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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

friedigung der ermittelten Gläubiger zu verwenden. Selbstverständlich würde
dieses bei einer "Aufschüttung der Masse" nicht annähernd hinreichen, die
Forderungen der Gläubiger vollständig zu befriedigen. Aber das ist auch gar
nicht nötig; denn der Schuldner, der im Fall seiner Zahlungsunfähigkeit in
die angenehme Lage kommt, die Eröffnung des Konkurses zu verlangen, hat
ein ganz eigentümliches Vorrecht: er kann seine Gläubiger zwingen, ihm
einen Teil ihrer Forderungen zu schenken, ihm einen Teil seiner Schulden zu
erlassen. Das Gesetz bestimmt nämlich, daß, wenn die Mehrzahl der Gläu¬
biger dem Schuldner den Erlaß eines Teiles seiner Schulden gewährt und
die Forderungen dieser Mehrzahl zwei Drittel der ganzen Schuldenmasse aus¬
machen, die Minderzahl verpflichtet ist, dem Schuldner die gleiche Schenkung
zu machen. Wenn also z. B. im Konkurs neunzehn Gläubiger mit 90000 Mark
angemeldet und anerkannt ("festgestellt") sind und zehn, deren Forderungen zu¬
sammen 61000 Mark ausmachen, übereinkommen, dem Schuldner neunzig Pro¬
zent ihrer Forderungen zu erlasse,,, also neun Zehntel seiner Schulden zu
schenken, so sind die übrigen neun Gläubiger mit ihren 29000 Mark von
Rechts wegen verpflichtet, dem Schuldner die gleiche Schenkung zu machen,
mag er ihrer auch noch so unwürdig sein. Um die die Minderheit zwingende
Mehrzahl zu erreichen, trägt natürlich die Ehefrau mit dem ihr zustehenden
Anspruch auf Rückgabe des ihr in die Ehe gebrachten baren Vermögens bei;
dazu kommen dann die Eltern und Schwiegereltern mit ihren durch Schuld¬
scheine und die Geschäftsbücher erwiesenen "Darlehnsforderungen" (in Wahr¬
heit vorausbezahlten Erdteilen), ferner die von diesen Angehörigen wirtschaft¬
lich abhängigen Gläubiger, einige Geschäftsfreunde des Gemeinschulduers, die
den Erlaß bewilligen in der Hoffnung, durch spätere Geschäftsverbindung den
Verlust auszugleichen. Forderungen solcher Gläubiger, die zum Erlaß keine
Neigung haben, werden aufgekauft: kurz es ist durchaus kein Kunststück, die
zum "Zwangsvergleich" erforderliche Mehrheit zusammenzubringen. Zwar bedarf
der Zwangsvergleich der gerichtlichen Bestätigung, und diese muß versagt werden,
wenn der Vergleich auf "unlautere" Weise zustande gekommen ist; aber das
Gericht erfährt regelmäßig nichts von den vorgekommnen Unlauterkeiten. Nach
der in dem diesjährigen Preußischen Justizministerialblatt, Seite 181, ent-
haltnen Zusammenstellung sind von 3462 im vorigen Jahre beendigten Kon¬
kursen genau 1073, also etwa der dritte Teil durch Zwangsvergleich beendigt
worden, d. h. in einem Drittel aller Fälle, wo die eingetretne Zahlungs¬
unfähigkeit des Schuldners die Eröffnung des Konkursverfahrens zur Folge
hatte, wird dem Schuldner die wirtschaftliche Selbständigkeit erhalten dadurch,
daß unter Mitwirkung des Gerichts ein gesetzlicher Zwang auf die Gläubiger
ausgeübt wird, dem Schuldner seine Verbindlichkeiten teilweise und oft in recht
hohen Beträgen zu erlassen.

Vergeblich fragt man "ach den Gründen, die den Gesetzgeber veranlaßt


Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

friedigung der ermittelten Gläubiger zu verwenden. Selbstverständlich würde
dieses bei einer „Aufschüttung der Masse" nicht annähernd hinreichen, die
Forderungen der Gläubiger vollständig zu befriedigen. Aber das ist auch gar
nicht nötig; denn der Schuldner, der im Fall seiner Zahlungsunfähigkeit in
die angenehme Lage kommt, die Eröffnung des Konkurses zu verlangen, hat
ein ganz eigentümliches Vorrecht: er kann seine Gläubiger zwingen, ihm
einen Teil ihrer Forderungen zu schenken, ihm einen Teil seiner Schulden zu
erlassen. Das Gesetz bestimmt nämlich, daß, wenn die Mehrzahl der Gläu¬
biger dem Schuldner den Erlaß eines Teiles seiner Schulden gewährt und
die Forderungen dieser Mehrzahl zwei Drittel der ganzen Schuldenmasse aus¬
machen, die Minderzahl verpflichtet ist, dem Schuldner die gleiche Schenkung
zu machen. Wenn also z. B. im Konkurs neunzehn Gläubiger mit 90000 Mark
angemeldet und anerkannt („festgestellt") sind und zehn, deren Forderungen zu¬
sammen 61000 Mark ausmachen, übereinkommen, dem Schuldner neunzig Pro¬
zent ihrer Forderungen zu erlasse,,, also neun Zehntel seiner Schulden zu
schenken, so sind die übrigen neun Gläubiger mit ihren 29000 Mark von
Rechts wegen verpflichtet, dem Schuldner die gleiche Schenkung zu machen,
mag er ihrer auch noch so unwürdig sein. Um die die Minderheit zwingende
Mehrzahl zu erreichen, trägt natürlich die Ehefrau mit dem ihr zustehenden
Anspruch auf Rückgabe des ihr in die Ehe gebrachten baren Vermögens bei;
dazu kommen dann die Eltern und Schwiegereltern mit ihren durch Schuld¬
scheine und die Geschäftsbücher erwiesenen „Darlehnsforderungen" (in Wahr¬
heit vorausbezahlten Erdteilen), ferner die von diesen Angehörigen wirtschaft¬
lich abhängigen Gläubiger, einige Geschäftsfreunde des Gemeinschulduers, die
den Erlaß bewilligen in der Hoffnung, durch spätere Geschäftsverbindung den
Verlust auszugleichen. Forderungen solcher Gläubiger, die zum Erlaß keine
Neigung haben, werden aufgekauft: kurz es ist durchaus kein Kunststück, die
zum „Zwangsvergleich" erforderliche Mehrheit zusammenzubringen. Zwar bedarf
der Zwangsvergleich der gerichtlichen Bestätigung, und diese muß versagt werden,
wenn der Vergleich auf „unlautere" Weise zustande gekommen ist; aber das
Gericht erfährt regelmäßig nichts von den vorgekommnen Unlauterkeiten. Nach
der in dem diesjährigen Preußischen Justizministerialblatt, Seite 181, ent-
haltnen Zusammenstellung sind von 3462 im vorigen Jahre beendigten Kon¬
kursen genau 1073, also etwa der dritte Teil durch Zwangsvergleich beendigt
worden, d. h. in einem Drittel aller Fälle, wo die eingetretne Zahlungs¬
unfähigkeit des Schuldners die Eröffnung des Konkursverfahrens zur Folge
hatte, wird dem Schuldner die wirtschaftliche Selbständigkeit erhalten dadurch,
daß unter Mitwirkung des Gerichts ein gesetzlicher Zwang auf die Gläubiger
ausgeübt wird, dem Schuldner seine Verbindlichkeiten teilweise und oft in recht
hohen Beträgen zu erlassen.

