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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolcius Becker und sein Rheinlied
An Alphons de Lamartine
[Beginn Spaltensatz] Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Ob sie wie gier'ge Raben
Sich heiser danach schrein. So lang' er ruhig wallend
Sein grünes Kleid noch trägt,
So lang' ein Ruder schallend
In seine Woge schlägt! Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang' sich Herzen laben
An seinen: Feuerwein. [Spaltenumbruch] So lang' in seinem Strome
Noch fest die Felsen stehn,
So lang' sich hohe Dome
In seinem Spiegel sehn! Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang' dort kühne Knaben
Um schlanke Dirnen frein. So lang' die Flosse sehet
Ein Fisch ans seinem Grund,
So lang' ein Lied noch lebet
In seiner Sänger Mund! [Ende Spaltensatz] Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Flut begraben
Des letzten Manns Gebein! Nie. Becker

Das schlug ein. Binnen kurzem war das Lied im ganzen Lande bekannt,
und wer es im Wortlaut besaß, konnte kaum den Ansprüchen derer genügen,
die Abschriften davon verlangten. Mit Blitzesschnelle durch ganz Deutsch¬
land verbreitet, ward es überall zum Ausdruck dessen, was jeder im Herzen
trug. Und da es die Zeit war, wo Liedertafeln und Sängerfeste viel be¬
deuteten, wo die Vaterlandsliebe vielfach in ihnen einen Ausdruck fand, der
ihr sonst verschlossen war, so bemächtigten sie sich alle des neuen Liedes;
überall fand sich ein Musikümdiger, der es versuchte, für das zündende Wort
eine Weise zu finden (die Zahl der Kompositionen des Nheinliedes wird auf
zweihundert angegeben).

Ein großes Fest sollte das Lied besonders in den Vordergrund rücken.
Einige Tage nach seinem Erscheinen, am 15. Oktober, feierten die Rheinlande
in Köln zugleich mit dem Geburtstage des Königs das Fest ihrer Erbhuldigung
und ihrer fünfundzwanzigjnhrigen Zugehörigkeit zu Preußen. Sowohl bei der
Festausftthrung im Theater als auch bei dem großen Festmahle der Stadt er¬
klang, stürmisch und mehrmals wiederholt, das Nheinlied in Konradin Krcutzers
Weise und führte die Begeisterung auf den Höhepunkt. Der Dichter aber war
mit eitlem Schlage einer der berühmtesten Männer Deutschlands geworden.

Wer war nun dieser Dichter? Ganz allmählich erst erhielt man einige
dürftige Nachrichten über ihn, die wenig Eigentümliches boten, und auch heute
wissen wir nicht gerade viel von ihm; sogar Ort und Tag seiner Geburt
werden verschieden angegeben.")



Die sichersten Nachrichten giebt Lipperhcide, Lieder zu Schutz und Trutz IV, 17L f.,
gestützt auf Mitteilungen der Freunde Beckers. Weniger zuverlässig erscheint der Aufsatz von
Nicolcius Becker und sein Rheinlied
An Alphons de Lamartine
[Beginn Spaltensatz] Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Ob sie wie gier'ge Raben
Sich heiser danach schrein. So lang' er ruhig wallend
Sein grünes Kleid noch trägt,
So lang' ein Ruder schallend
In seine Woge schlägt! Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang' sich Herzen laben
An seinen: Feuerwein. [Spaltenumbruch] So lang' in seinem Strome
Noch fest die Felsen stehn,
So lang' sich hohe Dome
In seinem Spiegel sehn! Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
So lang' dort kühne Knaben
Um schlanke Dirnen frein. So lang' die Flosse sehet
Ein Fisch ans seinem Grund,
So lang' ein Lied noch lebet
In seiner Sänger Mund! [Ende Spaltensatz] Sie sollen ihn nicht haben,
Den freien deutschen Rhein,
Bis seine Flut begraben
Des letzten Manns Gebein! Nie. Becker

Das schlug ein. Binnen kurzem war das Lied im ganzen Lande bekannt,
und wer es im Wortlaut besaß, konnte kaum den Ansprüchen derer genügen,
die Abschriften davon verlangten. Mit Blitzesschnelle durch ganz Deutsch¬
land verbreitet, ward es überall zum Ausdruck dessen, was jeder im Herzen
trug. Und da es die Zeit war, wo Liedertafeln und Sängerfeste viel be¬
deuteten, wo die Vaterlandsliebe vielfach in ihnen einen Ausdruck fand, der
ihr sonst verschlossen war, so bemächtigten sie sich alle des neuen Liedes;
überall fand sich ein Musikümdiger, der es versuchte, für das zündende Wort
eine Weise zu finden (die Zahl der Kompositionen des Nheinliedes wird auf
zweihundert angegeben).

