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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Mandlungen des Ich im Zeitenstrome

Ziegel ausgeben, ihn zu flicken.) Aber in Beziehung auf das Pfarreinkommen
war ich der Ansicht, daß es auch während einer Vakanz zunächst für die
Geistlichkeit und die Gemeinde da sei, und die bischöflichen Kassen sich mit dem
zu begnügen hätten, was wirklich übrig bleibt. Diese Kassen zu bereichern,
war ich um so weniger gesonnen, als ich mich folgenden Ausspruchs eines
Vikariatsamtsrats (nicht Knoblichs, sondern eines ältern) erinnerte: Ich be¬
greife nicht, wozu der Bischof das viele Geld zusammenscharrt; alle Kassen
sind zum Platzen gefüllt, und es ist keine Verwendung dafür. Das Ende vom
Liede wird sein, daß einmal der Staat kommt und den ganzen Mammon ein¬
sacke. Ich machte daher Ausgaben, die dann von der Kalkulatur gestrichen
wurden. In Liegnitz sollte ich auch noch Mindereinnahmen decken. Ein Teil
des Pfarreinkommens bestand in Dezem von umliegenden (protestantischen)
Gütern. Statt des Getreides wurde Geld gezahlt, und zwar nach dem Markt¬
preise. Ich hatte gerade zu der Zeit, wo die Wirtschaftsinspektoren mit ihrer
Dezem-Entschädigung kamen, einen kranken Lehrer zu vertreten und steckte den
ganzen Morgen in der Schule. Jedesmal verdrießlich über die Störung,
machte ich das Geschüft so kurz wie möglich ab, würde wohl aber auch, wenn
ich mir mehr Zeit genommen hätte, kaum auf deu Gedanken gekommen sein,
das Angebot zu prüfen und mehr zu verlangen. Daß das Angebot zu niedrig
sei, konnte ich allerdings aus der Form schließen, in der es gewöhnlich gemacht
wurde: Ich werde Ihnen so und so viel geben, sind Sie da zufrieden? --
Warum sollte ich nicht zufrieden sein? Protestantischen Gutsbesitzern Geld
abzupressen, um irgend eine mir gleichgültige Breslciuer Kasse zu füllen, das
konnte mir doch nicht einfallen. Etwa ein Jahr darauf kamen die Monna zu
meiner Administrationsrechnung, und da hieß es: Am x Oktober 1868 hat in
Liegnitz der Weizen soviel, der Roggen soviel, der Hafer soviel gegolten, nach
dem beiliegenden Marktzettel. Marktzettel! Daß es so ein Ding gebe, hatte
ich noch gar nicht gewußt, und um die Getreidepreise mich noch niemals ge¬
kümmert ! Ganz gleichgiltig waren sie mir allerdings nicht. Auch zur Kaplan-
dotation gehörten ein paar Scheffel, und wenn der Preis hoch stand, bekamen
wir natürlich mehr. Das war einer der Fälle, die mich stutzig machten. In
der Schule lehrte ich, wie abscheulich der Koruwucher sei, und von meiner
Mutter und den Geschwistern wußte ich, wie sie in der Teuerung der fünfziger
Jahre Not gelitten hatten, und nun sollte ich selber aus hohen Getreidepreisen
-- auch in den sechziger Jahren waren sie "noch gut" -- Borten ziehen!
Ich überlegte, ob es erlaubt sei, mich darüber zu freuen, etwa nach Gurys
Entscheidung der Frage, ob man sich beim Tode des Vaters freuen dürfe:
über den Todesfall freilich nicht, aber über die Erbschaft schon! Also die
Herren strichen nicht allein Ausgaben, sondern erhöhten auch manchen Ein¬
nahmeposten. Und ähnlich ging es bei der Rechnung über die Erbschaft
scho.s. der sein Vermögen der Kirche vermacht hatte. So z. B. hielt ich es


