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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Aber er denkt doch daran, daß dem schönen Strom die Freiheit fehle. Den
Fürsten ruft er zu:

Und dem Volke :

Das freie Volk werde dann auch siegesstark den Rhein bewahren.

Aber während der Gedanke bei Prutz noch durchweg poetisch und patrio¬
tisch bleibt, verliert er bei andern Dichtern allen patriotischen Inhalt und ver¬
wandelt sich in mürrisches Rufen nach einer unbestimmten vaterlandslosen
Freiheit. Der Groll der blinden "Opposition um jeden Preis," für die deut¬
scher Patriotismus eine Beschränktheit war. so bereit sie auch den Patriotismus
andrer Völker achtete, war gegen Becker groß. Hatte doch sein Lied den
Schwindel erschüttert, den sie mit dem gelobten "Freiheitshort" Frankreich
so lange zur Schmach Deutschlands getrieben hatten; hatte doch die An¬
erkennung, die ihm deutsche Fürsten zollten, bewiesen, daß es für das Volk
und die "Tyrannen" ein gemeinsames Heiligtum gab. So ruft der Dichter
der "Lieder der Gegenwart" (zweite Auflage, Königsberg, 1842) dem Rheine zu:
Ich hörte

mit Ärger nur vom Trank der Musen,
Den sie im Hexenkessel dir gebraut,
Als Dichter wahnsiunsvoll zu deiner Feier
Akkorde wirbelten auf ihrer Leier.
Das waren Deutschlands junge Patrioten,
Kuckucke in des alten Adlers Horst;
Noch sind die Lobgesänge (?) nicht verboten;
Drum schlugen sie, bis ihre Leier hörst.
Die Saiten, Lieder ihnen zu entzwingen,
Die Fürsteulob und Ehrenbecher bringen.

Nach den weitern Strophen hat dann der arme Niklas Becker mit der Frei¬
heit des Rheins nur "Schacher getrieben," als er. "ein Schächter," ihm um
"schnöden Gotteslohn" den "Judcisknß" gab! Dann heißt es:

Darauf wird der Strom aufgefordert, nicht eine "Scheidemauer," sondern eine
"Brücke" für den bekannten Lamartineschen Völkerfrieden zu sein, und der
Schluß lautet:


Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Aber er denkt doch daran, daß dem schönen Strom die Freiheit fehle. Den
Fürsten ruft er zu:

Und dem Volke :

Das freie Volk werde dann auch siegesstark den Rhein bewahren.

Aber während der Gedanke bei Prutz noch durchweg poetisch und patrio¬
tisch bleibt, verliert er bei andern Dichtern allen patriotischen Inhalt und ver¬
wandelt sich in mürrisches Rufen nach einer unbestimmten vaterlandslosen
Freiheit. Der Groll der blinden „Opposition um jeden Preis," für die deut¬
scher Patriotismus eine Beschränktheit war. so bereit sie auch den Patriotismus
andrer Völker achtete, war gegen Becker groß. Hatte doch sein Lied den
Schwindel erschüttert, den sie mit dem gelobten „Freiheitshort" Frankreich
so lange zur Schmach Deutschlands getrieben hatten; hatte doch die An¬
erkennung, die ihm deutsche Fürsten zollten, bewiesen, daß es für das Volk
und die „Tyrannen" ein gemeinsames Heiligtum gab. So ruft der Dichter
der „Lieder der Gegenwart" (zweite Auflage, Königsberg, 1842) dem Rheine zu:
Ich hörte

mit Ärger nur vom Trank der Musen,
Den sie im Hexenkessel dir gebraut,
Als Dichter wahnsiunsvoll zu deiner Feier
Akkorde wirbelten auf ihrer Leier.
Das waren Deutschlands junge Patrioten,
Kuckucke in des alten Adlers Horst;
Noch sind die Lobgesänge (?) nicht verboten;
Drum schlugen sie, bis ihre Leier hörst.
Die Saiten, Lieder ihnen zu entzwingen,
Die Fürsteulob und Ehrenbecher bringen.

Nach den weitern Strophen hat dann der arme Niklas Becker mit der Frei¬
heit des Rheins nur „Schacher getrieben," als er. „ein Schächter," ihm um
„schnöden Gotteslohn" den „Judcisknß" gab! Dann heißt es:

Darauf wird der Strom aufgefordert, nicht eine „Scheidemauer," sondern eine
„Brücke" für den bekannten Lamartineschen Völkerfrieden zu sein, und der
Schluß lautet:


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[0575] Nicolaus Becker und sein Rheinlied Aber er denkt doch daran, daß dem schönen Strom die Freiheit fehle. Den Fürsten ruft er zu: Und dem Volke : Das freie Volk werde dann auch siegesstark den Rhein bewahren. Aber während der Gedanke bei Prutz noch durchweg poetisch und patrio¬ tisch bleibt, verliert er bei andern Dichtern allen patriotischen Inhalt und ver¬ wandelt sich in mürrisches Rufen nach einer unbestimmten vaterlandslosen Freiheit. Der Groll der blinden „Opposition um jeden Preis," für die deut¬ scher Patriotismus eine Beschränktheit war. so bereit sie auch den Patriotismus andrer Völker achtete, war gegen Becker groß. Hatte doch sein Lied den Schwindel erschüttert, den sie mit dem gelobten „Freiheitshort" Frankreich so lange zur Schmach Deutschlands getrieben hatten; hatte doch die An¬ erkennung, die ihm deutsche Fürsten zollten, bewiesen, daß es für das Volk und die „Tyrannen" ein gemeinsames Heiligtum gab. So ruft der Dichter der „Lieder der Gegenwart" (zweite Auflage, Königsberg, 1842) dem Rheine zu: Ich hörte mit Ärger nur vom Trank der Musen, Den sie im Hexenkessel dir gebraut, Als Dichter wahnsiunsvoll zu deiner Feier Akkorde wirbelten auf ihrer Leier. Das waren Deutschlands junge Patrioten, Kuckucke in des alten Adlers Horst; Noch sind die Lobgesänge (?) nicht verboten; Drum schlugen sie, bis ihre Leier hörst. Die Saiten, Lieder ihnen zu entzwingen, Die Fürsteulob und Ehrenbecher bringen. Nach den weitern Strophen hat dann der arme Niklas Becker mit der Frei¬ heit des Rheins nur „Schacher getrieben," als er. „ein Schächter," ihm um „schnöden Gotteslohn" den „Judcisknß" gab! Dann heißt es: Darauf wird der Strom aufgefordert, nicht eine „Scheidemauer," sondern eine „Brücke" für den bekannten Lamartineschen Völkerfrieden zu sein, und der Schluß lautet:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/575>, abgerufen am 26.06.2024.