche, einen Napf, einen Teller
und Messer, Gabel und Löffel, über deren Empfang auittirt wurde. Das
Faktotum geleitete uns dann dem Hafen zu. Er nahm bald diesem bald jenem
von uns das Paket ab, um es eine Weile zu tragen. Als die Reihe an mir
war, klagte er mir — wie jedenfalls auch den andern —, daß er heute noch
nicht habe essen können, daß die Zeiten schwer seien, und daß er ein Trink¬
geld zwar nicht fordere, aber auch nicht zurückweisen würde.

Wir kamen in eine große Halle, wo etwa hundert Leute versammelt
waren. Dort wurde uns mitgeteilt, daß wir uns einer ärztlichen Untersuchung
zu unterziehen hätten, und nach einstündigem Warten wurden wir zum An¬
treten aufgefordert. Wir wurden im Gänsemarsch durch verschiedne Gemächer
und Fluren geführt und befanden uns plötzlich wieder im Freien. Auf meine
Frage, wann die Untersuchung stattfinden würde, wurde ich belehrt, daß dies
schon erledigt sei. Ich erinnerte mich nun eines wohlwollend und gelangweilt
aussehenden ältern Herrn, der unser Vorbeigehen in einem Zimmer mit müden
Blick verfolgt hatte.

Nach dem Fahrschein sollte der Dampfer Breslau um 8 Uhr abends ab¬
fahren. Um 5 Uhr nachmittags betraten wir das Schiff, auf dem man mit
Einladen von Waren beschäftigt war. Wir wurden sofort in das Zwischen¬
deck geleitet, wo zunächst sechs Juden über die Lagerstellen herfielen. Ich
wartete bis zuletzt und hatte den Vorteil, einige sreie Plätze zwischen mir und
meinem nächsten Nachbar zu behalten, und dadurch die Möglichkeit, meine
Handtasche und die Blechwaren unterzubringen.

