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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstroine

glomm ab; die Domherren nahmen nur soweit davon Kenntnis, als nötig war,
die Entscheidung fällen zu können. Das Ende vom Liede war also auch
diesmal, daß ich von meinem Kaplangehalt noch "Überschüsse" nachzuzählen
hatte. Das war nun allerdings geeignet, eine bittere Stimmung zu erzeugen
und bei andern Streitigkeiten mit dem Amte den Ton zu verschärfen, aber
daß ohne diese Unannehmlichkeiten meine Erklärung gegen die Unfehlbarkeit
unterblieben wäre, oder daß ich mich nachgiebiger benommen haben würde,
daran ist doch nicht zu denken. Heute ist von Groll gegen die Breslauer
Herren keine Spur mehr vorhanden. Ich sehe ein, daß sie mich stets an¬
ständig und loyal behandelt und in dem, was mir unangenehm war, nur ihrer
Amtspflicht genügt haben.

So siedelte ich denn mit meiner Mutter nach Grüsfau über. Vor dein
Klosterthor sahen wir unsern Möbelwagen halten. Vor hundertfünfzig Jahren
hatte man diese Ungetüme noch nicht gekannt, und so hatten die Stiftsherrn
das Thor für die Verhältnisse des neunzehnten Jahrhunderts zu klein gebaut.
Die Sachen mußten demnach einen Viertelkilvmeter weit durch den großen
Klosterhof geschleppt und dann über siebzig Stufen hinauf befördert werden.
Mit Ausnahme der Prälatenwohnung, die jetzt der Pfarrer inne hat, sind
diese Klosterwohnuugen bei weitem nicht so schön angelegt wie die Liegnitzer.
Großartig sind die Gebände, besonders die Kirchen -- es giebt ihrer nämlich
zwei, und außerdem rings herum in der Nachbarschaft eine Anzahl von Ka¬
pellen; aber im ganzen machen diese Reste der alten Zisterzienserherrlichkeit
doch den Eindruck des Rnineuhaften und Unzeitgemäßen; ein großer Teil der
Gebäude steht leer, die Hauptkirche ist für die Gemeinde zu groß, und die
kleinere, von Wittmann ausgemalte, wird uur einmal im Jahre gebraucht.
Der Pfarrer, das Muster eines gemütlichen Landpfarrers, nahm mich sehr
freundlich auf, behandelte mich sehr anstündig und erwähnte meinen Konflikt
mit keinem Worte. Der Erzpriester des Sprengels dagegen konnte es sich
nicht versagen, mir vor versammeltem Konvent eine salbungsvolle Ermahuungs-
rede zu halten, die ich schweigend hinnahm. Der Mitkaplan war mir wenig
sympathisch, und es verstand sich unter den damaligen Verhältnissen vou selbst,
daß ich geistlichen Umgang mehr floh als suchte. Doch lernte ich einen inter¬
essanten Kauz in der Nachbarschaft kennen: einen harten Geizkragen von
trocknem Humor. Er hauste in weiß getünchten ärmlich ausgestatteten Stuben
und scharrte Geld zusammen. Mir gab er gute Lehren in der Kunst des
Administrirens. Ich bekam, erzählte er n. a., eine schlechte Pfarrei zu admi-
nistriren nud habe neunhundert Thaler Überschuß gemacht, natürlich nicht fürs
Amt, sondern für mich. Ich habe nämlich den ganzen Garten mit Zwiebeln
bestellt und daraus so viel gelöst. Einst kam ein Amtsbruder zu ihm, der
sich in großer Geldverlegenheit befand und bat, ihm etwas zu leihen. Der
Alte fAWk-jHnHMejWm,Gchv"HtW-,. öffnete.mxhxere.schöbe, die mit Thalern


Wandlungen des Ich im Zeitenstroine

glomm ab; die Domherren nahmen nur soweit davon Kenntnis, als nötig war,
die Entscheidung fällen zu können. Das Ende vom Liede war also auch
diesmal, daß ich von meinem Kaplangehalt noch „Überschüsse" nachzuzählen
hatte. Das war nun allerdings geeignet, eine bittere Stimmung zu erzeugen
und bei andern Streitigkeiten mit dem Amte den Ton zu verschärfen, aber
daß ohne diese Unannehmlichkeiten meine Erklärung gegen die Unfehlbarkeit
unterblieben wäre, oder daß ich mich nachgiebiger benommen haben würde,
daran ist doch nicht zu denken. Heute ist von Groll gegen die Breslauer
Herren keine Spur mehr vorhanden. Ich sehe ein, daß sie mich stets an¬
ständig und loyal behandelt und in dem, was mir unangenehm war, nur ihrer
Amtspflicht genügt haben.

