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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

bestritten. Den Italienern war es schrecklich, zu denken, daß ihr größter Dichter
ein einiges Italien, aber unter fremder, nämlich des deutschen Kaisers Herr¬
schaft auch nur für möglich hielt, während die Beschränkung des Papstes auf
die geistliche Gewalt, die Dante gerade so rücksichtslos predigte, wie bei uns
hundert Jahre früher Walther von der Vogelweide, den meisten in Italien zu¬
gesagt Hütte. Aber eine einheimische Macht, die einzeln stark genug gewesen
wäre, die Einigung Italiens zu vollziehen, etwa Neapel, Mailand oder Ve¬
nedig, gab es zu Dantes Zeit nicht. Hätte ein Dante, wenn er schon unter
den Troubadours am Hofe von Palermo aufgestanden wäre, mehr Erfolg ge¬
habt? oder vollends, wenn er schon unter Barbarossa gelebt hätte? Auf die
Seite der lombardischen Städte wäre er sicher nicht getreten. War es nun
aber auch zu spät zur Einigung Italiens, und hätte es vielleicht auch früher
trotz einem Dante nicht dazu kommen können: die Italiener hatten doch einen
Dichter, der sie auf ernste Gedanken und wichtige weltliche Aufgaben hinwies.
Denn das war der Beruf des Volksdichters nach seiner Auffnssnng. Im zweiten
Buche seiner lateinischen Abhandlung über die Volkssprache, einer seiner spätesten
Schriften, spricht er über die italienische Canzone, den lyrischen Gesang höchsten
Stils. Waffen, Minne und Tugend, heißt es da, seien der Canzone würdige
Gegenstände. Alle drei hätten die Provenzalen besungen, von Italienern aber
auf italienisch Cino von Pistoja die Minne, sein Freund, d. h. Dante selbst,
die Tugend. "Von Waffen aber hat kein Italiener, so viel ich weiß, ge¬
sungen!" Wie rührend klingt das einfache Wort, und wie sollte es immer
Geltung behalten! Denn die Paradcwaffen, von denen über zwei Jahrhunderte
später Ariost und Tasso nach sorgfältigem Plane sangen, waren nicht die
Waffen, die Dante gemeint hatte. Und etwa um dieselbe Zeit, als die Kunst
der Renaissance in ihrer höchsten Blüte stand, hat sich in die heitere Schilde¬
rung des Cvrtegiano von Castiglione ein tiefer Seufzer verirrt: "Wie haben
doch die Italiener über den Wissenschaften die Waffen vernachlässigt. Wie
anders haben es die Franzosen gemacht, und wie traurig ist es, daß, wenn sie
reden können, wir schweigen müssen!" Und gleichzeitig nimmt sich Machiavelli
in seinem Traktat von der Kriegskunst der vernachlässigten Infanterie gegen
die Überlegenheit der fremden Landsknechte ernstlich an und hält den italie¬
nischen Fürsten eine berühmte Strafpredigt: daß sie genießen, aber nicht
kämpfen, und wenn sie es thun, nur um elender Sonderinteressen willen. Und
mit prophetischem Geiste bezeichnete er damals Karls VIII. von Frankreich
Einbruch ins Reich Neapel als den "Anfang des Unglücks." Denn von der
grauenhaften Plünderung Roms (1527) konnte er damals noch nichts wissen.
Er erlebte sie noch, aber sie geschah erst wenig Wochen vor seinem Tode.

Das war noch Dantischer Geist, wenn auch Machiavelli ein Dichter war
und sein Buch nur ein Prosadialog. Aber fortan begegnen wir diesem Geiste
nicht mehr. Schon Petrarca war viel zu sehr Weltbürger, um ernsthafte


politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

bestritten. Den Italienern war es schrecklich, zu denken, daß ihr größter Dichter
ein einiges Italien, aber unter fremder, nämlich des deutschen Kaisers Herr¬
schaft auch nur für möglich hielt, während die Beschränkung des Papstes auf
die geistliche Gewalt, die Dante gerade so rücksichtslos predigte, wie bei uns
hundert Jahre früher Walther von der Vogelweide, den meisten in Italien zu¬
gesagt Hütte. Aber eine einheimische Macht, die einzeln stark genug gewesen
wäre, die Einigung Italiens zu vollziehen, etwa Neapel, Mailand oder Ve¬
nedig, gab es zu Dantes Zeit nicht. Hätte ein Dante, wenn er schon unter
den Troubadours am Hofe von Palermo aufgestanden wäre, mehr Erfolg ge¬
habt? oder vollends, wenn er schon unter Barbarossa gelebt hätte? Auf die
Seite der lombardischen Städte wäre er sicher nicht getreten. War es nun
aber auch zu spät zur Einigung Italiens, und hätte es vielleicht auch früher
trotz einem Dante nicht dazu kommen können: die Italiener hatten doch einen
Dichter, der sie auf ernste Gedanken und wichtige weltliche Aufgaben hinwies.
Denn das war der Beruf des Volksdichters nach seiner Auffnssnng. Im zweiten
Buche seiner lateinischen Abhandlung über die Volkssprache, einer seiner spätesten
Schriften, spricht er über die italienische Canzone, den lyrischen Gesang höchsten
Stils. Waffen, Minne und Tugend, heißt es da, seien der Canzone würdige
Gegenstände. Alle drei hätten die Provenzalen besungen, von Italienern aber
auf italienisch Cino von Pistoja die Minne, sein Freund, d. h. Dante selbst,
die Tugend. „Von Waffen aber hat kein Italiener, so viel ich weiß, ge¬
sungen!" Wie rührend klingt das einfache Wort, und wie sollte es immer
Geltung behalten! Denn die Paradcwaffen, von denen über zwei Jahrhunderte
später Ariost und Tasso nach sorgfältigem Plane sangen, waren nicht die
Waffen, die Dante gemeint hatte. Und etwa um dieselbe Zeit, als die Kunst
der Renaissance in ihrer höchsten Blüte stand, hat sich in die heitere Schilde¬
rung des Cvrtegiano von Castiglione ein tiefer Seufzer verirrt: „Wie haben
doch die Italiener über den Wissenschaften die Waffen vernachlässigt. Wie
anders haben es die Franzosen gemacht, und wie traurig ist es, daß, wenn sie
reden können, wir schweigen müssen!" Und gleichzeitig nimmt sich Machiavelli
in seinem Traktat von der Kriegskunst der vernachlässigten Infanterie gegen
die Überlegenheit der fremden Landsknechte ernstlich an und hält den italie¬
nischen Fürsten eine berühmte Strafpredigt: daß sie genießen, aber nicht
kämpfen, und wenn sie es thun, nur um elender Sonderinteressen willen. Und
mit prophetischem Geiste bezeichnete er damals Karls VIII. von Frankreich
Einbruch ins Reich Neapel als den „Anfang des Unglücks." Denn von der
grauenhaften Plünderung Roms (1527) konnte er damals noch nichts wissen.
Er erlebte sie noch, aber sie geschah erst wenig Wochen vor seinem Tode.