Ein großes Fest sollte das Lied besonders in den Vordergrund rücken.
Einige Tage nach seinem Erscheinen, am 15. Oktober, feierten die Rheinlande
in Köln zugleich mit dem Geburtstage des Königs das Fest ihrer Erbhuldigung
und ihrer fünfundzwanzigjnhrigen Zugehörigkeit zu Preußen. Sowohl bei der
Festausftthrung im Theater als auch bei dem großen Festmahle der Stadt er¬
klang, stürmisch und mehrmals wiederholt, das Nheinlied in Konradin Krcutzers
Weise und führte die Begeisterung auf den Höhepunkt. Der Dichter aber war
mit eitlem Schlage einer der berühmtesten Männer Deutschlands geworden.

Wer war nun dieser Dichter? Ganz allmählich erst erhielt man einige
dürftige Nachrichten über ihn, die wenig Eigentümliches boten, und auch heute
wissen wir nicht gerade viel von ihm; sogar Ort und Tag seiner Geburt
werden verschieden angegeben.")



Die sichersten Nachrichten giebt Lipperhcide, Lieder zu Schutz und Trutz IV, 17L f.,
gestützt auf Mitteilungen der Freunde Beckers. Weniger zuverlässig erscheint der Aufsatz von
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[0568] Nicolcius Becker und sein Rheinlied An Alphons de Lamartine Sie sollen ihn nicht haben, Den freien deutschen Rhein, Ob sie wie gier'ge Raben Sich heiser danach schrein. So lang' er ruhig wallend Sein grünes Kleid noch trägt, So lang' ein Ruder schallend In seine Woge schlägt! Sie sollen ihn nicht haben, Den freien deutschen Rhein, So lang' sich Herzen laben An seinen: Feuerwein. So lang' in seinem Strome Noch fest die Felsen stehn, So lang' sich hohe Dome In seinem Spiegel sehn! Sie sollen ihn nicht haben, Den freien deutschen Rhein, So lang' dort kühne Knaben Um schlanke Dirnen frein. So lang' die Flosse sehet Ein Fisch ans seinem Grund, So lang' ein Lied noch lebet In seiner Sänger Mund! Sie sollen ihn nicht haben, Den freien deutschen Rhein, Bis seine Flut begraben Des letzten Manns Gebein! Nie. Becker Das schlug ein. Binnen kurzem war das Lied im ganzen Lande bekannt, und wer es im Wortlaut besaß, konnte kaum den Ansprüchen derer genügen, die Abschriften davon verlangten. Mit Blitzesschnelle durch ganz Deutsch¬ land verbreitet, ward es überall zum Ausdruck dessen, was jeder im Herzen trug. Und da es die Zeit war, wo Liedertafeln und Sängerfeste viel be¬ deuteten, wo die Vaterlandsliebe vielfach in ihnen einen Ausdruck fand, der ihr sonst verschlossen war, so bemächtigten sie sich alle des neuen Liedes; überall fand sich ein Musikümdiger, der es versuchte, für das zündende Wort eine Weise zu finden (die Zahl der Kompositionen des Nheinliedes wird auf zweihundert angegeben). Ein großes Fest sollte das Lied besonders in den Vordergrund rücken. Einige Tage nach seinem Erscheinen, am 15. Oktober, feierten die Rheinlande in Köln zugleich mit dem Geburtstage des Königs das Fest ihrer Erbhuldigung und ihrer fünfundzwanzigjnhrigen Zugehörigkeit zu Preußen. Sowohl bei der Festausftthrung im Theater als auch bei dem großen Festmahle der Stadt er¬ klang, stürmisch und mehrmals wiederholt, das Nheinlied in Konradin Krcutzers Weise und führte die Begeisterung auf den Höhepunkt. Der Dichter aber war mit eitlem Schlage einer der berühmtesten Männer Deutschlands geworden. Wer war nun dieser Dichter? Ganz allmählich erst erhielt man einige dürftige Nachrichten über ihn, die wenig Eigentümliches boten, und auch heute wissen wir nicht gerade viel von ihm; sogar Ort und Tag seiner Geburt werden verschieden angegeben.") Die sichersten Nachrichten giebt Lipperhcide, Lieder zu Schutz und Trutz IV, 17L f., gestützt auf Mitteilungen der Freunde Beckers. Weniger zuverlässig erscheint der Aufsatz von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/568>, abgerufen am 26.06.2024.