Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

die vielleicht das unterhaltendste unter allen modernen italienischen Büchern
ist. Er war vornehm und reich, stammte aus Piemont und ging frühzeitig
fort, weil ihm sein Heimatland zu eng war. Von seiner Borliebe für das
französische Wesen (er war ja Oberitaliener) heilten ihn seine in Paris während
der großen Revolution gemachten Erfahrungen. Als vollends Bonaparte sein
Vaterland antastete, wurde er zum Franzosenhasser. Nun griff er in seinen
zum Teil recht hübschen satirischen und moralisirenden Gedichten das Be¬
stehende an und begegnete sich hier durchaus mit jener vaterländischen Rich¬
tung. Trotz cilledem mußte er noch seine Tragödien, die er sür sein höchstes
Lebenswerk hielt, nach den Vorschriften des französischen Klassizismus zimmern.
So tief hatte er sich in das Frcmzosentum verfangen.

Auch zu England hat das junge Italien deutliche Beziehungen. Viele
seiner Mitglieder haben dort in der Verbannung oder nach freiwilliger Flucht
gelebt. Manche sind da gestorben, wie Ugo Fvscolo, ein heißblütiger, in Ve¬
nedig naturalisirter Grieche, der dann als armer Schlucker in London den Lord
spielte und schließlich als verschuldeter Vagabund elend verkam (1827). Man
bemerkt die Vorliebe sür England oft an den Gegenständen der Dramen, Bal¬
laden oder Oden, und bekanntlich hat dafür den Italienern, wenn sie sich in
den letzten Jahrzehnten auflehnten oder wirklich zum Kriege rüsteten, die Sym¬
pathie der öffentlichen Meinung in England mit reichem Danke vergolten. Zu
einer unmittelbaren Einwirkung der englischen Litteratur kam es allerdings
wohl nur bei den Lyrikern, die sich Officin zum Vorbild nahmen. Schon bald
nach dem Erscheinen von Macphersons Gedichten in England war in Italien
eine Übersetzung herausgekommen.

Wir kommen nun zu den deutschen Einflüssen. Foseolos Briefe des
Jacopo Ortis geben Goethes Werther wieder, nur viel einförmiger und be¬
reichert durch die Empfindungen eines italienischen Jrredentistenjünglings. Das
ist so, obwohl die Italiener den Werther bei diesem Anlaß nicht zu neunen
pflegen. Ob sie selbst das Buch noch viel lesen, weiß ich nicht; wir finden
es entsetzlich langweilig. Von unsrer romantischen Schule und auch nament¬
lich von den Kriegsromantikern, die für sie so wichtig gewesen wären, scheinen
die meisten unter den maßgebenden italienischen Dichtern nur geringe Kenntnis
gehabt zu haben. Die sich darum bekümmerten, haben mehr auf die Schul¬
theorie geachtet als auf den deutschen Gedankengehalt, den sie nicht verstanden,
vielleicht weil er ihnen zu tief oder zu wenig phrasenhaft war. Einzelne haben
auf das Vaterländische in der deutscheu Romantik hingewiesen und darin einen
ähnlichen Zug bemerkt wie den, der die Italiener zu Dante zog. Aber große
Aufmerksamkeit haben sie nicht erweckt, und in der Dichtung selbst ist Wohl
kaum etwas wesentliches von deutschem Einfluß zu merken. Auf uns muß
darum diese ganze Art von Litteratur einen kühlen Eindruck machen. Es sind
Worte, denen keine Thaten entsprechen, eine theoretische Richtung, der der


die vielleicht das unterhaltendste unter allen modernen italienischen Büchern
ist. Er war vornehm und reich, stammte aus Piemont und ging frühzeitig
fort, weil ihm sein Heimatland zu eng war. Von seiner Borliebe für das
französische Wesen (er war ja Oberitaliener) heilten ihn seine in Paris während
der großen Revolution gemachten Erfahrungen. Als vollends Bonaparte sein
Vaterland antastete, wurde er zum Franzosenhasser. Nun griff er in seinen
zum Teil recht hübschen satirischen und moralisirenden Gedichten das Be¬
stehende an und begegnete sich hier durchaus mit jener vaterländischen Rich¬
tung. Trotz cilledem mußte er noch seine Tragödien, die er sür sein höchstes
Lebenswerk hielt, nach den Vorschriften des französischen Klassizismus zimmern.
So tief hatte er sich in das Frcmzosentum verfangen.

