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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Im Amischendeck

nach zahlreichen andern mir gewordnen Mitteilungen annehmen zu können,
daß diese Erfahrungen mit dem allgemeinen Durchschnitt der Zwischendecks¬
zustände übereinstimmen, d. h. es geht auf manchen Schiffen noch schlimmer
zu, während es auch auf andern besser sein mag. Ich bemerke gleich, daß
ich keineswegs daran denke, die Leser mit einer Reisebeschreibung zu behelligen,
ich will nur die Lage der Zwischendeckspassagiere beleuchten.

Es handelt sich zunächst um eine Reise von Hamburg nach Newyork, die
ich mit der Hamburg-Amerikalinie zu machen beabsichtigte. Durch Zufall
wurde ich aber in Hamburg mit einem Herrn bekannt, der mir riet, mich an
ein in der Steinstraße gelegnes "Zentralbüreau für Passagierbeförderung nach
allen Plätzen der Welt" zu wenden; mit den Inhabern des Bureaus lasse sich
"handeln," und ich könne die Überfahrt dadurch viel billiger machen. Aller¬
dings "arbeiteten" die Herren nur für die englische "Anchorline," doch schien
mir dies unwesentlich.

In der Steinstraße empfing mich ein liebenswürdiger Herr, der mich auf
die großen Vorzüge der "Anchorline" aufmerksam machte: schnelle Fahrt mit
dem Dampfer Breslau von Hamburg nach Leith, Eisenbahnfahrt von dort
durch die herrlichen Gefilde Schottlands nach Glasgow, alles auf Kosten der
Anchor Line, dieses vortrefflichen Instituts, das auch die Kosten des Auf¬
enthalts in Glasgow bestreiten würde. Doch werde dieser nur kurz sein, und
dann die Fahrt nach Newyork auf einem großen und schonen Dampfer an¬
getreten werden.

Der mich lebhaft interessirenden Preisfrage gedachte der Herr erst am
Schluß seiner sehr geläufigen und anscheinend schon oft geübten Auseinander¬
setzung, indem er erwähnte, daß der sehr billige Zwischendeckspreis 120 Mark
betrüge. Ich bedauerte lebhaft, seine Zeit unnötig in Anspruch genommen
zu haben, da meine Verhältnisse mir eine solche Summe nicht gestatteten. An
der Thür wurde ich jedoch zurückgerufen und mir zögernd die Summe von
110 Mark abverlangt. Aber mit einer mir sonst fremden Zähigkeit behauptete
ich, daß 100 Mark für mich das äußerste sei. Inzwischen kam noch ein andrer,
etwas orientalisch scheinender netter Herr zu dem ersten, und beide nahmen
bei meinen Worten eine entsetzte Miene an. Erst als ich wieder im Begriff
war, die Thür von außen zu verschließen, wurden mir die 100 Mark bewilligt.
Es käme aber dergleichen sonst nie vor, und es würde mit mir nur eine be¬
sondre Ausnahme gemacht. Ich mußte auch das Versprechen geben, keinem
Menschen die ungeheuerliche Thatsache zu melden, weil der Ruf der Firma
darunter leiden könnte u. s. w. Ich versprach, was das Zeug halten wollte,
und wenn ich jetzt dennoch ausplaudre, so ist das wohl durch die Thatsache
zu entschuldigen, daß solche Handelsgeschäfte bei der in Rede stehenden, wie
bei andern Firmen Hamburgs und sonstiger Küstenstädte ganz gäng und gäbe
sind. Ich hörte später von'Passagieren, daß sie 100 oder 110 Mark gezahlt


Im Amischendeck

nach zahlreichen andern mir gewordnen Mitteilungen annehmen zu können,
daß diese Erfahrungen mit dem allgemeinen Durchschnitt der Zwischendecks¬
zustände übereinstimmen, d. h. es geht auf manchen Schiffen noch schlimmer
zu, während es auch auf andern besser sein mag. Ich bemerke gleich, daß
ich keineswegs daran denke, die Leser mit einer Reisebeschreibung zu behelligen,
ich will nur die Lage der Zwischendeckspassagiere beleuchten.

Es handelt sich zunächst um eine Reise von Hamburg nach Newyork, die
ich mit der Hamburg-Amerikalinie zu machen beabsichtigte. Durch Zufall
wurde ich aber in Hamburg mit einem Herrn bekannt, der mir riet, mich an
ein in der Steinstraße gelegnes „Zentralbüreau für Passagierbeförderung nach
allen Plätzen der Welt" zu wenden; mit den Inhabern des Bureaus lasse sich
„handeln," und ich könne die Überfahrt dadurch viel billiger machen. Aller¬
dings „arbeiteten" die Herren nur für die englische „Anchorline," doch schien
mir dies unwesentlich.

In der Steinstraße empfing mich ein liebenswürdiger Herr, der mich auf
die großen Vorzüge der „Anchorline" aufmerksam machte: schnelle Fahrt mit
dem Dampfer Breslau von Hamburg nach Leith, Eisenbahnfahrt von dort
durch die herrlichen Gefilde Schottlands nach Glasgow, alles auf Kosten der
Anchor Line, dieses vortrefflichen Instituts, das auch die Kosten des Auf¬
enthalts in Glasgow bestreiten würde. Doch werde dieser nur kurz sein, und
dann die Fahrt nach Newyork auf einem großen und schonen Dampfer an¬
getreten werden.

Der mich lebhaft interessirenden Preisfrage gedachte der Herr erst am
Schluß seiner sehr geläufigen und anscheinend schon oft geübten Auseinander¬
setzung, indem er erwähnte, daß der sehr billige Zwischendeckspreis 120 Mark
betrüge. Ich bedauerte lebhaft, seine Zeit unnötig in Anspruch genommen
zu haben, da meine Verhältnisse mir eine solche Summe nicht gestatteten. An
der Thür wurde ich jedoch zurückgerufen und mir zögernd die Summe von
110 Mark abverlangt. Aber mit einer mir sonst fremden Zähigkeit behauptete
ich, daß 100 Mark für mich das äußerste sei. Inzwischen kam noch ein andrer,
etwas orientalisch scheinender netter Herr zu dem ersten, und beide nahmen
bei meinen Worten eine entsetzte Miene an. Erst als ich wieder im Begriff
war, die Thür von außen zu verschließen, wurden mir die 100 Mark bewilligt.
Es käme aber dergleichen sonst nie vor, und es würde mit mir nur eine be¬
sondre Ausnahme gemacht. Ich mußte auch das Versprechen geben, keinem
Menschen die ungeheuerliche Thatsache zu melden, weil der Ruf der Firma
darunter leiden könnte u. s. w. Ich versprach, was das Zeug halten wollte,
und wenn ich jetzt dennoch ausplaudre, so ist das wohl durch die Thatsache
zu entschuldigen, daß solche Handelsgeschäfte bei der in Rede stehenden, wie
bei andern Firmen Hamburgs und sonstiger Küstenstädte ganz gäng und gäbe
sind. Ich hörte später von'Passagieren, daß sie 100 oder 110 Mark gezahlt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/582>, abgerufen am 26.06.2024.