Das war noch Dantischer Geist, wenn auch Machiavelli ein Dichter war
und sein Buch nur ein Prosadialog. Aber fortan begegnen wir diesem Geiste
nicht mehr. Schon Petrarca war viel zu sehr Weltbürger, um ernsthafte


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[0562] politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte bestritten. Den Italienern war es schrecklich, zu denken, daß ihr größter Dichter ein einiges Italien, aber unter fremder, nämlich des deutschen Kaisers Herr¬ schaft auch nur für möglich hielt, während die Beschränkung des Papstes auf die geistliche Gewalt, die Dante gerade so rücksichtslos predigte, wie bei uns hundert Jahre früher Walther von der Vogelweide, den meisten in Italien zu¬ gesagt Hütte. Aber eine einheimische Macht, die einzeln stark genug gewesen wäre, die Einigung Italiens zu vollziehen, etwa Neapel, Mailand oder Ve¬ nedig, gab es zu Dantes Zeit nicht. Hätte ein Dante, wenn er schon unter den Troubadours am Hofe von Palermo aufgestanden wäre, mehr Erfolg ge¬ habt? oder vollends, wenn er schon unter Barbarossa gelebt hätte? Auf die Seite der lombardischen Städte wäre er sicher nicht getreten. War es nun aber auch zu spät zur Einigung Italiens, und hätte es vielleicht auch früher trotz einem Dante nicht dazu kommen können: die Italiener hatten doch einen Dichter, der sie auf ernste Gedanken und wichtige weltliche Aufgaben hinwies. Denn das war der Beruf des Volksdichters nach seiner Auffnssnng. Im zweiten Buche seiner lateinischen Abhandlung über die Volkssprache, einer seiner spätesten Schriften, spricht er über die italienische Canzone, den lyrischen Gesang höchsten Stils. Waffen, Minne und Tugend, heißt es da, seien der Canzone würdige Gegenstände. Alle drei hätten die Provenzalen besungen, von Italienern aber auf italienisch Cino von Pistoja die Minne, sein Freund, d. h. Dante selbst, die Tugend. „Von Waffen aber hat kein Italiener, so viel ich weiß, ge¬ sungen!" Wie rührend klingt das einfache Wort, und wie sollte es immer Geltung behalten! Denn die Paradcwaffen, von denen über zwei Jahrhunderte später Ariost und Tasso nach sorgfältigem Plane sangen, waren nicht die Waffen, die Dante gemeint hatte. Und etwa um dieselbe Zeit, als die Kunst der Renaissance in ihrer höchsten Blüte stand, hat sich in die heitere Schilde¬ rung des Cvrtegiano von Castiglione ein tiefer Seufzer verirrt: „Wie haben doch die Italiener über den Wissenschaften die Waffen vernachlässigt. Wie anders haben es die Franzosen gemacht, und wie traurig ist es, daß, wenn sie reden können, wir schweigen müssen!" Und gleichzeitig nimmt sich Machiavelli in seinem Traktat von der Kriegskunst der vernachlässigten Infanterie gegen die Überlegenheit der fremden Landsknechte ernstlich an und hält den italie¬ nischen Fürsten eine berühmte Strafpredigt: daß sie genießen, aber nicht kämpfen, und wenn sie es thun, nur um elender Sonderinteressen willen. Und mit prophetischem Geiste bezeichnete er damals Karls VIII. von Frankreich Einbruch ins Reich Neapel als den „Anfang des Unglücks." Denn von der grauenhaften Plünderung Roms (1527) konnte er damals noch nichts wissen. Er erlebte sie noch, aber sie geschah erst wenig Wochen vor seinem Tode. Das war noch Dantischer Geist, wenn auch Machiavelli ein Dichter war und sein Buch nur ein Prosadialog. Aber fortan begegnen wir diesem Geiste nicht mehr. Schon Petrarca war viel zu sehr Weltbürger, um ernsthafte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/562>, abgerufen am 26.06.2024.