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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinliod

Nicolaus Becker war ant 8. Oktober 1809 in Bonn geboren. Da der
Vater, der Kaufmann war, frühzeitig starb, so lag die Erziehung des
Knaben ganz in den Händen der Mutter, Cäcilie geborne Du Mont, einer
"feingebildeten, für Poesie sehr empfänglichen Frau," der Tochter des letzten
Bürgermeisters der freien Reichsstadt Köln. Den ersten Unterricht erhielt der
Knabe ans einer Schule Borns, dann besuchte er das Gymnasium in Düren,
wo ihm sein Mitschüler Matzerath, der spätere Dichter, ein Freund fürs Leben
wurde. Beide bezogen 1833, Becker also schon in vorgerücktem Alter, die
Universität Bonn, um Jura zu studiren. Eine Anzahl junger Dichter fand
sich damals, etwa seit 1835, in Bonn zusammen: Karl Simrock und Wolf-
gang Müller, Geibel, Arnold Schlönbach und Alexander Kaufmann dichteten
und schwärmten hier in dem Zauber rheinischer Natur und rheinischer Lebens¬
freude. Im Mittelpunkte aber stand die bedeutende Gestalt Gottfried Kinkels,
dessen spätere Gemahlin, Johanna, 1840 die Gründung eines Dichterbundes,
des "Maiküfervereins," anregte, in dem das poetische Treiben hinfort feinen
Vereinigungspunkt fand. Wie weit sich Becker diesem Kreise angeschlossen
hat, ist unbekannt, doch machen die Beziehungen seines Freundes Matzerath
zu einigen dieser Dichter, besonders zu Simrock und Freiligrath, einen
Verkehr mit diesen Männern wahrscheinlich. Dem Maikäferverein aber, als
dessen Mitglied ihn Kurz in seiner Litteraturgeschichte mehrmals nennt, kann
er nicht angehört haben, da er zur Zeit der Gründung des Vereins Bonn
schon verlassen hatte; auch erwähut Strodtmann, der in seinem Leben Kinkels
das Treiben des Dichterbundes genau schildert, nur, daß Becker im Sommer
1841 zum Ehrenmitglied" ernannt worden sei, ohne ihn sonst zu nennen.
Die Bescheidenheit seines Wesens -- teilte er doch seine Dichtungen innen
seinen vertrautesten Freunden mit -- mochte ihn von jenem Dichterkreise fern¬
halten, zumal da er, wie auch uoch in feinem spätern Leben, eine besondre
Neigung für ein ungebnndnes, studentisch frohes Leben fühlte. Dies und
"die Lebhaftigkeit seiner lyrischen Phantasie" waren seiner juristischen Ausbildung
nicht gerade förderlich; erst "nach wiederholtem Anlauf" bestand er die erste
juristische Prüfung.

Im Jahre 183!) fand er dann als Auskultator beim Landgerichte zu
Köln Muße genug, das fröhliche Leben der Studentenzeit fortzusetzen und sich
ungestört seinen dichterischen Neigungen hinzugeben. Im folgenden Jahre finden
wir ihn in dem freundlichen Städtchen Hünshvveu-Gallenkirchen, nahe der


Wilh. v. Waldbrühl im Neuen Nekrolog der Deutschen sür 1345. Im übrigen erwähnen
wohl alle geschichtlichen und litterarischen Werke über jene Zeit Nicolaus Becker wohlwollend
oder absprechend, je nach dem politischen Standpunkte der Verfasser; etwas neues bieten sie
kaum. Die schönste und zugleich eingehendste Würdigung des Rheinlicdes giebt Treitschke im
fünften Bande seiner Deutschen Geschichte. Für die vorliegende gedrängte' Lebensskizze gab
Herr Pastor Metzkes in Hüushofen-Geilenkirchen aus meine Anfrage freundliche Auskunft
Grenzboten III 1895 71
Nicolaus Becker und sein Rheinliod

Nicolaus Becker war ant 8. Oktober 1809 in Bonn geboren. Da der
Vater, der Kaufmann war, frühzeitig starb, so lag die Erziehung des
Knaben ganz in den Händen der Mutter, Cäcilie geborne Du Mont, einer
„feingebildeten, für Poesie sehr empfänglichen Frau," der Tochter des letzten
Bürgermeisters der freien Reichsstadt Köln. Den ersten Unterricht erhielt der
Knabe ans einer Schule Borns, dann besuchte er das Gymnasium in Düren,
wo ihm sein Mitschüler Matzerath, der spätere Dichter, ein Freund fürs Leben
wurde. Beide bezogen 1833, Becker also schon in vorgerücktem Alter, die
Universität Bonn, um Jura zu studiren. Eine Anzahl junger Dichter fand
sich damals, etwa seit 1835, in Bonn zusammen: Karl Simrock und Wolf-
gang Müller, Geibel, Arnold Schlönbach und Alexander Kaufmann dichteten
und schwärmten hier in dem Zauber rheinischer Natur und rheinischer Lebens¬
freude. Im Mittelpunkte aber stand die bedeutende Gestalt Gottfried Kinkels,
dessen spätere Gemahlin, Johanna, 1840 die Gründung eines Dichterbundes,
des „Maiküfervereins," anregte, in dem das poetische Treiben hinfort feinen
Vereinigungspunkt fand. Wie weit sich Becker diesem Kreise angeschlossen
hat, ist unbekannt, doch machen die Beziehungen seines Freundes Matzerath
zu einigen dieser Dichter, besonders zu Simrock und Freiligrath, einen
Verkehr mit diesen Männern wahrscheinlich. Dem Maikäferverein aber, als
dessen Mitglied ihn Kurz in seiner Litteraturgeschichte mehrmals nennt, kann
er nicht angehört haben, da er zur Zeit der Gründung des Vereins Bonn
schon verlassen hatte; auch erwähut Strodtmann, der in seinem Leben Kinkels
das Treiben des Dichterbundes genau schildert, nur, daß Becker im Sommer
1841 zum Ehrenmitglied« ernannt worden sei, ohne ihn sonst zu nennen.
Die Bescheidenheit seines Wesens — teilte er doch seine Dichtungen innen
seinen vertrautesten Freunden mit — mochte ihn von jenem Dichterkreise fern¬
halten, zumal da er, wie auch uoch in feinem spätern Leben, eine besondre
Neigung für ein ungebnndnes, studentisch frohes Leben fühlte. Dies und
„die Lebhaftigkeit seiner lyrischen Phantasie" waren seiner juristischen Ausbildung
nicht gerade förderlich; erst „nach wiederholtem Anlauf" bestand er die erste
juristische Prüfung.

