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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Wichtiger aber als alle diese Ehrenbezeugungen will uns heute die stille
Teilnahme eines Mannes erscheinen, der sich niemals von dem Strome der
herrschenden Meinungen mit fortreißen ließ, der ernst und streng die Eindrücke
wog, ehe er sich ihnen erschloß, der aber auch dann das für gut erkannte
fester und treuer bewahrte als irgend jemand: der Prinz von Preußen schrieb,
wie Treitschke berichtet, das Nheinlied mit fester Hand ab und setzte unter das
Gelöbnis der letzten Strophe einen entschlossenen Federzug, als ob er geahnt
hätte, daß er ein Menschenalter später alles das erfüllen sollte, was jene Zeit
kaum zu hoffen gewagt hatte.

Inzwischen antwortete Lamartine mit der "Marseillaise des Friedens."
Daß der Kriegsgedanke in der Widmung des Rheinlicds ihm besonders zu¬
geschrieben war, mußte dem "Humanitätsapostel" sehr unbequem sein. Schon
vorher hatte er einmal geäußert, daß Handelsverträge vielleicht wichtiger als
Eroberungen wären, um dann freilich mit französischer Logik fortzufahren:
"Die Rhcingrenze, Italien, nichts werdet ihr davon bekommen ohne Bündnis";
sieht sich doch Frankreich stets, wenn es sich um den Rhein handelt, zuerst
nach Verbündeten um. Sein bilderreiches, volltönendes Lied schwärmt daher
von einem goldnen Zeitalter des Völkerfriedens, in dem der mächtige Rhein,
"der Nil des Abendlands," allen Ehrgeiz der dann brüderlich vereinten Völker
tief ins Meer versenken werde. In Frankreich wird niemand diese Redens¬
arten aufrichtig geglaubt haben; in Deutschland haben sich immer Idealisten
dnrch solche Träumereien einfangen lassen. Übrigens läßt es Lamartine im
Dunkeln, wer in jeuer Friedenszeit in Köln und Mainz wohnen soll.

Von den andern Entgegnungen französischer Dichter sei nur die bekannteste,
die Müssets, erwähnt, weil die Aufnahme, die sie bei deutscheu Schrift¬
stellern gefunden hat, vielfach berichtigt werden muß. Müssets Erwiderung
!><z illum gllsiimncl. L-vpoiisö 5, ig olmnson ä"z LöLkvr erschien im Februar
1841; er hatte ihr eine fehlerhafte und um eine Strophe gekürzte Übersetzung
des Nheinlieds vorangestellt. Die beiden ersten Strophen des französischen
Gedichts lauten in wörtlicher Übersetzung: "Wir haben ihn gehabt, euern
dentschen Rhein; er hat in unserm Glase geschäumt. Verwischt ein Liedchen,
das man vor sich trällert, die stolze Spur, die unsrer Rosse Huf in euerm
Blute ließ? Wir haben ihn gehabt, euern deutschen Rhein; sein Busen trägt
noch eine offne Wunde von jenem Tage, wo der siegreiche Cord"z sein grünes
Kleid zerriß. Den Weg, den einst der Vater ging, wird auch der Enkel finden."
Die folgenden Strophen fahren in demselben Tone fort. "Wo war des letzten
Manns Gebein, als unsers Cäsars Schatten auf euch siel? Habt ihrs ver¬
gessen, so fragt eure jungen Mädchen, die haben unser Andenken besser be¬
wahrt." Die letzte Strophe erhebt dann freilich keine Eroberungsansprüche,
sie trägt aber denselben Hochmut zur Schau.

Darüber heißt es in Lindaus Leben Müssets: "Das Lied vom "freien


Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Wichtiger aber als alle diese Ehrenbezeugungen will uns heute die stille
Teilnahme eines Mannes erscheinen, der sich niemals von dem Strome der
herrschenden Meinungen mit fortreißen ließ, der ernst und streng die Eindrücke
wog, ehe er sich ihnen erschloß, der aber auch dann das für gut erkannte
fester und treuer bewahrte als irgend jemand: der Prinz von Preußen schrieb,
wie Treitschke berichtet, das Nheinlied mit fester Hand ab und setzte unter das
Gelöbnis der letzten Strophe einen entschlossenen Federzug, als ob er geahnt
hätte, daß er ein Menschenalter später alles das erfüllen sollte, was jene Zeit
kaum zu hoffen gewagt hatte.

Inzwischen antwortete Lamartine mit der „Marseillaise des Friedens."
Daß der Kriegsgedanke in der Widmung des Rheinlicds ihm besonders zu¬
geschrieben war, mußte dem „Humanitätsapostel" sehr unbequem sein. Schon
vorher hatte er einmal geäußert, daß Handelsverträge vielleicht wichtiger als
Eroberungen wären, um dann freilich mit französischer Logik fortzufahren:
„Die Rhcingrenze, Italien, nichts werdet ihr davon bekommen ohne Bündnis";
sieht sich doch Frankreich stets, wenn es sich um den Rhein handelt, zuerst
nach Verbündeten um. Sein bilderreiches, volltönendes Lied schwärmt daher
von einem goldnen Zeitalter des Völkerfriedens, in dem der mächtige Rhein,
„der Nil des Abendlands," allen Ehrgeiz der dann brüderlich vereinten Völker
tief ins Meer versenken werde. In Frankreich wird niemand diese Redens¬
arten aufrichtig geglaubt haben; in Deutschland haben sich immer Idealisten
dnrch solche Träumereien einfangen lassen. Übrigens läßt es Lamartine im
Dunkeln, wer in jeuer Friedenszeit in Köln und Mainz wohnen soll.

