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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Darnach wären also die bösen Deutschen die Friedensbrecher und Frankreichs
Rufe nach der Nheingrenze Friedensgrüße gewesen!

Vor allem ärgerlich aber mußte die deutsche Begeisterung jenes Jahres
dem Manne im Ohre klingen, bei dem der Haß gegen alle Bestrebungen des
Deutschtums die konsequenteste Wesensseite war. Zunächst scheint sich Heine
nicht über den Ton des Angriffs haben entscheiden können. In seinen Be¬
richten aus Paris berührt der Pensionsempfänger Louis Philipps den deutsch¬
französischen Zwiespalt nur selten. Dann streift er in dem Gedichte "Bei des
Nachtwächters Ankunft in Paris" den "freien Rhein, den Brutus (?) der Flüsse"
mit matter Ironie. In den wenigen Versen "Diesseits und jenseits des
Rheins" faßt er seinen ganzen Deutschenhaß zusammen, ohne die Nhein-
bewegung ausdrücklich zu bezeichnen. Aber sein Wort zu der Frage mußte
er sprechen, und er that es noch, als die ganze Bewegung und mit ihr der
Dichter des Nheinlieds schon vergessen war; im "Wintermürchen" (1844) be¬
kommt auch Becker seinen Anteil an Schmutz und Gift. Da spricht der Rhein:

Zu Bieberich habe ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig, sie schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Vers- von Niklas Becker.
Daß ich keine reine Jungfer bin,
Die Franzosen wissen es besser,
Sie haben mit meinem Wasser so oft
Vermischt ihre Siegergewcisser.
Das dumme Lied und der dumme Kerl!
Er hat mich schmählich blcnniret,
Gewissermaßen hat er mich auch
Politisch kompromittiret.

Natürlich fehlte es nicht an lauter Bewunderung für die "malitiösen, aber köst¬
lichen Verse des genialen Spötters," so plump, unsachlich und dumm auch
die ganze Stelle ist. Die Niedertracht der folgenden Strophe, deren Wider¬
lichkeit vielleicht nur noch von dem verlognen Schwulst der Vorrede über¬
troffen wird, möge man bei Heine selber nachlesen.

Aber trotz aller Plattheit wurde Heines Angriff für das Schicksal des
armen Becker verhängnisvoll. Da er und sein Lied damals schon vergessen
waren, so nahm man die Worte des "großen" Heine einfach für Wahrheit,
und Becker blieb -- der "dumme Kerl."

Das zeigt sich auch in der spätern Beurteilung der übrigen Gedichte
Beckers: ein "mittelmäßig" bleibt ihnen in den Litteraturgeschichten selten er¬
spart. Es liegt mir nun ganz fern, ihren Wert übertreiben zu wollen, aber


Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Darnach wären also die bösen Deutschen die Friedensbrecher und Frankreichs
Rufe nach der Nheingrenze Friedensgrüße gewesen!

Vor allem ärgerlich aber mußte die deutsche Begeisterung jenes Jahres
dem Manne im Ohre klingen, bei dem der Haß gegen alle Bestrebungen des
Deutschtums die konsequenteste Wesensseite war. Zunächst scheint sich Heine
nicht über den Ton des Angriffs haben entscheiden können. In seinen Be¬
richten aus Paris berührt der Pensionsempfänger Louis Philipps den deutsch¬
französischen Zwiespalt nur selten. Dann streift er in dem Gedichte „Bei des
Nachtwächters Ankunft in Paris" den „freien Rhein, den Brutus (?) der Flüsse"
mit matter Ironie. In den wenigen Versen „Diesseits und jenseits des
Rheins" faßt er seinen ganzen Deutschenhaß zusammen, ohne die Nhein-
bewegung ausdrücklich zu bezeichnen. Aber sein Wort zu der Frage mußte
er sprechen, und er that es noch, als die ganze Bewegung und mit ihr der
Dichter des Nheinlieds schon vergessen war; im „Wintermürchen" (1844) be¬
kommt auch Becker seinen Anteil an Schmutz und Gift. Da spricht der Rhein:

Zu Bieberich habe ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig, sie schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Vers- von Niklas Becker.
Daß ich keine reine Jungfer bin,
Die Franzosen wissen es besser,
Sie haben mit meinem Wasser so oft
Vermischt ihre Siegergewcisser.
Das dumme Lied und der dumme Kerl!
Er hat mich schmählich blcnniret,
Gewissermaßen hat er mich auch
Politisch kompromittiret.

