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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

in die Kirche, um mich im Beichtstühle von der Zensur lossprechen zu lassen,
dann Messe zu lesen und noch einige Beichtleute abzufertigen.

Von verschiednen Seiten wurde die Ansicht ausgesprochen, mein Auftreten
sei die Wirkung eiuer persönlichen Verstimmung gewesen, zu der ich mehrfachen
Anlaß gehabt hätte. In der That war ich im letzten Jahre meines Liegnitzer
Aufenthalts nicht zum besten ausgelegt. Zwar daß ich die Liegnitzer Pfarrei
nicht bekommen würde, weil ich meiner Schwerhörigkeit wegen den damit ver-
bundnen Repräsentationspflichten nicht gehörig gerecht werden konnte, hatte
ich voraus gewußt. Ich wollte gar nicht darum einkommen und entschloß
mich nur dazu, weil man mir gesagt hatte, es sei das nötig, damit ich mir die
nächste Vakanz sicherte. Aber angenehm war es ja nicht, ein zweitesmal, und
diesmal nach mehr als anderthalbjähriger Administration, in die Kaplanstelle
mit 420 Thalern Gehalt zurückzutreten, besonders da die Ursache der Nicht-
beförderung mich auch wegen meiner Zukunft besorgt machen mußte. Schon
vorher wäre ich beinahe Schulrat geworden. Der Abteilungsdirigent, Ober¬
regierungsrat v. P., kam nach dem Tode des Schulrath V. zu mir und bat
mich, einstweilen die Vertretung zu übernehmen. In der Unterredung darüber
bemerkte er meine Schwerhörigkeit, und damit war denn zugleich auch schon
über die Pfarre entschieden.

Ferner hatten nur die Administrationsrechnungcu und die Rechnungs¬
legung über die scho.sche Erbschaftsregulirnng viel Ärgernis bereitet. Ich
nahm alles, was die Kirche lehrt, ganz ernsthaft, so auch den Preis der Wohl¬
thätigkeit und Barmherzigkeit, die Warnung vor allem Geiz und die Ver¬
dammung des ungerechten Mammons, sowie die lieben Heiligen der Legende
und des Breviers, die einem doch nicht zum Zeitvertreib, sondern als Vor¬
bilder vor Augen gestellt werden. Und zum Meister in der Verwaltnngs-
und Finanzkunst erwählte ich mir den heiligen Johannes, genannt Eleemo-
synarius, einen Patriarchen von Alexandrien, der auf dem Sterbebette seineu
Klerus zusammenrief und sagte: Bei meinem Amtsantritt fand ich ein paar
Millionen im Kirchenschatz, jetzt aber ist, Gott sei Dank, kein Pfennig mehr
drin; ich habe alles weggeschenkt. Nun ist dieser Heilige aber unglücklicher¬
weise nicht der Patron der Kalkulatoren, auch uicht der bei geistlichen Ämtern
angestellten und scheint überhaupt in den maßgebenden Kreisen der Kirche
niemals in sonderlichen Ansehn gestanden zu haben, wie Hütten sonst die
Kirchen so reich werden können! Bei solchem Zwiespalt zwischen der kal¬
kulatorischen und meiner evangelisch-apostolischen Auffassung des Geldwesens
konnten Konflikte nicht ausbleiben. Nicht etwa daß ich mich am Kirchen¬
vermögen vergriffen hätte; nur für nützliche Verwendung der von meinen Vor¬
gängern erzielten Überschüsse habe ich gesorgt. (Alte Leute sind häufig nicht
allein für sich, sondern auch als Kassenverwalter geizig und lassen lieber einen
ganzen Dachstuhl verfaulen, als daß sie zu rechter Zeit ein paar Thaler für


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

in die Kirche, um mich im Beichtstühle von der Zensur lossprechen zu lassen,
dann Messe zu lesen und noch einige Beichtleute abzufertigen.

Von verschiednen Seiten wurde die Ansicht ausgesprochen, mein Auftreten
sei die Wirkung eiuer persönlichen Verstimmung gewesen, zu der ich mehrfachen
Anlaß gehabt hätte. In der That war ich im letzten Jahre meines Liegnitzer
Aufenthalts nicht zum besten ausgelegt. Zwar daß ich die Liegnitzer Pfarrei
nicht bekommen würde, weil ich meiner Schwerhörigkeit wegen den damit ver-
bundnen Repräsentationspflichten nicht gehörig gerecht werden konnte, hatte
ich voraus gewußt. Ich wollte gar nicht darum einkommen und entschloß
mich nur dazu, weil man mir gesagt hatte, es sei das nötig, damit ich mir die
nächste Vakanz sicherte. Aber angenehm war es ja nicht, ein zweitesmal, und
diesmal nach mehr als anderthalbjähriger Administration, in die Kaplanstelle
mit 420 Thalern Gehalt zurückzutreten, besonders da die Ursache der Nicht-
beförderung mich auch wegen meiner Zukunft besorgt machen mußte. Schon
vorher wäre ich beinahe Schulrat geworden. Der Abteilungsdirigent, Ober¬
regierungsrat v. P., kam nach dem Tode des Schulrath V. zu mir und bat
mich, einstweilen die Vertretung zu übernehmen. In der Unterredung darüber
bemerkte er meine Schwerhörigkeit, und damit war denn zugleich auch schon
über die Pfarre entschieden.

Ferner hatten nur die Administrationsrechnungcu und die Rechnungs¬
legung über die scho.sche Erbschaftsregulirnng viel Ärgernis bereitet. Ich
nahm alles, was die Kirche lehrt, ganz ernsthaft, so auch den Preis der Wohl¬
thätigkeit und Barmherzigkeit, die Warnung vor allem Geiz und die Ver¬
dammung des ungerechten Mammons, sowie die lieben Heiligen der Legende
und des Breviers, die einem doch nicht zum Zeitvertreib, sondern als Vor¬
bilder vor Augen gestellt werden. Und zum Meister in der Verwaltnngs-
und Finanzkunst erwählte ich mir den heiligen Johannes, genannt Eleemo-
synarius, einen Patriarchen von Alexandrien, der auf dem Sterbebette seineu
Klerus zusammenrief und sagte: Bei meinem Amtsantritt fand ich ein paar
Millionen im Kirchenschatz, jetzt aber ist, Gott sei Dank, kein Pfennig mehr
drin; ich habe alles weggeschenkt. Nun ist dieser Heilige aber unglücklicher¬
weise nicht der Patron der Kalkulatoren, auch uicht der bei geistlichen Ämtern
angestellten und scheint überhaupt in den maßgebenden Kreisen der Kirche
niemals in sonderlichen Ansehn gestanden zu haben, wie Hütten sonst die
Kirchen so reich werden können! Bei solchem Zwiespalt zwischen der kal¬
kulatorischen und meiner evangelisch-apostolischen Auffassung des Geldwesens
konnten Konflikte nicht ausbleiben. Nicht etwa daß ich mich am Kirchen¬
vermögen vergriffen hätte; nur für nützliche Verwendung der von meinen Vor¬
gängern erzielten Überschüsse habe ich gesorgt. (Alte Leute sind häufig nicht
allein für sich, sondern auch als Kassenverwalter geizig und lassen lieber einen
ganzen Dachstuhl verfaulen, als daß sie zu rechter Zeit ein paar Thaler für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/525>, abgerufen am 23.06.2024.