Bald darauf kam ein umfangreiches bottichartiges Gefäß mit einigermaßen
rätselhaften Inhalt, der jedoch „Thee" vorstellen sollte. Dazu ein Korb mit
1^/z Zoll dicken Brodstücken, auf denen ein Schatten von Margarine schillerte.
Die vor Jahren von agrarischer Seite verschämt angedeutete menschenfreund¬
liche Forderung, den Unterschied zwischen Butter und Margarine durch eine
bunte Färbung der Margarine zu verdeutlichen, war hier Ereignis geworden,
denn die Brodstücken waren grünlich überstrichen. Damit war das Abendessen
erledigt, und wer Lust hatte, konnte auf dem Verdeck zusehen, wie das Schiff
beladen wurde. Die meisten Passagiere aber legten sich gestiefelt aufs Lager
und rauchten, bis sie einschliefen. Als es 11 Uhr geworden war, und über die
Zeit der Abfahrt noch immer nichts bestimmtes zu erfahren war, ging ich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0583" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220909"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Zwischendeck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2201" prev="#ID_2200"> hätten. Viele hatten auch die 120 Mark voll bezahlt in der Meinung, daß<lb/>
es sich um feste Preise handle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2202"> Das Geschäft war abgeschlossen, ich zahlte 100 Mark und erhielt eine<lb/>
provisorische Fahrkarte, die in der Steinstraße am Tage der Abfahrt (3. Mai<lb/>
d. I.) gegen eine andre umgetauscht wurde. Ich traf dort noch eine Anzahl<lb/>
Mitreisender. Eine Art Faktotum der Firma, ein älterer Herr, überreichte<lb/>
jedem von uns ein umfangreiches, aber nicht schweres Paket, das eine Samm¬<lb/>
lung Blechwaren enthielt, und zwar eine Flasche, einen Napf, einen Teller<lb/>
und Messer, Gabel und Löffel, über deren Empfang auittirt wurde. Das<lb/>
Faktotum geleitete uns dann dem Hafen zu. Er nahm bald diesem bald jenem<lb/>
von uns das Paket ab, um es eine Weile zu tragen. Als die Reihe an mir<lb/>
war, klagte er mir &#x2014; wie jedenfalls auch den andern &#x2014;, daß er heute noch<lb/>
nicht habe essen können, daß die Zeiten schwer seien, und daß er ein Trink¬<lb/>
geld zwar nicht fordere, aber auch nicht zurückweisen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2203"> Wir kamen in eine große Halle, wo etwa hundert Leute versammelt<lb/>
waren. Dort wurde uns mitgeteilt, daß wir uns einer ärztlichen Untersuchung<lb/>
zu unterziehen hätten, und nach einstündigem Warten wurden wir zum An¬<lb/>
treten aufgefordert. Wir wurden im Gänsemarsch durch verschiedne Gemächer<lb/>
und Fluren geführt und befanden uns plötzlich wieder im Freien. Auf meine<lb/>
Frage, wann die Untersuchung stattfinden würde, wurde ich belehrt, daß dies<lb/>
schon erledigt sei. Ich erinnerte mich nun eines wohlwollend und gelangweilt<lb/>
aussehenden ältern Herrn, der unser Vorbeigehen in einem Zimmer mit müden<lb/>
Blick verfolgt hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2204"> Nach dem Fahrschein sollte der Dampfer Breslau um 8 Uhr abends ab¬<lb/>
fahren. Um 5 Uhr nachmittags betraten wir das Schiff, auf dem man mit<lb/>
Einladen von Waren beschäftigt war. Wir wurden sofort in das Zwischen¬<lb/>
deck geleitet, wo zunächst sechs Juden über die Lagerstellen herfielen. Ich<lb/>
wartete bis zuletzt und hatte den Vorteil, einige sreie Plätze zwischen mir und<lb/>
meinem nächsten Nachbar zu behalten, und dadurch die Möglichkeit, meine<lb/>
Handtasche und die Blechwaren unterzubringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2205" next="#ID_2206"> Bald darauf kam ein umfangreiches bottichartiges Gefäß mit einigermaßen<lb/>
rätselhaften Inhalt, der jedoch &#x201E;Thee" vorstellen sollte. Dazu ein Korb mit<lb/>
1^/z Zoll dicken Brodstücken, auf denen ein Schatten von Margarine schillerte.<lb/>
Die vor Jahren von agrarischer Seite verschämt angedeutete menschenfreund¬<lb/>
liche Forderung, den Unterschied zwischen Butter und Margarine durch eine<lb/>
bunte Färbung der Margarine zu verdeutlichen, war hier Ereignis geworden,<lb/>
denn die Brodstücken waren grünlich überstrichen. Damit war das Abendessen<lb/>
erledigt, und wer Lust hatte, konnte auf dem Verdeck zusehen, wie das Schiff<lb/>
beladen wurde. Die meisten Passagiere aber legten sich gestiefelt aufs Lager<lb/>
und rauchten, bis sie einschliefen. Als es 11 Uhr geworden war, und über die<lb/>
Zeit der Abfahrt noch immer nichts bestimmtes zu erfahren war, ging ich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0583] Im Zwischendeck hätten. Viele hatten auch die 120 Mark voll bezahlt in der Meinung, daß es sich um feste Preise handle. Das Geschäft war abgeschlossen, ich zahlte 100 Mark und erhielt eine provisorische Fahrkarte, die in der Steinstraße am Tage der Abfahrt (3. Mai d. I.) gegen eine andre umgetauscht wurde. Ich traf dort noch eine Anzahl Mitreisender. Eine Art Faktotum der Firma, ein älterer Herr, überreichte jedem von uns ein umfangreiches, aber nicht schweres Paket, das eine Samm¬ lung Blechwaren enthielt, und zwar eine Flasche, einen Napf, einen Teller und Messer, Gabel und Löffel, über deren Empfang auittirt wurde. Das Faktotum geleitete uns dann dem Hafen zu. Er nahm bald diesem bald jenem von uns das Paket ab, um es eine Weile zu tragen. Als die Reihe an mir war, klagte er mir — wie jedenfalls auch den andern —, daß er heute noch nicht habe essen können, daß die Zeiten schwer seien, und daß er ein Trink¬ geld zwar nicht fordere, aber auch nicht zurückweisen würde. Wir kamen in eine große Halle, wo etwa hundert Leute versammelt waren. Dort wurde uns mitgeteilt, daß wir uns einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen hätten, und nach einstündigem Warten wurden wir zum An¬ treten aufgefordert. Wir wurden im Gänsemarsch durch verschiedne Gemächer und Fluren geführt und befanden uns plötzlich wieder im Freien. Auf meine Frage, wann die Untersuchung stattfinden würde, wurde ich belehrt, daß dies schon erledigt sei. Ich erinnerte mich nun eines wohlwollend und gelangweilt aussehenden ältern Herrn, der unser Vorbeigehen in einem Zimmer mit müden Blick verfolgt hatte. Nach dem Fahrschein sollte der Dampfer Breslau um 8 Uhr abends ab¬ fahren. Um 5 Uhr nachmittags betraten wir das Schiff, auf dem man mit Einladen von Waren beschäftigt war. Wir wurden sofort in das Zwischen¬ deck geleitet, wo zunächst sechs Juden über die Lagerstellen herfielen. Ich wartete bis zuletzt und hatte den Vorteil, einige sreie Plätze zwischen mir und meinem nächsten Nachbar zu behalten, und dadurch die Möglichkeit, meine Handtasche und die Blechwaren unterzubringen. Bald darauf kam ein umfangreiches bottichartiges Gefäß mit einigermaßen rätselhaften Inhalt, der jedoch „Thee" vorstellen sollte. Dazu ein Korb mit 1^/z Zoll dicken Brodstücken, auf denen ein Schatten von Margarine schillerte. Die vor Jahren von agrarischer Seite verschämt angedeutete menschenfreund¬ liche Forderung, den Unterschied zwischen Butter und Margarine durch eine bunte Färbung der Margarine zu verdeutlichen, war hier Ereignis geworden, denn die Brodstücken waren grünlich überstrichen. Damit war das Abendessen erledigt, und wer Lust hatte, konnte auf dem Verdeck zusehen, wie das Schiff beladen wurde. Die meisten Passagiere aber legten sich gestiefelt aufs Lager und rauchten, bis sie einschliefen. Als es 11 Uhr geworden war, und über die Zeit der Abfahrt noch immer nichts bestimmtes zu erfahren war, ging ich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/583
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/583>, abgerufen am 26.06.2024.