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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Volkstümlichen Vaterlandslieder sind erst allmählich in den Mund des Volkes
übergegangen. So kostete Becker einen Ruhm, wie er wenigen beschert ge¬
wesen ist, und wie ihn der bescheidne Dichter niemals gehofft hatte.

Den großen Kölner Festen, bei denen das Nheinlied zuerst als Shmbol, als
Stichwort der ganzen Bewegung erschien, folgten ähnliche Feste in andern
Städten, und überall entfesselte das Lied dieselbe Begeisterung. Fast jede
Nummer der Kölnischen Zeitung ans den folgenden Monaten bringt Mit¬
teilungen darüber. Immer neue Kompositionen, auch Ausgaben des Liedes
mit Randzeichnungen werden genannt. Es erscheinen andre Nheiulieder, zum Teil
mit genauer Beziehung auf das Vorbild, und Übersetzungen in fremde Sprachen.
Hier fordert einer die Einführung des Liedes in den Schulunterricht, dort
sucht ein andrer aus seinem Erfolge nachzuweisen, daß die Zeit mit Unrecht
des Materialismus beschuldigt werde. Redner, die es anführen, können in
ihrer Rede nicht fortfahren, weil sie der laute Beifall übertönt. In Mainz,
in Stuttgart bilden sich Vereine, um das "Nationallied" zu verbreiten und
seinen Sänger zu ehren. Dazwischen tauchen wunderliche Vorschläge auf, die
dann wieder zurückgewiesen werden, wie der Vorschlag, das Lied "Colognaise"
zu nennen, und ciudre. In Geilenkirchen, "dessen Name mit dem Namen
Beckers von den Schwingen des Ruhms durch die ganze Welt getragen wurde"
(Kölnische Zeitung), wurde dem "Nationaldichter" ein Fackelzug gebracht, bei
dem ihm ein Ehrenbecher überreicht wurde. Die Anrede an den Dichter
schließt mit den Worten: "Der unsterbliche Niklas Becker lebe hoch!" Alles
das hätte wohl auch einen kühlen, ruhigen Verstand berauschen und eitel
machen können. Aber Becker blieb nach allen Nachrichten bescheiden und an¬
spruchslos wie zuvor; und wenn man ihm später den großen Beifall, mit dem
er überschüttet wurde, gewissermaßen zum Vorwürfe gemacht hat, fo liegt in
der schlichten Art, wie er seinen Ruhm trug, kein Grund zu einer solchen
Ungerechtigkeit.

schlicht und anspruchslos zeigte er sich auch, als sich Friedrich Wilhelm IV.
im Jahre 1842 beim Dombaufeste in Köln den Dichter vorstellen ließ und sich
lange mit ihm unterhielt. Schon früher übrigens hatte ihm der König seineu
Dank ausspreche" und bei der Fortsetzung seiner Studien seine Unterstützung
versprechen lassen. Aber Becker bat nur "um eine Friedensgerichtsschreiber-
stelle, falls eine ihm passende erledigt sein würde." Er erhielt dann zu Weih¬
nachten 1840 ein Geschenk von tausend Thalern und im folgenden Jahre auch
die erhellte Stelle am dritten Friedensgerichtsbezirk zu Köln. Auch König
Ludwig von Baiern ehrte ihn durch einen silbernen Becher mit der Aufschrift
"Dem Sänger des Rheins der Pfalzgraf bei Rhein" und pries in seinem
Liede "Die Teutschen seit dem Jahre 1840" das neue Zeitalter vaterländischer
Entschlossenheit, wo der "teutsche Sinn," früher nur ein Ideal weniger, ein
gemeinsames Band um Deutschlands Völker und Fürsten geschlungen habe.


Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Volkstümlichen Vaterlandslieder sind erst allmählich in den Mund des Volkes
übergegangen. So kostete Becker einen Ruhm, wie er wenigen beschert ge¬
wesen ist, und wie ihn der bescheidne Dichter niemals gehofft hatte.

Den großen Kölner Festen, bei denen das Nheinlied zuerst als Shmbol, als
Stichwort der ganzen Bewegung erschien, folgten ähnliche Feste in andern
Städten, und überall entfesselte das Lied dieselbe Begeisterung. Fast jede
Nummer der Kölnischen Zeitung ans den folgenden Monaten bringt Mit¬
teilungen darüber. Immer neue Kompositionen, auch Ausgaben des Liedes
mit Randzeichnungen werden genannt. Es erscheinen andre Nheiulieder, zum Teil
mit genauer Beziehung auf das Vorbild, und Übersetzungen in fremde Sprachen.
Hier fordert einer die Einführung des Liedes in den Schulunterricht, dort
sucht ein andrer aus seinem Erfolge nachzuweisen, daß die Zeit mit Unrecht
des Materialismus beschuldigt werde. Redner, die es anführen, können in
ihrer Rede nicht fortfahren, weil sie der laute Beifall übertönt. In Mainz,
in Stuttgart bilden sich Vereine, um das „Nationallied" zu verbreiten und
seinen Sänger zu ehren. Dazwischen tauchen wunderliche Vorschläge auf, die
dann wieder zurückgewiesen werden, wie der Vorschlag, das Lied „Colognaise"
zu nennen, und ciudre. In Geilenkirchen, „dessen Name mit dem Namen
Beckers von den Schwingen des Ruhms durch die ganze Welt getragen wurde"
(Kölnische Zeitung), wurde dem „Nationaldichter" ein Fackelzug gebracht, bei
dem ihm ein Ehrenbecher überreicht wurde. Die Anrede an den Dichter
schließt mit den Worten: „Der unsterbliche Niklas Becker lebe hoch!" Alles
das hätte wohl auch einen kühlen, ruhigen Verstand berauschen und eitel
machen können. Aber Becker blieb nach allen Nachrichten bescheiden und an¬
spruchslos wie zuvor; und wenn man ihm später den großen Beifall, mit dem
er überschüttet wurde, gewissermaßen zum Vorwürfe gemacht hat, fo liegt in
der schlichten Art, wie er seinen Ruhm trug, kein Grund zu einer solchen
Ungerechtigkeit.

schlicht und anspruchslos zeigte er sich auch, als sich Friedrich Wilhelm IV.
im Jahre 1842 beim Dombaufeste in Köln den Dichter vorstellen ließ und sich
lange mit ihm unterhielt. Schon früher übrigens hatte ihm der König seineu
Dank ausspreche» und bei der Fortsetzung seiner Studien seine Unterstützung
versprechen lassen. Aber Becker bat nur „um eine Friedensgerichtsschreiber-
stelle, falls eine ihm passende erledigt sein würde." Er erhielt dann zu Weih¬
nachten 1840 ein Geschenk von tausend Thalern und im folgenden Jahre auch
die erhellte Stelle am dritten Friedensgerichtsbezirk zu Köln. Auch König
Ludwig von Baiern ehrte ihn durch einen silbernen Becher mit der Aufschrift
„Dem Sänger des Rheins der Pfalzgraf bei Rhein" und pries in seinem
Liede „Die Teutschen seit dem Jahre 1840" das neue Zeitalter vaterländischer
Entschlossenheit, wo der „teutsche Sinn," früher nur ein Ideal weniger, ein
gemeinsames Band um Deutschlands Völker und Fürsten geschlungen habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/571>, abgerufen am 26.06.2024.