Mandlungen des Ich im Zeitenstrome

Ziegel ausgeben, ihn zu flicken.) Aber in Beziehung auf das Pfarreinkommen
war ich der Ansicht, daß es auch während einer Vakanz zunächst für die
Geistlichkeit und die Gemeinde da sei, und die bischöflichen Kassen sich mit dem
zu begnügen hätten, was wirklich übrig bleibt. Diese Kassen zu bereichern,
war ich um so weniger gesonnen, als ich mich folgenden Ausspruchs eines
Vikariatsamtsrats (nicht Knoblichs, sondern eines ältern) erinnerte: Ich be¬
greife nicht, wozu der Bischof das viele Geld zusammenscharrt; alle Kassen
sind zum Platzen gefüllt, und es ist keine Verwendung dafür. Das Ende vom
Liede wird sein, daß einmal der Staat kommt und den ganzen Mammon ein¬
sacke. Ich machte daher Ausgaben, die dann von der Kalkulatur gestrichen
wurden. In Liegnitz sollte ich auch noch Mindereinnahmen decken. Ein Teil
des Pfarreinkommens bestand in Dezem von umliegenden (protestantischen)
Gütern. Statt des Getreides wurde Geld gezahlt, und zwar nach dem Markt¬
preise. Ich hatte gerade zu der Zeit, wo die Wirtschaftsinspektoren mit ihrer
Dezem-Entschädigung kamen, einen kranken Lehrer zu vertreten und steckte den
ganzen Morgen in der Schule. Jedesmal verdrießlich über die Störung,
machte ich das Geschüft so kurz wie möglich ab, würde wohl aber auch, wenn
ich mir mehr Zeit genommen hätte, kaum auf deu Gedanken gekommen sein,
das Angebot zu prüfen und mehr zu verlangen. Daß das Angebot zu niedrig
sei, konnte ich allerdings aus der Form schließen, in der es gewöhnlich gemacht
wurde: Ich werde Ihnen so und so viel geben, sind Sie da zufrieden? —
Warum sollte ich nicht zufrieden sein? Protestantischen Gutsbesitzern Geld
abzupressen, um irgend eine mir gleichgültige Breslciuer Kasse zu füllen, das
konnte mir doch nicht einfallen. Etwa ein Jahr darauf kamen die Monna zu
meiner Administrationsrechnung, und da hieß es: Am x Oktober 1868 hat in
Liegnitz der Weizen soviel, der Roggen soviel, der Hafer soviel gegolten, nach
dem beiliegenden Marktzettel. Marktzettel! Daß es so ein Ding gebe, hatte
ich noch gar nicht gewußt, und um die Getreidepreise mich noch niemals ge¬
kümmert ! Ganz gleichgiltig waren sie mir allerdings nicht. Auch zur Kaplan-
dotation gehörten ein paar Scheffel, und wenn der Preis hoch stand, bekamen
wir natürlich mehr. Das war einer der Fälle, die mich stutzig machten. In
der Schule lehrte ich, wie abscheulich der Koruwucher sei, und von meiner
Mutter und den Geschwistern wußte ich, wie sie in der Teuerung der fünfziger
Jahre Not gelitten hatten, und nun sollte ich selber aus hohen Getreidepreisen
— auch in den sechziger Jahren waren sie „noch gut" — Borten ziehen!
Ich überlegte, ob es erlaubt sei, mich darüber zu freuen, etwa nach Gurys
Entscheidung der Frage, ob man sich beim Tode des Vaters freuen dürfe:
über den Todesfall freilich nicht, aber über die Erbschaft schon! Also die
Herren strichen nicht allein Ausgaben, sondern erhöhten auch manchen Ein¬
nahmeposten. Und ähnlich ging es bei der Rechnung über die Erbschaft
scho.s. der sein Vermögen der Kirche vermacht hatte. So z. B. hielt ich es


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[0526] Mandlungen des Ich im Zeitenstrome Ziegel ausgeben, ihn zu flicken.) Aber in Beziehung auf das Pfarreinkommen war ich der Ansicht, daß es auch während einer Vakanz zunächst für die Geistlichkeit und die Gemeinde da sei, und die bischöflichen Kassen sich mit dem zu begnügen hätten, was wirklich übrig bleibt. Diese Kassen zu bereichern, war ich um so weniger gesonnen, als ich mich folgenden Ausspruchs eines Vikariatsamtsrats (nicht Knoblichs, sondern eines ältern) erinnerte: Ich be¬ greife nicht, wozu der Bischof das viele Geld zusammenscharrt; alle Kassen sind zum Platzen gefüllt, und es ist keine Verwendung dafür. Das Ende vom Liede wird sein, daß einmal der Staat kommt und den ganzen Mammon ein¬ sacke. Ich machte daher Ausgaben, die dann von der Kalkulatur gestrichen wurden. In Liegnitz sollte ich auch noch Mindereinnahmen decken. Ein Teil des Pfarreinkommens bestand in Dezem von umliegenden (protestantischen) Gütern. Statt des Getreides wurde Geld gezahlt, und zwar nach dem Markt¬ preise. Ich hatte gerade zu der Zeit, wo die Wirtschaftsinspektoren mit ihrer Dezem-Entschädigung kamen, einen kranken Lehrer zu vertreten und steckte den ganzen Morgen in der Schule. Jedesmal verdrießlich über die Störung, machte ich das Geschüft so kurz wie möglich ab, würde wohl aber auch, wenn ich mir mehr Zeit genommen hätte, kaum auf deu Gedanken gekommen sein, das Angebot zu prüfen und mehr zu verlangen. Daß das Angebot zu niedrig sei, konnte ich allerdings aus der Form schließen, in der es gewöhnlich gemacht wurde: Ich werde Ihnen so und so viel geben, sind Sie da zufrieden? — Warum sollte ich nicht zufrieden sein? Protestantischen Gutsbesitzern Geld abzupressen, um irgend eine mir gleichgültige Breslciuer Kasse zu füllen, das konnte mir doch nicht einfallen. Etwa ein Jahr darauf kamen die Monna zu meiner Administrationsrechnung, und da hieß es: Am x Oktober 1868 hat in Liegnitz der Weizen soviel, der Roggen soviel, der Hafer soviel gegolten, nach dem beiliegenden Marktzettel. Marktzettel! Daß es so ein Ding gebe, hatte ich noch gar nicht gewußt, und um die Getreidepreise mich noch niemals ge¬ kümmert ! Ganz gleichgiltig waren sie mir allerdings nicht. Auch zur Kaplan- dotation gehörten ein paar Scheffel, und wenn der Preis hoch stand, bekamen wir natürlich mehr. Das war einer der Fälle, die mich stutzig machten. In der Schule lehrte ich, wie abscheulich der Koruwucher sei, und von meiner Mutter und den Geschwistern wußte ich, wie sie in der Teuerung der fünfziger Jahre Not gelitten hatten, und nun sollte ich selber aus hohen Getreidepreisen — auch in den sechziger Jahren waren sie „noch gut" — Borten ziehen! Ich überlegte, ob es erlaubt sei, mich darüber zu freuen, etwa nach Gurys Entscheidung der Frage, ob man sich beim Tode des Vaters freuen dürfe: über den Todesfall freilich nicht, aber über die Erbschaft schon! Also die Herren strichen nicht allein Ausgaben, sondern erhöhten auch manchen Ein¬ nahmeposten. Und ähnlich ging es bei der Rechnung über die Erbschaft scho.s. der sein Vermögen der Kirche vermacht hatte. So z. B. hielt ich es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/526>, abgerufen am 23.06.2024.