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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Politische Interessen zu haben. Er war mit Ghibellinen und mit Guelfen, wie
Robert von Neapel, gleichermaßen befreundet, und sein Kaiser Karl IV. war
nicht Heinrich VII. Cota Rienzi aber, der dem Petrarca eine seiner schönsten
Politischen Canzonen wert war, ist ein echt italienischer Theaterprinz. Der
dritte große Dichter des vierzehnten Jahrhunderts, Boccaccio, war, soweit er
überhaupt politisches Interesse gezeigt hat, Guelfe. Mit Dantes Politik war
es also damals bereits zu Ende. Er hatte aber seinem Volke uoch ein andres
Vermächtnis gegeben, das fortan anstatt seiner politischen Gedanken die Lit¬
teratur bestimmen sollte. Man sieht zwar gewöhnlich Petrarca als den Wieder-
erwecker des Altertums an, und für das Griechische ist das richtig. Das
Lateinische aber brauchte nach Dante niemand neu zu erwecken, denn es war
bereits in ihm lebendig, und er gestaltete es dichtend und theoretisirend weiter.
Petrarca folgte ihm hierin nur. Aber nun gab Dante den Italienern zugleich
eine Volkssprache, die über den Einzeldialekten stehen sollte, und dichtete darin
seine Komödie und nicht in lateinischer Sprache, wie viele ihm geraten und
von ihm erwartet hatten. Sodann hat er diese Volkssprache zugleich in dem
erwähnten, leider unvollendet gebliebner Traktat ausführlich erläutert und den
Dichtern wundersam zubereitet, und sogar dieses Negelbuch ist durch nationale
Gesichtspunkte ausgezeichnet. Hätten wir, so heißt es darin, einen Hof und
eines Kaisers Kanzlei, wie die Deutschen, so könnten wir die dort gebrauchte
Sprache zur allgemeinen Schriftsprache nehmen. Da uns aber ein solcher
Mittelpunkt fehlt, so müssen wir uns eine ideale Einheit bilden. Das ist das
"vornehme Italienisch," das Dante in dieser Schrift, um es den Gelehrten
und den Gebildeten zu empfehlen, sogar für edler erklärt als das Lateinische,
während er sonst dem Lateinischen den Vorzug zuspricht und es der jungen
Volkssprache als Muster empfiehlt. Theoretische Schriften über Sprache und
Dichtkunst finden wir anderswo entweder am Ende einer Litteratur oder, wenn
sie, wie hier, von bedeutenden Dichtern selbst ausgehen, in der Zeit voller und
reifer Entwicklung. Hier aber sehen wir solche Schriften ganz am Anfange der
Nationallitteratur entstehen, und zwar beziehen sie sich nicht bloß, wie man
in Bezug auf Dantes Schrift gesagt hat, auf abgelaufne Vorgänge, wie die
provenzalische Lyrik, sondern sie fassen recht eigentlich die zukünftigen Aus¬
gaben einer neuen italienischen Litteratur ins Auge, und der, von dem die
hervorragendste dieser Schriften ausgeht, ist der erste und für alle Zeit der
größte Dichter Italiens. Dieser Umstand, daß Dante sich auf so bedeutende
Weise mit der Theorie auseinandersetzte, und der andre, daß daneben der
Humanismus eine Neubildung des antiken geistigen Lebens doch auch wesentlich
auf dem Wege des verstandesmäßigen Nachdenkens herbeizuführen suchte, ist
sür den Charakter der ganzen folgenden Litteratur wichtig geworden.

Die Theorie hat ihren Platz nie wieder aufgegeben, sie begleitet die Dich¬
tung in allen ihren Erscheinungen und schafft sich für ihre Äußerungen die


Politische Interessen zu haben. Er war mit Ghibellinen und mit Guelfen, wie
Robert von Neapel, gleichermaßen befreundet, und sein Kaiser Karl IV. war
nicht Heinrich VII. Cota Rienzi aber, der dem Petrarca eine seiner schönsten
Politischen Canzonen wert war, ist ein echt italienischer Theaterprinz. Der
dritte große Dichter des vierzehnten Jahrhunderts, Boccaccio, war, soweit er
überhaupt politisches Interesse gezeigt hat, Guelfe. Mit Dantes Politik war
es also damals bereits zu Ende. Er hatte aber seinem Volke uoch ein andres
Vermächtnis gegeben, das fortan anstatt seiner politischen Gedanken die Lit¬
teratur bestimmen sollte. Man sieht zwar gewöhnlich Petrarca als den Wieder-
erwecker des Altertums an, und für das Griechische ist das richtig. Das
Lateinische aber brauchte nach Dante niemand neu zu erwecken, denn es war
bereits in ihm lebendig, und er gestaltete es dichtend und theoretisirend weiter.
Petrarca folgte ihm hierin nur. Aber nun gab Dante den Italienern zugleich
eine Volkssprache, die über den Einzeldialekten stehen sollte, und dichtete darin
seine Komödie und nicht in lateinischer Sprache, wie viele ihm geraten und
von ihm erwartet hatten. Sodann hat er diese Volkssprache zugleich in dem
erwähnten, leider unvollendet gebliebner Traktat ausführlich erläutert und den
Dichtern wundersam zubereitet, und sogar dieses Negelbuch ist durch nationale
Gesichtspunkte ausgezeichnet. Hätten wir, so heißt es darin, einen Hof und
eines Kaisers Kanzlei, wie die Deutschen, so könnten wir die dort gebrauchte
Sprache zur allgemeinen Schriftsprache nehmen. Da uns aber ein solcher
Mittelpunkt fehlt, so müssen wir uns eine ideale Einheit bilden. Das ist das
„vornehme Italienisch," das Dante in dieser Schrift, um es den Gelehrten
und den Gebildeten zu empfehlen, sogar für edler erklärt als das Lateinische,
während er sonst dem Lateinischen den Vorzug zuspricht und es der jungen
Volkssprache als Muster empfiehlt. Theoretische Schriften über Sprache und
Dichtkunst finden wir anderswo entweder am Ende einer Litteratur oder, wenn
sie, wie hier, von bedeutenden Dichtern selbst ausgehen, in der Zeit voller und
reifer Entwicklung. Hier aber sehen wir solche Schriften ganz am Anfange der
Nationallitteratur entstehen, und zwar beziehen sie sich nicht bloß, wie man
in Bezug auf Dantes Schrift gesagt hat, auf abgelaufne Vorgänge, wie die
provenzalische Lyrik, sondern sie fassen recht eigentlich die zukünftigen Aus¬
gaben einer neuen italienischen Litteratur ins Auge, und der, von dem die
hervorragendste dieser Schriften ausgeht, ist der erste und für alle Zeit der
größte Dichter Italiens. Dieser Umstand, daß Dante sich auf so bedeutende
Weise mit der Theorie auseinandersetzte, und der andre, daß daneben der
Humanismus eine Neubildung des antiken geistigen Lebens doch auch wesentlich
auf dem Wege des verstandesmäßigen Nachdenkens herbeizuführen suchte, ist
sür den Charakter der ganzen folgenden Litteratur wichtig geworden.

Die Theorie hat ihren Platz nie wieder aufgegeben, sie begleitet die Dich¬
tung in allen ihren Erscheinungen und schafft sich für ihre Äußerungen die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/563>, abgerufen am 26.06.2024.