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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Wenn man gerecht sein will, darf man sie mit jenem Worte nicht abthun.
Daß sein Erfolg den Dichter aus seiner frühern Zurückhaltung herauftrieb,
ist nur natürlich. Deutschland wollte von seinem "Nationaldichter" mehr
kennen lernen. So erschien denn 1841 in Köln ein Bändchen "Gedichte,"
das die übertriebnen Erwartungen natürlich enttäuschte. Ohne diese Erwar¬
tungen würde die Sammlung wohl eine freundliche Aufnahme gefunden haben,
um dann -- vergessen zu werden, wie die meisten Dichtergaben jener dichte¬
risch so reichen Zeit. Beckers Gedichte sind zum Teil Balladen, in denen, wie
bei so vielen Balladendichtern jener Tage, der Einfluß Uhlands erkennbar ist.
doch weiß auch er in einem romantischen Stoffe das menschlich rührende
ergreifend darzustellen. Dem folgenden Beispiel könnten noch mehr zur Seite
gestellt werden.

Die Königskrone
Es sitzen in dem hohen Saal
Die Krieger stumm zu ernster Wahl.
Der König, der mit Macht gebot,
Starb in der Schlacht den Heldentod.
Wer soll besteigen seinen Thron?
Das zarte Kind, des Königs Sohn?
Legt man ein Schwert in Knabenhand?
Halt wohl ein Rohr dem Sturme Stand?
Es flöge uns auf hoher Bahn
Ein schwingeuloser Aar voran. So sitzen in dem hohen Saal
Die Krieger stumm zu ernster Wahl.
Und zu dem Kreis der Männer tritt
Die Königin mit zagen Schritt,
Mit schwarzem Schleier, schwarzem Kleid,
Sie senkt den Blick in tiefem Leid.
Doch wie ein Stern aus dunkler Nacht
Auf ihrem Arm der Knabe lacht.
Zum Tische, wo die Krone lag,
Beugt er sich hin, er langt darnach,
Hat sie mit fester Hand gefaßt,
Hebt hoch empor die goldne Last;
Und blickt mit klaren Augen dann
Die Männer freundlich lächelnd an.
Da murmelt rings der Krieger Schar:
Des Königs echter Sohn fürwahr!
Es ist der Götter Rat und Schluß:
Die Krone man ihm lassen muß.

Von warmem Gefühl und feinem Ausdruck der Empfindung erweist er sich
bei Behandlung von Stoffen aus dem täglichen Leben. Die fromme Ent¬
sagung des Mädchens, das den jauchzenden Hochzeitszug zum Hause hinaus¬
ziehen sieht, in dem der still geliebte Mann stolz an der Seite ihrer glück-


Grenzboten III 1895 72
Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Wenn man gerecht sein will, darf man sie mit jenem Worte nicht abthun.
Daß sein Erfolg den Dichter aus seiner frühern Zurückhaltung herauftrieb,
ist nur natürlich. Deutschland wollte von seinem „Nationaldichter" mehr
kennen lernen. So erschien denn 1841 in Köln ein Bändchen „Gedichte,"
das die übertriebnen Erwartungen natürlich enttäuschte. Ohne diese Erwar¬
tungen würde die Sammlung wohl eine freundliche Aufnahme gefunden haben,
um dann — vergessen zu werden, wie die meisten Dichtergaben jener dichte¬
risch so reichen Zeit. Beckers Gedichte sind zum Teil Balladen, in denen, wie
bei so vielen Balladendichtern jener Tage, der Einfluß Uhlands erkennbar ist.
doch weiß auch er in einem romantischen Stoffe das menschlich rührende
ergreifend darzustellen. Dem folgenden Beispiel könnten noch mehr zur Seite
gestellt werden.