Von den andern Entgegnungen französischer Dichter sei nur die bekannteste,
die Müssets, erwähnt, weil die Aufnahme, die sie bei deutscheu Schrift¬
stellern gefunden hat, vielfach berichtigt werden muß. Müssets Erwiderung
!><z illum gllsiimncl. L-vpoiisö 5, ig olmnson ä«z LöLkvr erschien im Februar
1841; er hatte ihr eine fehlerhafte und um eine Strophe gekürzte Übersetzung
des Nheinlieds vorangestellt. Die beiden ersten Strophen des französischen
Gedichts lauten in wörtlicher Übersetzung: „Wir haben ihn gehabt, euern
dentschen Rhein; er hat in unserm Glase geschäumt. Verwischt ein Liedchen,
das man vor sich trällert, die stolze Spur, die unsrer Rosse Huf in euerm
Blute ließ? Wir haben ihn gehabt, euern deutschen Rhein; sein Busen trägt
noch eine offne Wunde von jenem Tage, wo der siegreiche Cord«z sein grünes
Kleid zerriß. Den Weg, den einst der Vater ging, wird auch der Enkel finden."
Die folgenden Strophen fahren in demselben Tone fort. „Wo war des letzten
Manns Gebein, als unsers Cäsars Schatten auf euch siel? Habt ihrs ver¬
gessen, so fragt eure jungen Mädchen, die haben unser Andenken besser be¬
wahrt." Die letzte Strophe erhebt dann freilich keine Eroberungsansprüche,
sie trägt aber denselben Hochmut zur Schau.

Darüber heißt es in Lindaus Leben Müssets: „Das Lied vom »freien


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[0572] Nicolaus Becker und sein Rheinlied Wichtiger aber als alle diese Ehrenbezeugungen will uns heute die stille Teilnahme eines Mannes erscheinen, der sich niemals von dem Strome der herrschenden Meinungen mit fortreißen ließ, der ernst und streng die Eindrücke wog, ehe er sich ihnen erschloß, der aber auch dann das für gut erkannte fester und treuer bewahrte als irgend jemand: der Prinz von Preußen schrieb, wie Treitschke berichtet, das Nheinlied mit fester Hand ab und setzte unter das Gelöbnis der letzten Strophe einen entschlossenen Federzug, als ob er geahnt hätte, daß er ein Menschenalter später alles das erfüllen sollte, was jene Zeit kaum zu hoffen gewagt hatte. Inzwischen antwortete Lamartine mit der „Marseillaise des Friedens." Daß der Kriegsgedanke in der Widmung des Rheinlicds ihm besonders zu¬ geschrieben war, mußte dem „Humanitätsapostel" sehr unbequem sein. Schon vorher hatte er einmal geäußert, daß Handelsverträge vielleicht wichtiger als Eroberungen wären, um dann freilich mit französischer Logik fortzufahren: „Die Rhcingrenze, Italien, nichts werdet ihr davon bekommen ohne Bündnis"; sieht sich doch Frankreich stets, wenn es sich um den Rhein handelt, zuerst nach Verbündeten um. Sein bilderreiches, volltönendes Lied schwärmt daher von einem goldnen Zeitalter des Völkerfriedens, in dem der mächtige Rhein, „der Nil des Abendlands," allen Ehrgeiz der dann brüderlich vereinten Völker tief ins Meer versenken werde. In Frankreich wird niemand diese Redens¬ arten aufrichtig geglaubt haben; in Deutschland haben sich immer Idealisten dnrch solche Träumereien einfangen lassen. Übrigens läßt es Lamartine im Dunkeln, wer in jeuer Friedenszeit in Köln und Mainz wohnen soll. Von den andern Entgegnungen französischer Dichter sei nur die bekannteste, die Müssets, erwähnt, weil die Aufnahme, die sie bei deutscheu Schrift¬ stellern gefunden hat, vielfach berichtigt werden muß. Müssets Erwiderung !><z illum gllsiimncl. L-vpoiisö 5, ig olmnson ä«z LöLkvr erschien im Februar 1841; er hatte ihr eine fehlerhafte und um eine Strophe gekürzte Übersetzung des Nheinlieds vorangestellt. Die beiden ersten Strophen des französischen Gedichts lauten in wörtlicher Übersetzung: „Wir haben ihn gehabt, euern dentschen Rhein; er hat in unserm Glase geschäumt. Verwischt ein Liedchen, das man vor sich trällert, die stolze Spur, die unsrer Rosse Huf in euerm Blute ließ? Wir haben ihn gehabt, euern deutschen Rhein; sein Busen trägt noch eine offne Wunde von jenem Tage, wo der siegreiche Cord«z sein grünes Kleid zerriß. Den Weg, den einst der Vater ging, wird auch der Enkel finden." Die folgenden Strophen fahren in demselben Tone fort. „Wo war des letzten Manns Gebein, als unsers Cäsars Schatten auf euch siel? Habt ihrs ver¬ gessen, so fragt eure jungen Mädchen, die haben unser Andenken besser be¬ wahrt." Die letzte Strophe erhebt dann freilich keine Eroberungsansprüche, sie trägt aber denselben Hochmut zur Schau. Darüber heißt es in Lindaus Leben Müssets: „Das Lied vom »freien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/572>, abgerufen am 26.06.2024.