Vergeblich fragt man „ach den Gründen, die den Gesetzgeber veranlaßt


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[0517] Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr friedigung der ermittelten Gläubiger zu verwenden. Selbstverständlich würde dieses bei einer „Aufschüttung der Masse" nicht annähernd hinreichen, die Forderungen der Gläubiger vollständig zu befriedigen. Aber das ist auch gar nicht nötig; denn der Schuldner, der im Fall seiner Zahlungsunfähigkeit in die angenehme Lage kommt, die Eröffnung des Konkurses zu verlangen, hat ein ganz eigentümliches Vorrecht: er kann seine Gläubiger zwingen, ihm einen Teil ihrer Forderungen zu schenken, ihm einen Teil seiner Schulden zu erlassen. Das Gesetz bestimmt nämlich, daß, wenn die Mehrzahl der Gläu¬ biger dem Schuldner den Erlaß eines Teiles seiner Schulden gewährt und die Forderungen dieser Mehrzahl zwei Drittel der ganzen Schuldenmasse aus¬ machen, die Minderzahl verpflichtet ist, dem Schuldner die gleiche Schenkung zu machen. Wenn also z. B. im Konkurs neunzehn Gläubiger mit 90000 Mark angemeldet und anerkannt („festgestellt") sind und zehn, deren Forderungen zu¬ sammen 61000 Mark ausmachen, übereinkommen, dem Schuldner neunzig Pro¬ zent ihrer Forderungen zu erlasse,,, also neun Zehntel seiner Schulden zu schenken, so sind die übrigen neun Gläubiger mit ihren 29000 Mark von Rechts wegen verpflichtet, dem Schuldner die gleiche Schenkung zu machen, mag er ihrer auch noch so unwürdig sein. Um die die Minderheit zwingende Mehrzahl zu erreichen, trägt natürlich die Ehefrau mit dem ihr zustehenden Anspruch auf Rückgabe des ihr in die Ehe gebrachten baren Vermögens bei; dazu kommen dann die Eltern und Schwiegereltern mit ihren durch Schuld¬ scheine und die Geschäftsbücher erwiesenen „Darlehnsforderungen" (in Wahr¬ heit vorausbezahlten Erdteilen), ferner die von diesen Angehörigen wirtschaft¬ lich abhängigen Gläubiger, einige Geschäftsfreunde des Gemeinschulduers, die den Erlaß bewilligen in der Hoffnung, durch spätere Geschäftsverbindung den Verlust auszugleichen. Forderungen solcher Gläubiger, die zum Erlaß keine Neigung haben, werden aufgekauft: kurz es ist durchaus kein Kunststück, die zum „Zwangsvergleich" erforderliche Mehrheit zusammenzubringen. Zwar bedarf der Zwangsvergleich der gerichtlichen Bestätigung, und diese muß versagt werden, wenn der Vergleich auf „unlautere" Weise zustande gekommen ist; aber das Gericht erfährt regelmäßig nichts von den vorgekommnen Unlauterkeiten. Nach der in dem diesjährigen Preußischen Justizministerialblatt, Seite 181, ent- haltnen Zusammenstellung sind von 3462 im vorigen Jahre beendigten Kon¬ kursen genau 1073, also etwa der dritte Teil durch Zwangsvergleich beendigt worden, d. h. in einem Drittel aller Fälle, wo die eingetretne Zahlungs¬ unfähigkeit des Schuldners die Eröffnung des Konkursverfahrens zur Folge hatte, wird dem Schuldner die wirtschaftliche Selbständigkeit erhalten dadurch, daß unter Mitwirkung des Gerichts ein gesetzlicher Zwang auf die Gläubiger ausgeübt wird, dem Schuldner seine Verbindlichkeiten teilweise und oft in recht hohen Beträgen zu erlassen. Vergeblich fragt man „ach den Gründen, die den Gesetzgeber veranlaßt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/517>, abgerufen am 23.06.2024.