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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

kann, da dieselbe eine ausdrückliche Zurücknahme der in letzterer ausgesprochnen
Verurteilung der höchsten kirchlichen Autorität, von welcher die Encyklika und der
derselben beigegebne Syllabus erlassen worden ist, nicht enthalt. Eine solche posi¬
tive Zurücknahme allein ist imstande, die durch Ihren beklagenswerten Schritt unter
den Gläubigen hervorgerufue Aufregung zu beruhigen und das Vertrauen in Ihre
rückhaltlose Unterwerfung unter die von Gott gesetzte kirchliche Autorität wieder
herzustellen. Wenn wir auch gern von allen weitern für Sie unliebsamen Ma߬
regeln, zu denen freilich Ihre gegen uns beobachtete Haltung, namentlich der Tenor
Ihres in unsern Akten befindlichen Protestes Veranlassung geben konnte, absehen
und uns mit der mildesten Form der Ahndung desselben, durch Ihre Versetzung
von Liegnitz an eine der dortigen entsprechende Stelle begnügen wollen, so müssen
wir doch, ehe wir die über Sie verhängte Zensur aufheben und Ihre vollständige
Rehabilitation eintrete" lassen können, die Veröffentlichung nachstehend formulirter
Erklärung in der Schlesischen Zeitung Ihnen zur Pflicht machen:

"Ich nehme meine in der Schlesischen Zeitung vom 24. April er. veröffent¬
lichte Erklärung zurück, bedaure deu dadurch gegebnen Anstoß, anerkenne die Ent¬
scheidungen des uuter dem Beistande des heiligen Geistes versammelten Konzils,
verwerfe, was die Kirche verwirft, und glaube und lehre, was die Kirche glaubt
und lehrt."

Wir sehen im Vertrauen auf Ihre stets bewährte treu gewissenhafte priester¬
liche Haltung und Ihren Eifer im Dienste des Herrn und seiner Kirche zuversicht¬
lich Ihrer Entschließung entgegen und bitten Gott, Ihnen seinen Gnadenbeistand
zu derselben zu gewähren.


Fürstbischöflichcs Geucralvilariatamt.
Neukirch.

Nun machte ich kurzen Prozeß. Ich schickte ein die Schlesische Zeitung
eine Erklärung, worin ich sagte, daß ich den gegebnen Anstoß bedauerte und
mich den Entscheidungen "eines" ökumenischen Konzils unterwerfe. Die Er¬
klärung enthielt noch weniger, als ich freiwillig angeboten hatte. Gleichzeitig
schickte ich dem Geistlichen Amt eine Abschrift und erklärte: Macht, was ihr
wollt, mehr kann ich nicht! Dieses Schreiben und die Erklärung, die von der
Schlesischen Zeitung natürlich aufgenommen wurde, finde ich nicht mehr. Doch
habe ich noch einen Brief von Reinkens vom 15. Mai, worin es heißt: "Die
Erklärung in der Schlesischen Zeitung habe ich gelesen. Natürlich wird sie
von verschiednen Seiten als Widerruf aufgefaßt; darauf müssen Sie aber,
meine ich, nun schweigen. Die Erklärung ist vorsichtiger und mit der Über¬
zeugung verträglicher als die Striegauer. Abgesehen von dem Zugeständnis,
daß Sie Anstoß gegeben, das ich nicht gemacht Hütte, billige ich sie nach Form
und Inhalt." Weiterhin spricht er die Vermutung aus, Förster möge wohl
zugleich mit dem Briefe an mich einen an das Amt abgeschickt und ihm Milde
anempfohlen haben.