Auch zu England hat das junge Italien deutliche Beziehungen. Viele
seiner Mitglieder haben dort in der Verbannung oder nach freiwilliger Flucht
gelebt. Manche sind da gestorben, wie Ugo Fvscolo, ein heißblütiger, in Ve¬
nedig naturalisirter Grieche, der dann als armer Schlucker in London den Lord
spielte und schließlich als verschuldeter Vagabund elend verkam (1827). Man
bemerkt die Vorliebe sür England oft an den Gegenständen der Dramen, Bal¬
laden oder Oden, und bekanntlich hat dafür den Italienern, wenn sie sich in
den letzten Jahrzehnten auflehnten oder wirklich zum Kriege rüsteten, die Sym¬
pathie der öffentlichen Meinung in England mit reichem Danke vergolten. Zu
einer unmittelbaren Einwirkung der englischen Litteratur kam es allerdings
wohl nur bei den Lyrikern, die sich Officin zum Vorbild nahmen. Schon bald
nach dem Erscheinen von Macphersons Gedichten in England war in Italien
eine Übersetzung herausgekommen.

Wir kommen nun zu den deutschen Einflüssen. Foseolos Briefe des
Jacopo Ortis geben Goethes Werther wieder, nur viel einförmiger und be¬
reichert durch die Empfindungen eines italienischen Jrredentistenjünglings. Das
ist so, obwohl die Italiener den Werther bei diesem Anlaß nicht zu neunen
pflegen. Ob sie selbst das Buch noch viel lesen, weiß ich nicht; wir finden
es entsetzlich langweilig. Von unsrer romantischen Schule und auch nament¬
lich von den Kriegsromantikern, die für sie so wichtig gewesen wären, scheinen
die meisten unter den maßgebenden italienischen Dichtern nur geringe Kenntnis
gehabt zu haben. Die sich darum bekümmerten, haben mehr auf die Schul¬
theorie geachtet als auf den deutschen Gedankengehalt, den sie nicht verstanden,
vielleicht weil er ihnen zu tief oder zu wenig phrasenhaft war. Einzelne haben
auf das Vaterländische in der deutscheu Romantik hingewiesen und darin einen
ähnlichen Zug bemerkt wie den, der die Italiener zu Dante zog. Aber große
Aufmerksamkeit haben sie nicht erweckt, und in der Dichtung selbst ist Wohl
kaum etwas wesentliches von deutschem Einfluß zu merken. Auf uns muß
darum diese ganze Art von Litteratur einen kühlen Eindruck machen. Es sind
Worte, denen keine Thaten entsprechen, eine theoretische Richtung, der der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0559" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220885"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2126" prev="#ID_2125"> die vielleicht das unterhaltendste unter allen modernen italienischen Büchern<lb/>
ist. Er war vornehm und reich, stammte aus Piemont und ging frühzeitig<lb/>
fort, weil ihm sein Heimatland zu eng war. Von seiner Borliebe für das<lb/>
französische Wesen (er war ja Oberitaliener) heilten ihn seine in Paris während<lb/>
der großen Revolution gemachten Erfahrungen. Als vollends Bonaparte sein<lb/>
Vaterland antastete, wurde er zum Franzosenhasser. Nun griff er in seinen<lb/>
zum Teil recht hübschen satirischen und moralisirenden Gedichten das Be¬<lb/>
stehende an und begegnete sich hier durchaus mit jener vaterländischen Rich¬<lb/>
tung. Trotz cilledem mußte er noch seine Tragödien, die er sür sein höchstes<lb/>
Lebenswerk hielt, nach den Vorschriften des französischen Klassizismus zimmern.<lb/>
So tief hatte er sich in das Frcmzosentum verfangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2127"> Auch zu England hat das junge Italien deutliche Beziehungen. Viele<lb/>
seiner Mitglieder haben dort in der Verbannung oder nach freiwilliger Flucht<lb/>
gelebt. Manche sind da gestorben, wie Ugo Fvscolo, ein heißblütiger, in Ve¬<lb/>
nedig naturalisirter Grieche, der dann als armer Schlucker in London den Lord<lb/>
spielte und schließlich als verschuldeter Vagabund elend verkam (1827). Man<lb/>
bemerkt die Vorliebe sür England oft an den Gegenständen der Dramen, Bal¬<lb/>
laden oder Oden, und bekanntlich hat dafür den Italienern, wenn sie sich in<lb/>
den letzten Jahrzehnten auflehnten oder wirklich zum Kriege rüsteten, die Sym¬<lb/>
pathie der öffentlichen Meinung in England mit reichem Danke vergolten. Zu<lb/>
einer unmittelbaren Einwirkung der englischen Litteratur kam es allerdings<lb/>
wohl nur bei den Lyrikern, die sich Officin zum Vorbild nahmen. Schon bald<lb/>
nach dem Erscheinen von Macphersons Gedichten in England war in Italien<lb/>
eine Übersetzung herausgekommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2128" next="#ID_2129"> Wir kommen nun zu den deutschen Einflüssen. Foseolos Briefe des<lb/>
