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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

für unpassend, die Talare des Verstorbnen öffentlich zu versteigern, und ließ
einigen armen Ministranten Röcke daraus machen. Die Kalkulatur schrieb
nun zurück, ich sollte die Eintragung dieser "Ministrantenröcke" ins In¬
ventar nachweisen, und war sehr ungehalten, als sie erfuhr, es seien nicht
Ministrantenröcke, sondern Zivilröcke für ministrirende Jungen gemeint. Viel
Ausstellungen erfuhren auch die Ausgaben fürs Begräbnis. Es war das
ein sehr vergnügtes Begräbnis gewesen. Betrauert wurde der alte scho.
von niemand (die einzige Person, die ihn betrauert haben würde, seine Wirtin,
hatte den Verstand verloren), und das ehrsame Handwerk und wer sonst
dabei zu thun hatte, machte einen schönen Schnitt. Die Rechmingen waren
wirklich dick, aber mir machte es Vergnügen, sie zu bezahlen, die Leute
strichen mit großem Vergnügen das Geld ein, und wem schadete es? Ob die
Kirche außer den 20000 Thalern Kapital noch ein paar hundert mehr oder
weniger aus der Versteigerung bekam, das war doch gleichgiltig.*) Bei der
Beantwortung des einen Monitums machte ich mir einen Scherz. Der Palm¬
zweig mit Schleift, hieß es, ist ein freimaurerisches Abzeichen; einen solchen
auf den Sarg eines katholischen Geistlichen zu legen, ist Unfug; wer ihn bestellt
hat, mag ihn bezahlen. Nun wußte ich, daß der Herr, der die den Monitis
beiliegende Verfügung unterzeichnet hatte, in jüngern Jahren Logenbruder ge¬
wesen war. Ich antwortete daher: Mich mit den Abzeichen der Freimaurer
zu beschäftigen, habe ich weder in der Theorie noch in der Praxis Gelegenheit
gehabt. Ich kenne die Palme nur als Sinnbild der siegenden christlichen Seele,
z. B. aus dem Hymnus auf die unschuldigen Kinder, von denen es heißt:


^rs,ra 8ub ips-tin simplioss
?Alm!t ol ooroins In.äitÜ8.

Übrigens aber sei diese Sargzierde bei Honoratiorenbegräbnissen so allgemein
üblich, daß es unmöglich gewesen wäre, sie wegzulassen. Man wolle nicht
etwa glauben, daß durch solche Dinge das gute Einvernehmen zwischen
einem Geistlichen und der Behörde gestört worden wäre. Beide Teile be¬
handelten die Sache mit gutem Humor, und es waren weit stärkere Scherze
an der Tagesordnung.'^) Außerdem spielte sich der Streit in den untern Re-




*) Als ich dem Oberregierungsrat v. P. über das Testament berichtete, sagte er lachend:
Sehr liebenswürdig von dem guten Herrn, uns zu Erben einzusetzen, wir haben ja die Bau-
Pflicht! -- Ganz so stand die Sache allerdings nicht; die Erbschaft ist sür Anschaffung eines
prachtvollen neuen Altars u. dergl. verwendet worden, wozu die Regierung kein Geld gegeben
haben würde.
**) Bei Pfarreien mit Landwirtschaft halten die Scherze manchmal einen starken Stall¬
geruch. In der Kulturkampfzeit bekamen auch die Rcgiernngskominissarieli, denen die Ver¬
waltung der Bistumskassen übertragen wurde, Gelegenheit, diesen Stil kennen zu lernen. Einem
"Staatspfarrer," der schon eine sehr gute Pfarrei hatte, wurde noch die Verwaltung einer
Nachbarpfarrei übertragen. Als er darüber Rechnung ablegen sollte, erklärte er, er habe nichts
übrig, und fügte begründend bei: Ich denke, in Kriegszeiten wird der Sold verdoppelt.
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