An demselben Tage, wo Reinkens diesen Brief abschickte, Sonntag den
15. Mai früh, erhielt ich das amtliche Schreiben, das die verhängte Suspension
aufhob, und ein Dekret, wodurch ich nach Grüssau versetzt wurde. Ich eilte


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

kann, da dieselbe eine ausdrückliche Zurücknahme der in letzterer ausgesprochnen
Verurteilung der höchsten kirchlichen Autorität, von welcher die Encyklika und der
derselben beigegebne Syllabus erlassen worden ist, nicht enthalt. Eine solche posi¬
tive Zurücknahme allein ist imstande, die durch Ihren beklagenswerten Schritt unter
den Gläubigen hervorgerufue Aufregung zu beruhigen und das Vertrauen in Ihre
rückhaltlose Unterwerfung unter die von Gott gesetzte kirchliche Autorität wieder
herzustellen. Wenn wir auch gern von allen weitern für Sie unliebsamen Ma߬
regeln, zu denen freilich Ihre gegen uns beobachtete Haltung, namentlich der Tenor
Ihres in unsern Akten befindlichen Protestes Veranlassung geben konnte, absehen
und uns mit der mildesten Form der Ahndung desselben, durch Ihre Versetzung
von Liegnitz an eine der dortigen entsprechende Stelle begnügen wollen, so müssen
wir doch, ehe wir die über Sie verhängte Zensur aufheben und Ihre vollständige
Rehabilitation eintrete» lassen können, die Veröffentlichung nachstehend formulirter
Erklärung in der Schlesischen Zeitung Ihnen zur Pflicht machen:

„Ich nehme meine in der Schlesischen Zeitung vom 24. April er. veröffent¬
lichte Erklärung zurück, bedaure deu dadurch gegebnen Anstoß, anerkenne die Ent¬
scheidungen des uuter dem Beistande des heiligen Geistes versammelten Konzils,
verwerfe, was die Kirche verwirft, und glaube und lehre, was die Kirche glaubt
und lehrt."

Wir sehen im Vertrauen auf Ihre stets bewährte treu gewissenhafte priester¬
liche Haltung und Ihren Eifer im Dienste des Herrn und seiner Kirche zuversicht¬
lich Ihrer Entschließung entgegen und bitten Gott, Ihnen seinen Gnadenbeistand
zu derselben zu gewähren.


Fürstbischöflichcs Geucralvilariatamt.
Neukirch.

Nun machte ich kurzen Prozeß. Ich schickte ein die Schlesische Zeitung
eine Erklärung, worin ich sagte, daß ich den gegebnen Anstoß bedauerte und
mich den Entscheidungen „eines" ökumenischen Konzils unterwerfe. Die Er¬
klärung enthielt noch weniger, als ich freiwillig angeboten hatte. Gleichzeitig
schickte ich dem Geistlichen Amt eine Abschrift und erklärte: Macht, was ihr
wollt, mehr kann ich nicht! Dieses Schreiben und die Erklärung, die von der
Schlesischen Zeitung natürlich aufgenommen wurde, finde ich nicht mehr. Doch
habe ich noch einen Brief von Reinkens vom 15. Mai, worin es heißt: „Die
Erklärung in der Schlesischen Zeitung habe ich gelesen. Natürlich wird sie
von verschiednen Seiten als Widerruf aufgefaßt; darauf müssen Sie aber,
meine ich, nun schweigen. Die Erklärung ist vorsichtiger und mit der Über¬
zeugung verträglicher als die Striegauer. Abgesehen von dem Zugeständnis,
daß Sie Anstoß gegeben, das ich nicht gemacht Hütte, billige ich sie nach Form
und Inhalt." Weiterhin spricht er die Vermutung aus, Förster möge wohl
zugleich mit dem Briefe an mich einen an das Amt abgeschickt und ihm Milde
anempfohlen haben.

An demselben Tage, wo Reinkens diesen Brief abschickte, Sonntag den
15. Mai früh, erhielt ich das amtliche Schreiben, das die verhängte Suspension
aufhob, und ein Dekret, wodurch ich nach Grüssau versetzt wurde. Ich eilte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/524>, abgerufen am 23.06.2024.