Jacopo Ortis geben Goethes Werther wieder, nur viel einförmiger und be¬<lb/>
reichert durch die Empfindungen eines italienischen Jrredentistenjünglings. Das<lb/>
ist so, obwohl die Italiener den Werther bei diesem Anlaß nicht zu neunen<lb/>
pflegen. Ob sie selbst das Buch noch viel lesen, weiß ich nicht; wir finden<lb/>
es entsetzlich langweilig. Von unsrer romantischen Schule und auch nament¬<lb/>
lich von den Kriegsromantikern, die für sie so wichtig gewesen wären, scheinen<lb/>
die meisten unter den maßgebenden italienischen Dichtern nur geringe Kenntnis<lb/>
gehabt zu haben. Die sich darum bekümmerten, haben mehr auf die Schul¬<lb/>
theorie geachtet als auf den deutschen Gedankengehalt, den sie nicht verstanden,<lb/>
vielleicht weil er ihnen zu tief oder zu wenig phrasenhaft war. Einzelne haben<lb/>
auf das Vaterländische in der deutscheu Romantik hingewiesen und darin einen<lb/>
ähnlichen Zug bemerkt wie den, der die Italiener zu Dante zog. Aber große<lb/>
Aufmerksamkeit haben sie nicht erweckt, und in der Dichtung selbst ist Wohl<lb/>
kaum etwas wesentliches von deutschem Einfluß zu merken. Auf uns muß<lb/>
darum diese ganze Art von Litteratur einen kühlen Eindruck machen. Es sind<lb/>
Worte, denen keine Thaten entsprechen, eine theoretische Richtung, der der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0559] die vielleicht das unterhaltendste unter allen modernen italienischen Büchern ist. Er war vornehm und reich, stammte aus Piemont und ging frühzeitig fort, weil ihm sein Heimatland zu eng war. Von seiner Borliebe für das französische Wesen (er war ja Oberitaliener) heilten ihn seine in Paris während der großen Revolution gemachten Erfahrungen. Als vollends Bonaparte sein Vaterland antastete, wurde er zum Franzosenhasser. Nun griff er in seinen zum Teil recht hübschen satirischen und moralisirenden Gedichten das Be¬ stehende an und begegnete sich hier durchaus mit jener vaterländischen Rich¬ tung. Trotz cilledem mußte er noch seine Tragödien, die er sür sein höchstes Lebenswerk hielt, nach den Vorschriften des französischen Klassizismus zimmern. So tief hatte er sich in das Frcmzosentum verfangen. Auch zu England hat das junge Italien deutliche Beziehungen. Viele seiner Mitglieder haben dort in der Verbannung oder nach freiwilliger Flucht gelebt. Manche sind da gestorben, wie Ugo Fvscolo, ein heißblütiger, in Ve¬ nedig naturalisirter Grieche, der dann als armer Schlucker in London den Lord spielte und schließlich als verschuldeter Vagabund elend verkam (1827). Man bemerkt die Vorliebe sür England oft an den Gegenständen der Dramen, Bal¬ laden oder Oden, und bekanntlich hat dafür den Italienern, wenn sie sich in den letzten Jahrzehnten auflehnten oder wirklich zum Kriege rüsteten, die Sym¬ pathie der öffentlichen Meinung in England mit reichem Danke vergolten. Zu einer unmittelbaren Einwirkung der englischen Litteratur kam es allerdings wohl nur bei den Lyrikern, die sich Officin zum Vorbild nahmen. Schon bald nach dem Erscheinen von Macphersons Gedichten in England war in Italien eine Übersetzung herausgekommen. Wir kommen nun zu den deutschen Einflüssen. Foseolos Briefe des Jacopo Ortis geben Goethes Werther wieder, nur viel einförmiger und be¬ reichert durch die Empfindungen eines italienischen Jrredentistenjünglings. Das ist so, obwohl die Italiener den Werther bei diesem Anlaß nicht zu neunen pflegen. Ob sie selbst das Buch noch viel lesen, weiß ich nicht; wir finden es entsetzlich langweilig. Von unsrer romantischen Schule und auch nament¬ lich von den Kriegsromantikern, die für sie so wichtig gewesen wären, scheinen die meisten unter den maßgebenden italienischen Dichtern nur geringe Kenntnis gehabt zu haben. Die sich darum bekümmerten, haben mehr auf die Schul¬ theorie geachtet als auf den deutschen Gedankengehalt, den sie nicht verstanden, vielleicht weil er ihnen zu tief oder zu wenig phrasenhaft war. Einzelne haben auf das Vaterländische in der deutscheu Romantik hingewiesen und darin einen ähnlichen Zug bemerkt wie den, der die Italiener zu Dante zog. Aber große Aufmerksamkeit haben sie nicht erweckt, und in der Dichtung selbst ist Wohl kaum etwas wesentliches von deutschem Einfluß zu merken. Auf uns muß darum diese ganze Art von Litteratur einen kühlen Eindruck machen. Es sind Worte, denen keine Thaten entsprechen, eine theoretische Richtung, der der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/559
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/559>, abgerufen am 26.06.2024.