So siedelte ich denn mit meiner Mutter nach Grüsfau über. Vor dein
Klosterthor sahen wir unsern Möbelwagen halten. Vor hundertfünfzig Jahren
hatte man diese Ungetüme noch nicht gekannt, und so hatten die Stiftsherrn
das Thor für die Verhältnisse des neunzehnten Jahrhunderts zu klein gebaut.
Die Sachen mußten demnach einen Viertelkilvmeter weit durch den großen
Klosterhof geschleppt und dann über siebzig Stufen hinauf befördert werden.
Mit Ausnahme der Prälatenwohnung, die jetzt der Pfarrer inne hat, sind
diese Klosterwohnuugen bei weitem nicht so schön angelegt wie die Liegnitzer.
Großartig sind die Gebände, besonders die Kirchen — es giebt ihrer nämlich
zwei, und außerdem rings herum in der Nachbarschaft eine Anzahl von Ka¬
pellen; aber im ganzen machen diese Reste der alten Zisterzienserherrlichkeit
doch den Eindruck des Rnineuhaften und Unzeitgemäßen; ein großer Teil der
Gebäude steht leer, die Hauptkirche ist für die Gemeinde zu groß, und die
kleinere, von Wittmann ausgemalte, wird uur einmal im Jahre gebraucht.
Der Pfarrer, das Muster eines gemütlichen Landpfarrers, nahm mich sehr
freundlich auf, behandelte mich sehr anstündig und erwähnte meinen Konflikt
mit keinem Worte. Der Erzpriester des Sprengels dagegen konnte es sich
nicht versagen, mir vor versammeltem Konvent eine salbungsvolle Ermahuungs-
rede zu halten, die ich schweigend hinnahm. Der Mitkaplan war mir wenig
sympathisch, und es verstand sich unter den damaligen Verhältnissen vou selbst,
daß ich geistlichen Umgang mehr floh als suchte. Doch lernte ich einen inter¬
essanten Kauz in der Nachbarschaft kennen: einen harten Geizkragen von
trocknem Humor. Er hauste in weiß getünchten ärmlich ausgestatteten Stuben
und scharrte Geld zusammen. Mir gab er gute Lehren in der Kunst des
Administrirens. Ich bekam, erzählte er n. a., eine schlechte Pfarrei zu admi-
nistriren nud habe neunhundert Thaler Überschuß gemacht, natürlich nicht fürs
Amt, sondern für mich. Ich habe nämlich den ganzen Garten mit Zwiebeln
bestellt und daraus so viel gelöst. Einst kam ein Amtsbruder zu ihm, der
sich in großer Geldverlegenheit befand und bat, ihm etwas zu leihen. Der
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[0528] Wandlungen des Ich im Zeitenstroine glomm ab; die Domherren nahmen nur soweit davon Kenntnis, als nötig war, die Entscheidung fällen zu können. Das Ende vom Liede war also auch diesmal, daß ich von meinem Kaplangehalt noch „Überschüsse" nachzuzählen hatte. Das war nun allerdings geeignet, eine bittere Stimmung zu erzeugen und bei andern Streitigkeiten mit dem Amte den Ton zu verschärfen, aber daß ohne diese Unannehmlichkeiten meine Erklärung gegen die Unfehlbarkeit unterblieben wäre, oder daß ich mich nachgiebiger benommen haben würde, daran ist doch nicht zu denken. Heute ist von Groll gegen die Breslauer Herren keine Spur mehr vorhanden. Ich sehe ein, daß sie mich stets an¬ ständig und loyal behandelt und in dem, was mir unangenehm war, nur ihrer Amtspflicht genügt haben. So siedelte ich denn mit meiner Mutter nach Grüsfau über. Vor dein Klosterthor sahen wir unsern Möbelwagen halten. Vor hundertfünfzig Jahren hatte man diese Ungetüme noch nicht gekannt, und so hatten die Stiftsherrn das Thor für die Verhältnisse des neunzehnten Jahrhunderts zu klein gebaut. Die Sachen mußten demnach einen Viertelkilvmeter weit durch den großen Klosterhof geschleppt und dann über siebzig Stufen hinauf befördert werden. Mit Ausnahme der Prälatenwohnung, die jetzt der Pfarrer inne hat, sind diese Klosterwohnuugen bei weitem nicht so schön angelegt wie die Liegnitzer. Großartig sind die Gebände, besonders die Kirchen — es giebt ihrer nämlich zwei, und außerdem rings herum in der Nachbarschaft eine Anzahl von Ka¬ pellen; aber im ganzen machen diese Reste der alten Zisterzienserherrlichkeit doch den Eindruck des Rnineuhaften und Unzeitgemäßen; ein großer Teil der Gebäude steht leer, die Hauptkirche ist für die Gemeinde zu groß, und die kleinere, von Wittmann ausgemalte, wird uur einmal im Jahre gebraucht. Der Pfarrer, das Muster eines gemütlichen Landpfarrers, nahm mich sehr freundlich auf, behandelte mich sehr anstündig und erwähnte meinen Konflikt mit keinem Worte. Der Erzpriester des Sprengels dagegen konnte es sich nicht versagen, mir vor versammeltem Konvent eine salbungsvolle Ermahuungs- rede zu halten, die ich schweigend hinnahm. Der Mitkaplan war mir wenig sympathisch, und es verstand sich unter den damaligen Verhältnissen vou selbst, daß ich geistlichen Umgang mehr floh als suchte. Doch lernte ich einen inter¬ essanten Kauz in der Nachbarschaft kennen: einen harten Geizkragen von trocknem Humor. Er hauste in weiß getünchten ärmlich ausgestatteten Stuben und scharrte Geld zusammen. Mir gab er gute Lehren in der Kunst des Administrirens. Ich bekam, erzählte er n. a., eine schlechte Pfarrei zu admi- nistriren nud habe neunhundert Thaler Überschuß gemacht, natürlich nicht fürs Amt, sondern für mich. Ich habe nämlich den ganzen Garten mit Zwiebeln bestellt und daraus so viel gelöst. Einst kam ein Amtsbruder zu ihm, der sich in großer Geldverlegenheit befand und bat, ihm etwas zu leihen. Der Alte fAWk-jHnHMejWm,Gchv«HtW-,. öffnete.mxhxere.schöbe, die mit Thalern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/528>, abgerufen am 23.06.2024.