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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

Holstein hiuausgethcm wurde, nachdem die Preußen dort 1865 die wirkliche
Ordnung der Dinge in die Hand genommen hatten. Wenn man dem that¬
sächlichen Gange der italienischen Geschichte folgt und sieht, wie sich die
meistens klugen Herzoge und Könige aus dem Hause Savoyen durch vor¬
sichtige und möglichst gefahrlose Politik ihren Bentecmteil bei stärker" Bundes¬
genossen zu sichern wußten und es schließlich bis zu Königen Italiens brachten,
so kann man keinen Augenblick zweifeln, daß sie dazu solcher Dichter nicht be¬
durften, und neben der immerhin schönen und stimmungsvollen Vaterlands¬
und Heimwehlyrik nehmen sich ihre bombastischer Kriegsgcsänge geradezu
komisch aus.

Und doch wird noch heute in dem Stil weitergedichtet für das Volk zu
den Märkten und Festen. Da lassen sich z. B. Jünglinge -- im tiefsten
Frieden -- zur Rettung des Vaterlandes anwerben und nehmen klagend von
ihren Geliebten Abschied. Jeder geht zu einer andern Waffengattung, auf
jede Waffe kommt eine Strophe des Liedes. Alle scheiden auf Nimmerwieder¬
sehen, und das Ganze singt ein alter Fiedler oder Mandolincnschlügcr ans
dem Pantheonsplatze, und das Volk kauft den Text und stimmt entzückt mit
ein. Denn das ist Patriotismus und kriegerischer Mut, und genau so hatte
ihn das junge Italien auch. Aber für die Einigung Italiens hat das gar
keinen Wert gehabt. Die mußte auf ganz andre Weise erfolgen.

Die ältern, deren Jugend noch in die Zeit des ersten Napoleon fiel,
machen über das Verhältnis der Italiener zu ihm in dieser Zeit manchmal
eine ganz lehrreiche Bemerkung. Sie sahen, daß sich Italien und namentlich
der Norden leicht dem französischen Einfluß und sogar einer Oberherrschaft
fügte. Sie selbst haben zum Teil in den französischen Heeren mit gekümpft
und können doch nicht leugnen, daß sie einem Fremden dienen, so gut wie
ihre Vorfahren den Spaniern und sie selbst später den Österreichern, gegen
deren Joch sie sich denn doch lebhaft ausbäumen. Sie finden die Erklärung
in der Stammesähnlichkeit der Franzosen, in den ruhmreichen Fahnen ihrer
Armee, mit der die Italiener zusammengehen durften, wenn sie nun einmal
auf eigne Hand nicht zu marschieren vermochten. Sie hatten sich immer unter
einander, Staat und Staat, Stadt und Stadt, bekriegt und befehdet (inviäiusW
o inviciig-eois rarmioipicki c> xrovinei-ni, sagt Valbo): war es also auch eine
Knechtschaft, es war doch eine um vieles erträglichere, noble Knechtschaft.
So etwas sollten wir Deutschen in unsern politischen Erwägungen, soweit sie
Italien angehen, nicht vergessen.

Die Hinneigung zu Frankreich ist aber älter als die napoleonische Zeit.
Alfieri gehört nicht zu dem jungen Italien. Er ist schon um die'Mitte des
vorigen Jahrhunderts geboren und bereits 1803 gestorben. Er hat Tragödien
geschrieben, die heute fast niemand mehr liest, und ist am meisten bekannt ge¬
worden durch sein abenteuerndes Wanderleben und durch eine Selbstbiographie,


Politische Anmerkungen zur italienischen Litteraturgeschichte

Holstein hiuausgethcm wurde, nachdem die Preußen dort 1865 die wirkliche
Ordnung der Dinge in die Hand genommen hatten. Wenn man dem that¬
sächlichen Gange der italienischen Geschichte folgt und sieht, wie sich die
meistens klugen Herzoge und Könige aus dem Hause Savoyen durch vor¬
sichtige und möglichst gefahrlose Politik ihren Bentecmteil bei stärker« Bundes¬
genossen zu sichern wußten und es schließlich bis zu Königen Italiens brachten,
so kann man keinen Augenblick zweifeln, daß sie dazu solcher Dichter nicht be¬
durften, und neben der immerhin schönen und stimmungsvollen Vaterlands¬
und Heimwehlyrik nehmen sich ihre bombastischer Kriegsgcsänge geradezu
komisch aus.

Und doch wird noch heute in dem Stil weitergedichtet für das Volk zu
den Märkten und Festen. Da lassen sich z. B. Jünglinge — im tiefsten
Frieden — zur Rettung des Vaterlandes anwerben und nehmen klagend von
ihren Geliebten Abschied. Jeder geht zu einer andern Waffengattung, auf
jede Waffe kommt eine Strophe des Liedes. Alle scheiden auf Nimmerwieder¬
sehen, und das Ganze singt ein alter Fiedler oder Mandolincnschlügcr ans
dem Pantheonsplatze, und das Volk kauft den Text und stimmt entzückt mit
ein. Denn das ist Patriotismus und kriegerischer Mut, und genau so hatte
ihn das junge Italien auch. Aber für die Einigung Italiens hat das gar
keinen Wert gehabt. Die mußte auf ganz andre Weise erfolgen.

Die ältern, deren Jugend noch in die Zeit des ersten Napoleon fiel,
machen über das Verhältnis der Italiener zu ihm in dieser Zeit manchmal
eine ganz lehrreiche Bemerkung. Sie sahen, daß sich Italien und namentlich
der Norden leicht dem französischen Einfluß und sogar einer Oberherrschaft
fügte. Sie selbst haben zum Teil in den französischen Heeren mit gekümpft
und können doch nicht leugnen, daß sie einem Fremden dienen, so gut wie
ihre Vorfahren den Spaniern und sie selbst später den Österreichern, gegen
deren Joch sie sich denn doch lebhaft ausbäumen. Sie finden die Erklärung
in der Stammesähnlichkeit der Franzosen, in den ruhmreichen Fahnen ihrer
Armee, mit der die Italiener zusammengehen durften, wenn sie nun einmal
auf eigne Hand nicht zu marschieren vermochten. Sie hatten sich immer unter
einander, Staat und Staat, Stadt und Stadt, bekriegt und befehdet (inviäiusW
o inviciig-eois rarmioipicki c> xrovinei-ni, sagt Valbo): war es also auch eine
Knechtschaft, es war doch eine um vieles erträglichere, noble Knechtschaft.
So etwas sollten wir Deutschen in unsern politischen Erwägungen, soweit sie
Italien angehen, nicht vergessen.

Die Hinneigung zu Frankreich ist aber älter als die napoleonische Zeit.
Alfieri gehört nicht zu dem jungen Italien. Er ist schon um die'Mitte des
vorigen Jahrhunderts geboren und bereits 1803 gestorben. Er hat Tragödien
geschrieben, die heute fast niemand mehr liest, und ist am meisten bekannt ge¬
worden durch sein abenteuerndes Wanderleben und durch eine Selbstbiographie,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/558>, abgerufen am 26.06.2024.