für unpassend, die Talare des Verstorbnen öffentlich zu versteigern, und ließ
einigen armen Ministranten Röcke daraus machen. Die Kalkulatur schrieb
nun zurück, ich sollte die Eintragung dieser „Ministrantenröcke" ins In¬
ventar nachweisen, und war sehr ungehalten, als sie erfuhr, es seien nicht
Ministrantenröcke, sondern Zivilröcke für ministrirende Jungen gemeint. Viel
Ausstellungen erfuhren auch die Ausgaben fürs Begräbnis. Es war das
ein sehr vergnügtes Begräbnis gewesen. Betrauert wurde der alte scho.
von niemand (die einzige Person, die ihn betrauert haben würde, seine Wirtin,
hatte den Verstand verloren), und das ehrsame Handwerk und wer sonst
dabei zu thun hatte, machte einen schönen Schnitt. Die Rechmingen waren
wirklich dick, aber mir machte es Vergnügen, sie zu bezahlen, die Leute
strichen mit großem Vergnügen das Geld ein, und wem schadete es? Ob die
Kirche außer den 20000 Thalern Kapital noch ein paar hundert mehr oder
weniger aus der Versteigerung bekam, das war doch gleichgiltig.*) Bei der
Beantwortung des einen Monitums machte ich mir einen Scherz. Der Palm¬
zweig mit Schleift, hieß es, ist ein freimaurerisches Abzeichen; einen solchen
auf den Sarg eines katholischen Geistlichen zu legen, ist Unfug; wer ihn bestellt
hat, mag ihn bezahlen. Nun wußte ich, daß der Herr, der die den Monitis
beiliegende Verfügung unterzeichnet hatte, in jüngern Jahren Logenbruder ge¬
wesen war. Ich antwortete daher: Mich mit den Abzeichen der Freimaurer
zu beschäftigen, habe ich weder in der Theorie noch in der Praxis Gelegenheit
gehabt. Ich kenne die Palme nur als Sinnbild der siegenden christlichen Seele,
z. B. aus dem Hymnus auf die unschuldigen Kinder, von denen es heißt:


^rs,ra 8ub ips-tin simplioss
?Alm!t ol ooroins In.äitÜ8.

Übrigens aber sei diese Sargzierde bei Honoratiorenbegräbnissen so allgemein
üblich, daß es unmöglich gewesen wäre, sie wegzulassen. Man wolle nicht
etwa glauben, daß durch solche Dinge das gute Einvernehmen zwischen
einem Geistlichen und der Behörde gestört worden wäre. Beide Teile be¬
handelten die Sache mit gutem Humor, und es waren weit stärkere Scherze
an der Tagesordnung.'^) Außerdem spielte sich der Streit in den untern Re-




*) Als ich dem Oberregierungsrat v. P. über das Testament berichtete, sagte er lachend:
Sehr liebenswürdig von dem guten Herrn, uns zu Erben einzusetzen, wir haben ja die Bau-
Pflicht! — Ganz so stand die Sache allerdings nicht; die Erbschaft ist sür Anschaffung eines
prachtvollen neuen Altars u. dergl. verwendet worden, wozu die Regierung kein Geld gegeben
haben würde.
**) Bei Pfarreien mit Landwirtschaft halten die Scherze manchmal einen starken Stall¬
geruch. In der Kulturkampfzeit bekamen auch die Rcgiernngskominissarieli, denen die Ver¬
waltung der Bistumskassen übertragen wurde, Gelegenheit, diesen Stil kennen zu lernen. Einem
„Staatspfarrer," der schon eine sehr gute Pfarrei hatte, wurde noch die Verwaltung einer
Nachbarpfarrei übertragen. Als er darüber Rechnung ablegen sollte, erklärte er, er habe nichts
übrig, und fügte begründend bei: Ich denke, in Kriegszeiten wird der Sold verdoppelt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/527>, abgerufen am 23.06.2024.