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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Wie immer, war man in Frankreich von einem sichern Siege überzeugt.
Und wirklich konnte man sich damals mit einer gewissen Berechtigung ein
falsches Bild von der Stimmung in Deutschland machen. Der deutsche
"Idealismus" war in der langen Friedenszeit nach Herzenslust in die Weite
geschweift und hatte an dem Ergehe" der, andern Volker mitfühlend teil¬
genommen. Polnische und französische Thaten und Helden fanden mehr Sänger
in deutscher Zunge als die Helden aus deu großen Zeiten unsers eignen
Volkes. Der Napoleonkultus in Heines, Gaudys, Zedlitzens und vieler andrer
Lieder giebt noch heute davon Zeugnis. Dazu kam die Sucht aller derer, die
mit den deutschen Verhältnissen unzufrieden waren, in den Zuständen Frank¬
reichs ihnen ein Gegenbild gegenüberzustellen, neben dem, in so gehässiger
Auffassung, das Vaterland in trauriger Öde erscheinen mußte. Seit langen
Jahren hatten Börne und Heine in Paris ihren Witz daran gesetzt, das Frank¬
reich des Julikönigtums mit einer Glorie zu umkleiden und auf Deutschland
allen ihren Hohn zu häufen. Kein Wunder, daß man an der Seine diesen
Hauptaposteln der Legende von der ZiMäs nation bereitwilligst glaubte und
aus ihrem Munde die Ansichten von ganz Deutschland zu vernehmen meinte.
Wie sollten es -- so dachte man -- diese geknechteten Bewohner der Rheinufer
nicht als die höchste Gunst des Schicksals empfinden, wenn ihr Land hinfort
den Saum der bslls l?ra>n.vo bilden würde!

Der verblendeten Selbstüberhebung wurde ihre gerechte Enttäuschung.
Deutschland erschien wie mit einem Schlage einig in dem Gedanken entschlossener
Verteidigung. Noch heute ist es eine Freude, in den Zeitungen jener Tage
die entschiedne Sprache zu verfolgen, mit der man dem schlimmen Nachbar
entgegentrat. Und vor allen die Rheinländer zeigten stolz, daß sie, trotz alles
kirchlichen Zwistes mit ihrem Herrscherhause, bleiben wollten, wozu sie Gott
erschaffen hatte: deutsche Männer. Ja man erinnerte sich und den Feind
daran, daß die Grenzfrage wirklich noch unerledigt sei, und wies auf die
Vogesen als unser Ziel in einem kommenden Kriege hin. In einer Besprechung
von Arndts Lebenserinnerungen, die zu Anfange des Jahres, recht zur passenden
Zeit, erschienen waren, beklagten die von Görres herausgegebnen Historisch-
Politischen Blätter, daß der Schluß des Buches die Empfindungen deutscher
Katholiken kranken müsse; aber trotzdem, hieß es. wollten sie nicht mit ihm
rechten, sondern "einstimmen in seinen Ruf: Wenn die Übermütigen uns zu-
schreien "der Rhein Frankreichs Naturgrenze," so wollen wir ihnen antworten:
"heraus mit dem Elsaß und Lothringen!""

So ging der Streit in Zeitungen und Versammlungen lange fort; noch
immer aber fehlte es an einem Worte, worin jeder, auch wer politischen Er¬
örterungen fern stand, den Ausdruck seiner patriotischen Wünsche gefunden
hätte. Da brachte die Kölnische Zeitung vom 8. Oktober in unscheinbarem
Druck unter dein Strich folgendes Lied:


Nicolaus Becker und sein Rheinlied

Wie immer, war man in Frankreich von einem sichern Siege überzeugt.
Und wirklich konnte man sich damals mit einer gewissen Berechtigung ein
falsches Bild von der Stimmung in Deutschland machen. Der deutsche
„Idealismus" war in der langen Friedenszeit nach Herzenslust in die Weite
geschweift und hatte an dem Ergehe» der, andern Volker mitfühlend teil¬
genommen. Polnische und französische Thaten und Helden fanden mehr Sänger
in deutscher Zunge als die Helden aus deu großen Zeiten unsers eignen
Volkes. Der Napoleonkultus in Heines, Gaudys, Zedlitzens und vieler andrer
Lieder giebt noch heute davon Zeugnis. Dazu kam die Sucht aller derer, die
mit den deutschen Verhältnissen unzufrieden waren, in den Zuständen Frank¬
reichs ihnen ein Gegenbild gegenüberzustellen, neben dem, in so gehässiger
Auffassung, das Vaterland in trauriger Öde erscheinen mußte. Seit langen
Jahren hatten Börne und Heine in Paris ihren Witz daran gesetzt, das Frank¬
reich des Julikönigtums mit einer Glorie zu umkleiden und auf Deutschland
allen ihren Hohn zu häufen. Kein Wunder, daß man an der Seine diesen
Hauptaposteln der Legende von der ZiMäs nation bereitwilligst glaubte und
aus ihrem Munde die Ansichten von ganz Deutschland zu vernehmen meinte.
Wie sollten es — so dachte man — diese geknechteten Bewohner der Rheinufer
nicht als die höchste Gunst des Schicksals empfinden, wenn ihr Land hinfort
den Saum der bslls l?ra>n.vo bilden würde!

Der verblendeten Selbstüberhebung wurde ihre gerechte Enttäuschung.
Deutschland erschien wie mit einem Schlage einig in dem Gedanken entschlossener
Verteidigung. Noch heute ist es eine Freude, in den Zeitungen jener Tage
die entschiedne Sprache zu verfolgen, mit der man dem schlimmen Nachbar
entgegentrat. Und vor allen die Rheinländer zeigten stolz, daß sie, trotz alles
kirchlichen Zwistes mit ihrem Herrscherhause, bleiben wollten, wozu sie Gott
erschaffen hatte: deutsche Männer. Ja man erinnerte sich und den Feind
daran, daß die Grenzfrage wirklich noch unerledigt sei, und wies auf die
Vogesen als unser Ziel in einem kommenden Kriege hin. In einer Besprechung
von Arndts Lebenserinnerungen, die zu Anfange des Jahres, recht zur passenden
Zeit, erschienen waren, beklagten die von Görres herausgegebnen Historisch-
Politischen Blätter, daß der Schluß des Buches die Empfindungen deutscher
Katholiken kranken müsse; aber trotzdem, hieß es. wollten sie nicht mit ihm
rechten, sondern „einstimmen in seinen Ruf: Wenn die Übermütigen uns zu-
schreien »der Rhein Frankreichs Naturgrenze,« so wollen wir ihnen antworten:
»heraus mit dem Elsaß und Lothringen!«"

So ging der Streit in Zeitungen und Versammlungen lange fort; noch
immer aber fehlte es an einem Worte, worin jeder, auch wer politischen Er¬
örterungen fern stand, den Ausdruck seiner patriotischen Wünsche gefunden
hätte. Da brachte die Kölnische Zeitung vom 8. Oktober in unscheinbarem
Druck unter dein Strich folgendes Lied:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/567>, abgerufen am 26.06.2024.