Im Jahre 183!) fand er dann als Auskultator beim Landgerichte zu
Köln Muße genug, das fröhliche Leben der Studentenzeit fortzusetzen und sich
ungestört seinen dichterischen Neigungen hinzugeben. Im folgenden Jahre finden
wir ihn in dem freundlichen Städtchen Hünshvveu-Gallenkirchen, nahe der


Wilh. v. Waldbrühl im Neuen Nekrolog der Deutschen sür 1345. Im übrigen erwähnen
wohl alle geschichtlichen und litterarischen Werke über jene Zeit Nicolaus Becker wohlwollend
oder absprechend, je nach dem politischen Standpunkte der Verfasser; etwas neues bieten sie
kaum. Die schönste und zugleich eingehendste Würdigung des Rheinlicdes giebt Treitschke im
fünften Bande seiner Deutschen Geschichte. Für die vorliegende gedrängte' Lebensskizze gab
Herr Pastor Metzkes in Hüushofen-Geilenkirchen aus meine Anfrage freundliche Auskunft
Grenzboten III 1895 71
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[0569] Nicolaus Becker und sein Rheinliod Nicolaus Becker war ant 8. Oktober 1809 in Bonn geboren. Da der Vater, der Kaufmann war, frühzeitig starb, so lag die Erziehung des Knaben ganz in den Händen der Mutter, Cäcilie geborne Du Mont, einer „feingebildeten, für Poesie sehr empfänglichen Frau," der Tochter des letzten Bürgermeisters der freien Reichsstadt Köln. Den ersten Unterricht erhielt der Knabe ans einer Schule Borns, dann besuchte er das Gymnasium in Düren, wo ihm sein Mitschüler Matzerath, der spätere Dichter, ein Freund fürs Leben wurde. Beide bezogen 1833, Becker also schon in vorgerücktem Alter, die Universität Bonn, um Jura zu studiren. Eine Anzahl junger Dichter fand sich damals, etwa seit 1835, in Bonn zusammen: Karl Simrock und Wolf- gang Müller, Geibel, Arnold Schlönbach und Alexander Kaufmann dichteten und schwärmten hier in dem Zauber rheinischer Natur und rheinischer Lebens¬ freude. Im Mittelpunkte aber stand die bedeutende Gestalt Gottfried Kinkels, dessen spätere Gemahlin, Johanna, 1840 die Gründung eines Dichterbundes, des „Maiküfervereins," anregte, in dem das poetische Treiben hinfort feinen Vereinigungspunkt fand. Wie weit sich Becker diesem Kreise angeschlossen hat, ist unbekannt, doch machen die Beziehungen seines Freundes Matzerath zu einigen dieser Dichter, besonders zu Simrock und Freiligrath, einen Verkehr mit diesen Männern wahrscheinlich. Dem Maikäferverein aber, als dessen Mitglied ihn Kurz in seiner Litteraturgeschichte mehrmals nennt, kann er nicht angehört haben, da er zur Zeit der Gründung des Vereins Bonn schon verlassen hatte; auch erwähut Strodtmann, der in seinem Leben Kinkels das Treiben des Dichterbundes genau schildert, nur, daß Becker im Sommer 1841 zum Ehrenmitglied« ernannt worden sei, ohne ihn sonst zu nennen. Die Bescheidenheit seines Wesens — teilte er doch seine Dichtungen innen seinen vertrautesten Freunden mit — mochte ihn von jenem Dichterkreise fern¬ halten, zumal da er, wie auch uoch in feinem spätern Leben, eine besondre Neigung für ein ungebnndnes, studentisch frohes Leben fühlte. Dies und „die Lebhaftigkeit seiner lyrischen Phantasie" waren seiner juristischen Ausbildung nicht gerade förderlich; erst „nach wiederholtem Anlauf" bestand er die erste juristische Prüfung. Im Jahre 183!) fand er dann als Auskultator beim Landgerichte zu Köln Muße genug, das fröhliche Leben der Studentenzeit fortzusetzen und sich ungestört seinen dichterischen Neigungen hinzugeben. Im folgenden Jahre finden wir ihn in dem freundlichen Städtchen Hünshvveu-Gallenkirchen, nahe der Wilh. v. Waldbrühl im Neuen Nekrolog der Deutschen sür 1345. Im übrigen erwähnen wohl alle geschichtlichen und litterarischen Werke über jene Zeit Nicolaus Becker wohlwollend oder absprechend, je nach dem politischen Standpunkte der Verfasser; etwas neues bieten sie kaum. Die schönste und zugleich eingehendste Würdigung des Rheinlicdes giebt Treitschke im fünften Bande seiner Deutschen Geschichte. Für die vorliegende gedrängte' Lebensskizze gab Herr Pastor Metzkes in Hüushofen-Geilenkirchen aus meine Anfrage freundliche Auskunft Grenzboten III 1895 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/569>, abgerufen am 26.06.2024.