Die Königskrone
Es sitzen in dem hohen Saal
Die Krieger stumm zu ernster Wahl.
Der König, der mit Macht gebot,
Starb in der Schlacht den Heldentod.
Wer soll besteigen seinen Thron?
Das zarte Kind, des Königs Sohn?
Legt man ein Schwert in Knabenhand?
Halt wohl ein Rohr dem Sturme Stand?
Es flöge uns auf hoher Bahn
Ein schwingeuloser Aar voran. So sitzen in dem hohen Saal
Die Krieger stumm zu ernster Wahl.
Und zu dem Kreis der Männer tritt
Die Königin mit zagen Schritt,
Mit schwarzem Schleier, schwarzem Kleid,
Sie senkt den Blick in tiefem Leid.
Doch wie ein Stern aus dunkler Nacht
Auf ihrem Arm der Knabe lacht.
Zum Tische, wo die Krone lag,
Beugt er sich hin, er langt darnach,
Hat sie mit fester Hand gefaßt,
Hebt hoch empor die goldne Last;
Und blickt mit klaren Augen dann
Die Männer freundlich lächelnd an.
Da murmelt rings der Krieger Schar:
Des Königs echter Sohn fürwahr!
Es ist der Götter Rat und Schluß:
Die Krone man ihm lassen muß.

Von warmem Gefühl und feinem Ausdruck der Empfindung erweist er sich
bei Behandlung von Stoffen aus dem täglichen Leben. Die fromme Ent¬
sagung des Mädchens, das den jauchzenden Hochzeitszug zum Hause hinaus¬
ziehen sieht, in dem der still geliebte Mann stolz an der Seite ihrer glück-


Grenzboten III 1895 72
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[0577] Nicolaus Becker und sein Rheinlied Wenn man gerecht sein will, darf man sie mit jenem Worte nicht abthun. Daß sein Erfolg den Dichter aus seiner frühern Zurückhaltung herauftrieb, ist nur natürlich. Deutschland wollte von seinem „Nationaldichter" mehr kennen lernen. So erschien denn 1841 in Köln ein Bändchen „Gedichte," das die übertriebnen Erwartungen natürlich enttäuschte. Ohne diese Erwar¬ tungen würde die Sammlung wohl eine freundliche Aufnahme gefunden haben, um dann — vergessen zu werden, wie die meisten Dichtergaben jener dichte¬ risch so reichen Zeit. Beckers Gedichte sind zum Teil Balladen, in denen, wie bei so vielen Balladendichtern jener Tage, der Einfluß Uhlands erkennbar ist. doch weiß auch er in einem romantischen Stoffe das menschlich rührende ergreifend darzustellen. Dem folgenden Beispiel könnten noch mehr zur Seite gestellt werden. Die Königskrone Es sitzen in dem hohen Saal Die Krieger stumm zu ernster Wahl. Der König, der mit Macht gebot, Starb in der Schlacht den Heldentod. Wer soll besteigen seinen Thron? Das zarte Kind, des Königs Sohn? Legt man ein Schwert in Knabenhand? Halt wohl ein Rohr dem Sturme Stand? Es flöge uns auf hoher Bahn Ein schwingeuloser Aar voran. So sitzen in dem hohen Saal Die Krieger stumm zu ernster Wahl. Und zu dem Kreis der Männer tritt Die Königin mit zagen Schritt, Mit schwarzem Schleier, schwarzem Kleid, Sie senkt den Blick in tiefem Leid. Doch wie ein Stern aus dunkler Nacht Auf ihrem Arm der Knabe lacht. Zum Tische, wo die Krone lag, Beugt er sich hin, er langt darnach, Hat sie mit fester Hand gefaßt, Hebt hoch empor die goldne Last; Und blickt mit klaren Augen dann Die Männer freundlich lächelnd an. Da murmelt rings der Krieger Schar: Des Königs echter Sohn fürwahr! Es ist der Götter Rat und Schluß: Die Krone man ihm lassen muß. Von warmem Gefühl und feinem Ausdruck der Empfindung erweist er sich bei Behandlung von Stoffen aus dem täglichen Leben. Die fromme Ent¬ sagung des Mädchens, das den jauchzenden Hochzeitszug zum Hause hinaus¬ ziehen sieht, in dem der still geliebte Mann stolz an der Seite ihrer glück- Grenzboten III 1895 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/577>, abgerufen am 26.06.2024.