Natürlich fehlte es nicht an lauter Bewunderung für die „malitiösen, aber köst¬
lichen Verse des genialen Spötters," so plump, unsachlich und dumm auch
die ganze Stelle ist. Die Niedertracht der folgenden Strophe, deren Wider¬
lichkeit vielleicht nur noch von dem verlognen Schwulst der Vorrede über¬
troffen wird, möge man bei Heine selber nachlesen.

Aber trotz aller Plattheit wurde Heines Angriff für das Schicksal des
armen Becker verhängnisvoll. Da er und sein Lied damals schon vergessen
waren, so nahm man die Worte des „großen" Heine einfach für Wahrheit,
und Becker blieb — der „dumme Kerl."

Das zeigt sich auch in der spätern Beurteilung der übrigen Gedichte
Beckers: ein „mittelmäßig" bleibt ihnen in den Litteraturgeschichten selten er¬
spart. Es liegt mir nun ganz fern, ihren Wert übertreiben zu wollen, aber


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[0576] Nicolaus Becker und sein Rheinlied Darnach wären also die bösen Deutschen die Friedensbrecher und Frankreichs Rufe nach der Nheingrenze Friedensgrüße gewesen! Vor allem ärgerlich aber mußte die deutsche Begeisterung jenes Jahres dem Manne im Ohre klingen, bei dem der Haß gegen alle Bestrebungen des Deutschtums die konsequenteste Wesensseite war. Zunächst scheint sich Heine nicht über den Ton des Angriffs haben entscheiden können. In seinen Be¬ richten aus Paris berührt der Pensionsempfänger Louis Philipps den deutsch¬ französischen Zwiespalt nur selten. Dann streift er in dem Gedichte „Bei des Nachtwächters Ankunft in Paris" den „freien Rhein, den Brutus (?) der Flüsse" mit matter Ironie. In den wenigen Versen „Diesseits und jenseits des Rheins" faßt er seinen ganzen Deutschenhaß zusammen, ohne die Nhein- bewegung ausdrücklich zu bezeichnen. Aber sein Wort zu der Frage mußte er sprechen, und er that es noch, als die ganze Bewegung und mit ihr der Dichter des Nheinlieds schon vergessen war; im „Wintermürchen" (1844) be¬ kommt auch Becker seinen Anteil an Schmutz und Gift. Da spricht der Rhein: Zu Bieberich habe ich Steine verschluckt, Wahrhaftig, sie schmeckten nicht lecker! Doch schwerer liegen im Magen mir Die Vers- von Niklas Becker. Daß ich keine reine Jungfer bin, Die Franzosen wissen es besser, Sie haben mit meinem Wasser so oft Vermischt ihre Siegergewcisser. Das dumme Lied und der dumme Kerl! Er hat mich schmählich blcnniret, Gewissermaßen hat er mich auch Politisch kompromittiret. Natürlich fehlte es nicht an lauter Bewunderung für die „malitiösen, aber köst¬ lichen Verse des genialen Spötters," so plump, unsachlich und dumm auch die ganze Stelle ist. Die Niedertracht der folgenden Strophe, deren Wider¬ lichkeit vielleicht nur noch von dem verlognen Schwulst der Vorrede über¬ troffen wird, möge man bei Heine selber nachlesen. Aber trotz aller Plattheit wurde Heines Angriff für das Schicksal des armen Becker verhängnisvoll. Da er und sein Lied damals schon vergessen waren, so nahm man die Worte des „großen" Heine einfach für Wahrheit, und Becker blieb — der „dumme Kerl." Das zeigt sich auch in der spätern Beurteilung der übrigen Gedichte Beckers: ein „mittelmäßig" bleibt ihnen in den Litteraturgeschichten selten er¬ spart. Es liegt mir nun ganz fern, ihren Wert übertreiben zu wollen, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/576>, abgerufen am 26.06.2024.